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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Balkanstaaten und die Großmächte.

als der, welcher 1878 der Fürsorge des Kaisers Franz Josef überwiesen wurde.
Abgesehen von diesem glücklichen Ergebnisse, von den guten Folgen für die
Wohlfahrt des böhmischen Volkes, das mit ihnen vor Augen und einem Blick
auf seine Nachbarn alle Ursache hat, sich Glück zu wünschen, haben die, welche
Oesterreich in diese Stellung brachten, auch einem andern, einem größer" Zwecke
gedient: sie haben Oesterreich gleichsam als Schildwache, als Wahrer und Ver¬
teidiger des Weltfriedens in diese Länder gestellt, Oesterreich allein kann in
seinem und zugleich im Interesse der audern westlichen Mächte, zunächst Deutsch¬
lands, den gährenden Unfrieden und die Nebenbuhlerschaft der verschiednen Raffen
am Balkan, die fortwährend mit ihrem Ehrgeiz die allgemeine Ruhe bedrohen
und damit zu jeder Zeit einen weitreichenden Brand entzünden können, mit
seinein Einflüsse im Zaume halten und zurückdrängen, Oesterreich allein könnte,
wenn in Petersburg einmal wieder ein andrer Geist zur Obmacht gelangte als
der jetzt dort herrschende, durch einen Flankenmarsch den Russen Halt gebieten,
die auf Konstantinopel vordrängen. Man liest häufig davon und es ist viel¬
leicht begründet, daß uuter den Völkern dieser großen Halbinsel eine Partei sich
herangebildet habe, welche, sich der Gefahr bewußt, die ihrer Freiheit und
Selbständigkeit Vonseiten der autokratischen Herrschaft Rußlands droht, nach
einem Verteidignngsmittel hinstrebt, das in einer Zusammenfassung ihrer Kräfte,
einer Konföderation der Südslawen, Rumänen und Griechen unter der Aegide
Oesterreichs liegen würde. Der Gedanke hat seine Berechtigung, aber auch
große Schwierigkeiten auf seinem Wege zu voller Verwirklichung. Indes könnte
schon jetzt Vorbereitung dazu getroffen und ein Anfang mit der Sache gemacht
werden, der dann sich weiter entwickeln und weitere Kreise ziehen könnte. Die
gegenwärtige Zeit ist den kleinen Staaten nicht günstig; wenn sie sich nicht
linker der Hegemonie eines stärkern zusammenthun, müssen sie vereinzelt über
kurz oder lang eine Beute des stärkern Nachbars werden, Sie müssen dem
Hegemon einen Teil ihrer Unabhängigkeit opfern, aber sie bewahren sich damit
vor größern Opfern. Dieser Prozeß wird wahrscheinlich noch lange fortdauern.
Wir sehen zwar im Südosten kleine Staaten sich von den großen lösen und
sich sür sich ausbilden, aber ihr Leben wird nicht lange dauern, wenn jeder
von ihnen anf die eigne Kraft vertraut. Neben ihm sind Großstaaten erwachsen,
die, wenn sie keine moralische Anziehungskraft auf diese Feilspüue der Geschichte
üben, in tausend Beziehungen Magnete sind. Andre wieder sind Polypen zu
vergleichen, die sich nehmen, was nicht von selbst kommen will. Die Balkan¬
völker müssen innewerden, daß sie nicht sicher fortleben können, wenn sie ver¬
einzelt zwischen Großstaaten fortexistiren, die sich jederzeit darüber verständigen
können, die Traube, Beere bei Beere gemeinsam zu essen, dieser auf der einen
Seite und jener ans der andern, Sie müssen ferner wissen, daß der eine der
beiden einen guten Magen hat, der viel verträgt und so gründlich verdaut, daß
von dem Wesen des Verspeisten alles in das seinige übergeht. Auch ein sehr
großes Serbien würde sich davor nicht zu schlitzen vermögen.




