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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
Drittes Kapitel.

u. den Anstalten, an welchen Harald Stolberg für den Zeichen¬
unterricht gewonnen war, gehörte auch das Institut für die Aus¬
bildung "höherer Töchter", welches von Frau Adele von Flins-
berg an dem Lützowplatze geleitet wurde. Um ihre Töchter vor
ver'Berührung mit dem "gewöhnlichen Volke" zu wahren und ihnen
gleichzeitig denjenigen äußern Schliff zu geben, welcher allein dem
angebornen Adel eigen ist -- Eingeweihtere wußten zwar, daß es mit dem
Adel der Frau von Flinsberg die gleiche Bewandtnis hatte wie mit demjenigen
des Herrn von Blowitz --, schickten sämtliche in der Westvorstadt wohnende
Bankiers und Finanzmänner, d. h. fast ganz Berlin ^V., ihre weiblichen Sprö߬
linge in dieses ausschließliche und vornehme Institut. Fanden sich auch in der
Regel in den Unterrichtsstunden nur die Töchter derjenigen Väter zusammen,
welche am Mittag in den Hallen der Vurgstraße sich vereinigten, um von dort
aus die Finanzen Deutschlands und die Börsen Europas in Bewegung zu setzen,
ab und zu verirrte sich auch eine "Geheimratsgöhre" oder ein nur gewöhnlich
bürgerliches Kind in diese Gesellschaft. Aber im allgemeinen war man in der
Schule "unter sich."

In Deutschland und insbesondre in Preußen ist die allgemeine Schul¬
pflicht so sehr mit der allgemeinen Wehrpflicht verwachsen, daß die erstere nur
in Bezug auf das männliche Geschlecht zur allgemeinen Geltung und Blüte ge¬
langt ist. Abgesehen von den Gemeinde- oder Elementarschulen ist für die Aus¬
bildung der Töchter höherer Stände durch staatliche Anstalten durchaus nicht
dem Bedürfnisse entsprechend gesorgt. Die Frage, was eine "höhere Tochter"
eigentlich zu lernen oder vielmehr nicht zu lernen habe, ist vom pädagogischen
Standpunkte noch nicht gelöst. Daher ist eine höhere Töchterschule ihrem Schul¬
plane nach oft das Abbild einer mittelalterlichen Universität, nur mit dem
Unterschiede, daß man zwar alle sieben freien Künste lehrt, aber sich nicht darum
kümmert, ob sie auch von den Schülerinnen verstanden werden. Da wird von
vierzehnjährigen Mädchen Lessings Laokoon gelesen, es werden ihnen Vorträge




Auf dem Stilfser Joch.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
Drittes Kapitel.

u. den Anstalten, an welchen Harald Stolberg für den Zeichen¬
unterricht gewonnen war, gehörte auch das Institut für die Aus¬
bildung „höherer Töchter", welches von Frau Adele von Flins-
berg an dem Lützowplatze geleitet wurde. Um ihre Töchter vor
ver'Berührung mit dem „gewöhnlichen Volke" zu wahren und ihnen
gleichzeitig denjenigen äußern Schliff zu geben, welcher allein dem
angebornen Adel eigen ist — Eingeweihtere wußten zwar, daß es mit dem
Adel der Frau von Flinsberg die gleiche Bewandtnis hatte wie mit demjenigen
des Herrn von Blowitz —, schickten sämtliche in der Westvorstadt wohnende
Bankiers und Finanzmänner, d. h. fast ganz Berlin ^V., ihre weiblichen Sprö߬
linge in dieses ausschließliche und vornehme Institut. Fanden sich auch in der
Regel in den Unterrichtsstunden nur die Töchter derjenigen Väter zusammen,
welche am Mittag in den Hallen der Vurgstraße sich vereinigten, um von dort
aus die Finanzen Deutschlands und die Börsen Europas in Bewegung zu setzen,
ab und zu verirrte sich auch eine „Geheimratsgöhre" oder ein nur gewöhnlich
bürgerliches Kind in diese Gesellschaft. Aber im allgemeinen war man in der
Schule „unter sich."

