Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Balkmistaaten und die Großmächte. würde. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Oesterreich und Auch England hat keinen Grund, in betreff der Bulgarenländer mit be¬ Dagegen war ein bleibend wichtiger, ja vielleicht der wichtigste Punkt des Die Balkmistaaten und die Großmächte. würde. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Oesterreich und Auch England hat keinen Grund, in betreff der Bulgarenländer mit be¬ Dagegen war ein bleibend wichtiger, ja vielleicht der wichtigste Punkt des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196905"/> <fw type="header" place="top"> Die Balkmistaaten und die Großmächte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_535" prev="#ID_534"> würde. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Oesterreich und<lb/> Rußland werden keinen Finger heben, wenn die Bulgaren sich genugsam selbst<lb/> beschränken und mit dem jetzt Gewonnenen zufrieden bleiben. Daraus folgt aber<lb/> keineswegs, daß sie einer Aktion König Milans gegenüber, die in Altserbien<lb/> dem Vorgehen der Bulgaren in Rumelien ein Seitenstück zu schaffen strebte,<lb/> ebenso gleichgiltig zuschauen würden. Keine Macht, abgesehen von der Pforte,<lb/> hat ein Interesse daran, sich der Vereinigung Ostrumcliens mit Bulgarien zu<lb/> widersetzen. Dagegen würde die Besitznahme macedonischen Gebietes Rußland<lb/> vor den Kopf stoßen, welches die Bulgaren dieser Provinz als seine besondre<lb/> Schützlinge betrachtet und Ursache hat, den Serben nicht wohlzuwollen, den<lb/> Fürsten Alexander bewegen, dem Angriff Widerstand zu leisten, und Oesterreich<lb/> als Gefahr für Bosnien, auch ein altes Serbenland, und als Hemmnis für eine<lb/> dereinstige Weiterbewegung, für den in der Zukunft vielleicht notwendig werden<lb/> Marsch nach Salvnik erscheinen. Es ist daher nicht anzunehmen, daß man in<lb/> Petersburg und Wien eine solche serbische Aggression zulassen würde. Die<lb/> Nebenbuhlerschaft Oesterreichs und Rußland, Serbiens nud der andern kleinen<lb/> Balkanstaaten bei der Anwartschaft in der europäischen Türkei ist die beste<lb/> Basis unsrer Hoffnung, daß der Friede im Südosten nicht weiter gestört<lb/> werden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_536"> Auch England hat keinen Grund, in betreff der Bulgarenländer mit be¬<lb/> sondrer Energie als Verteidiger des Berliner Friedensvertrages aufzutreten.<lb/> Die Bestimmungen desselben, welche diese Länder von einander trennten, kamen<lb/> allerdings durch die englischen Bevollmächtigten des Kongresses von 1878 in<lb/> jenen hinein, und einer dieser Bevollmächtigten leitet jetzt als oberster Rat der<lb/> Königin Viktoria die britische Politik. Aber die Verhältnisse haben sich seitdem<lb/> verändert, die Hauptvoraussetzungen jener Bestimmungen sind nicht eingetroffen.<lb/> Gewiß würde die Trennung in Bulgarien und Ostrumelien ein wichtiger Teil<lb/> des Friedenstraktats gewesen und geblieben sein, wenn der Sultan die ihm er¬<lb/> teilte Erlaubnis, die Balkangrenze zwischen den beiden an ihren Pässen zu be¬<lb/> festigen und zu besetzen, benntzt hätte. Er unterließ es, der ewige Geldmangel,<lb/> welcher die Hauptursache der ottomanischen Ohnmacht und Ünthütigkeit ist,<lb/> zwang die Türken, von dieser Vorsichtsmaßregel abzusehen. Das Bulgaren-<lb/> lnud blieb dem Rechte nach und auf der Landkarte getrennt, thatsächlich mußte<lb/> es über kurz oder laug eins werden, und es macht jetzt keinen erheblichen Unter¬<lb/> schied, ob das Gebiet im Süden des Balkans von einem erblichen Vasallen der<lb/> Pforte oder von einem durch sie ernannten christlichen Generalgouvemeur re¬<lb/> giert wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_537" next="#ID_538"> Dagegen war ein bleibend wichtiger, ja vielleicht der wichtigste Punkt des<lb/> Friedens von 1878 die Klausel des betreffenden Traktats, nach welcher die<lb/> Mächte sich entschlossen, Oesterreich mit der Pazifikation, der Verwaltung und<lb/> dem Schutze Bosniens und der Herzegowina zu betrauen. Die Wortführer und<lb/> Sachwalter des Panslawismus in Europa verschrieen dies als eine der ärgsten<lb/> Greuelthaten Lord Beaeonsfields, und Gladstone ließ sich durch feine Schwärmerei<lb/> für die Freiheit der slawischen Völker der Balkanhalbinsel verleiten, in Midlothian<lb/> das Echo dieser absurden Klagerufe zu machen. Jener Artikel des Friedens¬<lb/> vertrages hat jedoch die Prüfung durch die nachfolgende Zeit wohl bestanden<lb/> und außerordentlich viel sür die Erhaltung des Friedens in jenen Gegenden<lb/> und ihrer Nachbarschaft geleistet. Kein Teil von dem, was ehemals die euro¬<lb/> päische Türkei hieß, ist so ruhig, keiner gedeiht und entwickelt sich so erfreulich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0171]
Die Balkmistaaten und die Großmächte.