Die Balkanstaaten und die Großmächte.

als der, welcher 1878 der Fürsorge des Kaisers Franz Josef überwiesen wurde.
Abgesehen von diesem glücklichen Ergebnisse, von den guten Folgen für die
Wohlfahrt des böhmischen Volkes, das mit ihnen vor Augen und einem Blick
auf seine Nachbarn alle Ursache hat, sich Glück zu wünschen, haben die, welche
Oesterreich in diese Stellung brachten, auch einem andern, einem größer» Zwecke
gedient: sie haben Oesterreich gleichsam als Schildwache, als Wahrer und Ver¬
teidiger des Weltfriedens in diese Länder gestellt, Oesterreich allein kann in
seinem und zugleich im Interesse der audern westlichen Mächte, zunächst Deutsch¬
lands, den gährenden Unfrieden und die Nebenbuhlerschaft der verschiednen Raffen
am Balkan, die fortwährend mit ihrem Ehrgeiz die allgemeine Ruhe bedrohen
und damit zu jeder Zeit einen weitreichenden Brand entzünden können, mit
seinein Einflüsse im Zaume halten und zurückdrängen, Oesterreich allein könnte,
wenn in Petersburg einmal wieder ein andrer Geist zur Obmacht gelangte als
der jetzt dort herrschende, durch einen Flankenmarsch den Russen Halt gebieten,
die auf Konstantinopel vordrängen. Man liest häufig davon und es ist viel¬
leicht begründet, daß uuter den Völkern dieser großen Halbinsel eine Partei sich
herangebildet habe, welche, sich der Gefahr bewußt, die ihrer Freiheit und
Selbständigkeit Vonseiten der autokratischen Herrschaft Rußlands droht, nach
einem Verteidignngsmittel hinstrebt, das in einer Zusammenfassung ihrer Kräfte,
einer Konföderation der Südslawen, Rumänen und Griechen unter der Aegide
Oesterreichs liegen würde. Der Gedanke hat seine Berechtigung, aber auch
große Schwierigkeiten auf seinem Wege zu voller Verwirklichung. Indes könnte
schon jetzt Vorbereitung dazu getroffen und ein Anfang mit der Sache gemacht
werden, der dann sich weiter entwickeln und weitere Kreise ziehen könnte. Die
gegenwärtige Zeit ist den kleinen Staaten nicht günstig; wenn sie sich nicht
linker der Hegemonie eines stärkern zusammenthun, müssen sie vereinzelt über
kurz oder lang eine Beute des stärkern Nachbars werden, Sie müssen dem
Hegemon einen Teil ihrer Unabhängigkeit opfern, aber sie bewahren sich damit
vor größern Opfern. Dieser Prozeß wird wahrscheinlich noch lange fortdauern.
Wir sehen zwar im Südosten kleine Staaten sich von den großen lösen und
sich sür sich ausbilden, aber ihr Leben wird nicht lange dauern, wenn jeder
von ihnen anf die eigne Kraft vertraut. Neben ihm sind Großstaaten erwachsen,
die, wenn sie keine moralische Anziehungskraft auf diese Feilspüue der Geschichte
üben, in tausend Beziehungen Magnete sind. Andre wieder sind Polypen zu
vergleichen, die sich nehmen, was nicht von selbst kommen will. Die Balkan¬
völker müssen innewerden, daß sie nicht sicher fortleben können, wenn sie ver¬
einzelt zwischen Großstaaten fortexistiren, die sich jederzeit darüber verständigen
können, die Traube, Beere bei Beere gemeinsam zu essen, dieser auf der einen
Seite und jener ans der andern, Sie müssen ferner wissen, daß der eine der
beiden einen guten Magen hat, der viel verträgt und so gründlich verdaut, daß
von dem Wesen des Verspeisten alles in das seinige übergeht. Auch ein sehr
großes Serbien würde sich davor nicht zu schlitzen vermögen.