In Deutschland und insbesondre in Preußen ist die allgemeine Schul¬
pflicht so sehr mit der allgemeinen Wehrpflicht verwachsen, daß die erstere nur
in Bezug auf das männliche Geschlecht zur allgemeinen Geltung und Blüte ge¬
langt ist. Abgesehen von den Gemeinde- oder Elementarschulen ist für die Aus¬
bildung der Töchter höherer Stände durch staatliche Anstalten durchaus nicht
dem Bedürfnisse entsprechend gesorgt. Die Frage, was eine „höhere Tochter"
eigentlich zu lernen oder vielmehr nicht zu lernen habe, ist vom pädagogischen
Standpunkte noch nicht gelöst. Daher ist eine höhere Töchterschule ihrem Schul¬
plane nach oft das Abbild einer mittelalterlichen Universität, nur mit dem
Unterschiede, daß man zwar alle sieben freien Künste lehrt, aber sich nicht darum
kümmert, ob sie auch von den Schülerinnen verstanden werden. Da wird von
vierzehnjährigen Mädchen Lessings Laokoon gelesen, es werden ihnen Vorträge


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[0173] [Abbildung] Auf dem Stilfser Joch. von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.) Drittes Kapitel. u. den Anstalten, an welchen Harald Stolberg für den Zeichen¬ unterricht gewonnen war, gehörte auch das Institut für die Aus¬ bildung „höherer Töchter", welches von Frau Adele von Flins- berg an dem Lützowplatze geleitet wurde. Um ihre Töchter vor ver'Berührung mit dem „gewöhnlichen Volke" zu wahren und ihnen gleichzeitig denjenigen äußern Schliff zu geben, welcher allein dem angebornen Adel eigen ist — Eingeweihtere wußten zwar, daß es mit dem Adel der Frau von Flinsberg die gleiche Bewandtnis hatte wie mit demjenigen des Herrn von Blowitz —, schickten sämtliche in der Westvorstadt wohnende Bankiers und Finanzmänner, d. h. fast ganz Berlin ^V., ihre weiblichen Sprö߬ linge in dieses ausschließliche und vornehme Institut. Fanden sich auch in der Regel in den Unterrichtsstunden nur die Töchter derjenigen Väter zusammen, welche am Mittag in den Hallen der Vurgstraße sich vereinigten, um von dort aus die Finanzen Deutschlands und die Börsen Europas in Bewegung zu setzen, ab und zu verirrte sich auch eine „Geheimratsgöhre" oder ein nur gewöhnlich bürgerliches Kind in diese Gesellschaft. Aber im allgemeinen war man in der Schule „unter sich." In Deutschland und insbesondre in Preußen ist die allgemeine Schul¬ pflicht so sehr mit der allgemeinen Wehrpflicht verwachsen, daß die erstere nur in Bezug auf das männliche Geschlecht zur allgemeinen Geltung und Blüte ge¬ langt ist. Abgesehen von den Gemeinde- oder Elementarschulen ist für die Aus¬ bildung der Töchter höherer Stände durch staatliche Anstalten durchaus nicht dem Bedürfnisse entsprechend gesorgt. Die Frage, was eine „höhere Tochter" eigentlich zu lernen oder vielmehr nicht zu lernen habe, ist vom pädagogischen Standpunkte noch nicht gelöst. Daher ist eine höhere Töchterschule ihrem Schul¬ plane nach oft das Abbild einer mittelalterlichen Universität, nur mit dem Unterschiede, daß man zwar alle sieben freien Künste lehrt, aber sich nicht darum kümmert, ob sie auch von den Schülerinnen verstanden werden. Da wird von vierzehnjährigen Mädchen Lessings Laokoon gelesen, es werden ihnen Vorträge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/173>, abgerufen am 15.01.2025.