würde. Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Oesterreich und
Rußland werden keinen Finger heben, wenn die Bulgaren sich genugsam selbst
beschränken und mit dem jetzt Gewonnenen zufrieden bleiben. Daraus folgt aber
keineswegs, daß sie einer Aktion König Milans gegenüber, die in Altserbien
dem Vorgehen der Bulgaren in Rumelien ein Seitenstück zu schaffen strebte,
ebenso gleichgiltig zuschauen würden. Keine Macht, abgesehen von der Pforte,
hat ein Interesse daran, sich der Vereinigung Ostrumcliens mit Bulgarien zu
widersetzen. Dagegen würde die Besitznahme macedonischen Gebietes Rußland
vor den Kopf stoßen, welches die Bulgaren dieser Provinz als seine besondre
Schützlinge betrachtet und Ursache hat, den Serben nicht wohlzuwollen, den
Fürsten Alexander bewegen, dem Angriff Widerstand zu leisten, und Oesterreich
als Gefahr für Bosnien, auch ein altes Serbenland, und als Hemmnis für eine
dereinstige Weiterbewegung, für den in der Zukunft vielleicht notwendig werden
Marsch nach Salvnik erscheinen. Es ist daher nicht anzunehmen, daß man in
Petersburg und Wien eine solche serbische Aggression zulassen würde. Die
Nebenbuhlerschaft Oesterreichs und Rußland, Serbiens nud der andern kleinen
Balkanstaaten bei der Anwartschaft in der europäischen Türkei ist die beste
Basis unsrer Hoffnung, daß der Friede im Südosten nicht weiter gestört
werden wird.
Auch England hat keinen Grund, in betreff der Bulgarenländer mit be¬
sondrer Energie als Verteidiger des Berliner Friedensvertrages aufzutreten.
Die Bestimmungen desselben, welche diese Länder von einander trennten, kamen
allerdings durch die englischen Bevollmächtigten des Kongresses von 1878 in
jenen hinein, und einer dieser Bevollmächtigten leitet jetzt als oberster Rat der
Königin Viktoria die britische Politik. Aber die Verhältnisse haben sich seitdem
verändert, die Hauptvoraussetzungen jener Bestimmungen sind nicht eingetroffen.
Gewiß würde die Trennung in Bulgarien und Ostrumelien ein wichtiger Teil
des Friedenstraktats gewesen und geblieben sein, wenn der Sultan die ihm er¬
teilte Erlaubnis, die Balkangrenze zwischen den beiden an ihren Pässen zu be¬
festigen und zu besetzen, benntzt hätte. Er unterließ es, der ewige Geldmangel,
welcher die Hauptursache der ottomanischen Ohnmacht und Ünthütigkeit ist,
zwang die Türken, von dieser Vorsichtsmaßregel abzusehen. Das Bulgaren-
lnud blieb dem Rechte nach und auf der Landkarte getrennt, thatsächlich mußte
es über kurz oder laug eins werden, und es macht jetzt keinen erheblichen Unter¬
schied, ob das Gebiet im Süden des Balkans von einem erblichen Vasallen der
Pforte oder von einem durch sie ernannten christlichen Generalgouvemeur re¬
giert wird.
Dagegen war ein bleibend wichtiger, ja vielleicht der wichtigste Punkt des
Friedens von 1878 die Klausel des betreffenden Traktats, nach welcher die
Mächte sich entschlossen, Oesterreich mit der Pazifikation, der Verwaltung und
dem Schutze Bosniens und der Herzegowina zu betrauen. Die Wortführer und
Sachwalter des Panslawismus in Europa verschrieen dies als eine der ärgsten
Greuelthaten Lord Beaeonsfields, und Gladstone ließ sich durch feine Schwärmerei
für die Freiheit der slawischen Völker der Balkanhalbinsel verleiten, in Midlothian
das Echo dieser absurden Klagerufe zu machen. Jener Artikel des Friedens¬
vertrages hat jedoch die Prüfung durch die nachfolgende Zeit wohl bestanden
und außerordentlich viel sür die Erhaltung des Friedens in jenen Gegenden
und ihrer Nachbarschaft geleistet. Kein Teil von dem, was ehemals die euro¬
päische Türkei hieß, ist so ruhig, keiner gedeiht und entwickelt sich so erfreulich
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