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[0172] Die Balkanstaaten und die Großmächte. als der, welcher 1878 der Fürsorge des Kaisers Franz Josef überwiesen wurde. Abgesehen von diesem glücklichen Ergebnisse, von den guten Folgen für die Wohlfahrt des böhmischen Volkes, das mit ihnen vor Augen und einem Blick auf seine Nachbarn alle Ursache hat, sich Glück zu wünschen, haben die, welche Oesterreich in diese Stellung brachten, auch einem andern, einem größer» Zwecke gedient: sie haben Oesterreich gleichsam als Schildwache, als Wahrer und Ver¬ teidiger des Weltfriedens in diese Länder gestellt, Oesterreich allein kann in seinem und zugleich im Interesse der audern westlichen Mächte, zunächst Deutsch¬ lands, den gährenden Unfrieden und die Nebenbuhlerschaft der verschiednen Raffen am Balkan, die fortwährend mit ihrem Ehrgeiz die allgemeine Ruhe bedrohen und damit zu jeder Zeit einen weitreichenden Brand entzünden können, mit seinein Einflüsse im Zaume halten und zurückdrängen, Oesterreich allein könnte, wenn in Petersburg einmal wieder ein andrer Geist zur Obmacht gelangte als der jetzt dort herrschende, durch einen Flankenmarsch den Russen Halt gebieten, die auf Konstantinopel vordrängen. Man liest häufig davon und es ist viel¬ leicht begründet, daß uuter den Völkern dieser großen Halbinsel eine Partei sich herangebildet habe, welche, sich der Gefahr bewußt, die ihrer Freiheit und Selbständigkeit Vonseiten der autokratischen Herrschaft Rußlands droht, nach einem Verteidignngsmittel hinstrebt, das in einer Zusammenfassung ihrer Kräfte, einer Konföderation der Südslawen, Rumänen und Griechen unter der Aegide Oesterreichs liegen würde. Der Gedanke hat seine Berechtigung, aber auch große Schwierigkeiten auf seinem Wege zu voller Verwirklichung. Indes könnte schon jetzt Vorbereitung dazu getroffen und ein Anfang mit der Sache gemacht werden, der dann sich weiter entwickeln und weitere Kreise ziehen könnte. Die gegenwärtige Zeit ist den kleinen Staaten nicht günstig; wenn sie sich nicht linker der Hegemonie eines stärkern zusammenthun, müssen sie vereinzelt über kurz oder lang eine Beute des stärkern Nachbars werden, Sie müssen dem Hegemon einen Teil ihrer Unabhängigkeit opfern, aber sie bewahren sich damit vor größern Opfern. Dieser Prozeß wird wahrscheinlich noch lange fortdauern. Wir sehen zwar im Südosten kleine Staaten sich von den großen lösen und sich sür sich ausbilden, aber ihr Leben wird nicht lange dauern, wenn jeder von ihnen anf die eigne Kraft vertraut. Neben ihm sind Großstaaten erwachsen, die, wenn sie keine moralische Anziehungskraft auf diese Feilspüue der Geschichte üben, in tausend Beziehungen Magnete sind. Andre wieder sind Polypen zu vergleichen, die sich nehmen, was nicht von selbst kommen will. Die Balkan¬ völker müssen innewerden, daß sie nicht sicher fortleben können, wenn sie ver¬ einzelt zwischen Großstaaten fortexistiren, die sich jederzeit darüber verständigen können, die Traube, Beere bei Beere gemeinsam zu essen, dieser auf der einen Seite und jener ans der andern, Sie müssen ferner wissen, daß der eine der beiden einen guten Magen hat, der viel verträgt und so gründlich verdaut, daß von dem Wesen des Verspeisten alles in das seinige übergeht. Auch ein sehr großes Serbien würde sich davor nicht zu schlitzen vermögen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/172>, abgerufen am 15.01.2025.