Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die proportionale Berufsklassenwahl. alle Gaue des Reiches in so kleinen Partikelchen verteilt, daß ihr numerisches Es ist nicht unsre Absicht, auf eine theoretische Untersuchung der inneren Ein derartiges Mittel nun bietet sich uns in einer Revision des Wahl¬ Die proportionale Berufsklassenwahl. alle Gaue des Reiches in so kleinen Partikelchen verteilt, daß ihr numerisches Es ist nicht unsre Absicht, auf eine theoretische Untersuchung der inneren Ein derartiges Mittel nun bietet sich uns in einer Revision des Wahl¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196746"/> <fw type="header" place="top"> Die proportionale Berufsklassenwahl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_17" prev="#ID_16"> alle Gaue des Reiches in so kleinen Partikelchen verteilt, daß ihr numerisches<lb/> Gewicht in den an der Urne erfochtenen Wahlsiegen keineswegs zum korrekten<lb/> Ausdruck gelaugt. Besonders in der Zusammensetzung des gegenwärtig vereinigten<lb/> Reichstages ist infolge der großen Zahl von Stichwahlen und der dadurch<lb/> hervorgerufenen, zum Teil ganz unnatürlichen Wahlbündnisse das eigentliche<lb/> Wahlergebnis verschoben und, wenn man will, gefälscht. Nach Maßgabe des<lb/> Verhältnisses der abgegebenen Stimmen hätte die sozialdemokratische Partei nicht<lb/> vierundzwanzig, sondern siebenunddreißig Sitze erhalten müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_18"> Es ist nicht unsre Absicht, auf eine theoretische Untersuchung der inneren<lb/> Gründe dieser Bewegung einzugehen. Auch halten wir es für überflüssig,<lb/> in den Chorus der Vorwürfe einzustimmen, mit welchen sich die andern<lb/> politischen Gruppen überhäufen, indem sie sich gegenseitig die Schuld unzu¬<lb/> reichender Abwehr gegen die Bestrebungen der Umsturzpartei zuschieben. Es<lb/> ist ja richtig, daß die Lässigkeit vieler Staatsbürger und die tadcluswerte<lb/> Gleichgiltigkeit der höheren Gesellschaftsklassen die Agitation der Sozialisten<lb/> begünstigt. Ebenso gewiß ist, daß bei den Wahlen ungesunde und unmoralische Koa¬<lb/> litionen mit der Sozialdemokratie geschlossen worden sind, um persönlich gehaßte<lb/> Gegner der konkurrirenden Parteien abzudrängen. Die Folgen dieser bedauer¬<lb/> lichen Wahltaktik werde» wir alle zu büßen haben. Duobus oortMckibas tortius<lb/> g-i-Mol. Wir müssen aber die Thatsache konstatiren, daß uns aus der Bewegung,<lb/> die deu vierten Stand ergriffen, eine Gefahr heranwächst, welche das Gespenst<lb/> einer sozialen Revolution nicht bloß in nebelhaften Umrissen, sondern schon in<lb/> bestimmt gezognen Linien erkennen läßt. Diese Erscheinung mit reaktionären<lb/> Beschwörungsformeln bannen zu wolle», verriete einen strafbaren Leichtsinn oder<lb/> klägliche Uttwissciiheit. N»r eine tiefgreifende Umgestaltung unsers heutigen<lb/> Staatslebens würde die weitgehenden Wünsche der Arbeiterpartei befriedigen.<lb/> Eine solche Umwälzung aber können wir nicht näher rücken sehen, ohne<lb/> wenigstens deu Versuch zu macheu, gegen die steigende Welle der Unzufriedenheit<lb/> einen Damm aufzurichten oder ihr Niveau durch ein zweckmäßiges System von<lb/> Abzugskanälen herabzudrücken. Dieser Versuch ist gemacht worden, aber weder<lb/> der Damm des Sozialistengesetzes, noch die Zusicherungen staatlicher Fürsorge<lb/> für invalide oder notleidende Arbeiter verbürgen für die Dauer ausreichenden<lb/> Schutz. Wir wiederholen es: die Sozialdemokratie kann sich ihrem innern<lb/> Wesen nach mit partiellen Zugeständnissen nicht abfinden lassen. Ihren radikalen<lb/> Forderungen gegenüber ist es Pflicht aller staatserhaltenden Elemente, sich fest<lb/> zusammenzuscharen, die kleinlichen Parteifehden und persönlichen Zänkereien auf¬<lb/> zugeben und mich einem letzten Mittel zu suchen, das, durchgreifender als<lb/> Palliativmaßregeln, den Staatsorganismus vor der drohenden Auflösung schützt.</p><lb/> <p xml:id="ID_19"> Ein derartiges Mittel nun bietet sich uns in einer Revision des Wahl¬<lb/> gesetzes, und zwar einer solchen, die einschneidend genug wäre, um eine partielle<lb/> Auflösung und Umbildung des ganzen heutigen Parteiwesens zu veranlassen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Die proportionale Berufsklassenwahl.
alle Gaue des Reiches in so kleinen Partikelchen verteilt, daß ihr numerisches
Gewicht in den an der Urne erfochtenen Wahlsiegen keineswegs zum korrekten
Ausdruck gelaugt. Besonders in der Zusammensetzung des gegenwärtig vereinigten
Reichstages ist infolge der großen Zahl von Stichwahlen und der dadurch
hervorgerufenen, zum Teil ganz unnatürlichen Wahlbündnisse das eigentliche
Wahlergebnis verschoben und, wenn man will, gefälscht. Nach Maßgabe des
Verhältnisses der abgegebenen Stimmen hätte die sozialdemokratische Partei nicht
vierundzwanzig, sondern siebenunddreißig Sitze erhalten müssen.
Es ist nicht unsre Absicht, auf eine theoretische Untersuchung der inneren
Gründe dieser Bewegung einzugehen. Auch halten wir es für überflüssig,
in den Chorus der Vorwürfe einzustimmen, mit welchen sich die andern
politischen Gruppen überhäufen, indem sie sich gegenseitig die Schuld unzu¬
reichender Abwehr gegen die Bestrebungen der Umsturzpartei zuschieben. Es
ist ja richtig, daß die Lässigkeit vieler Staatsbürger und die tadcluswerte
Gleichgiltigkeit der höheren Gesellschaftsklassen die Agitation der Sozialisten
begünstigt. Ebenso gewiß ist, daß bei den Wahlen ungesunde und unmoralische Koa¬
litionen mit der Sozialdemokratie geschlossen worden sind, um persönlich gehaßte
Gegner der konkurrirenden Parteien abzudrängen. Die Folgen dieser bedauer¬
lichen Wahltaktik werde» wir alle zu büßen haben. Duobus oortMckibas tortius
g-i-Mol. Wir müssen aber die Thatsache konstatiren, daß uns aus der Bewegung,
die deu vierten Stand ergriffen, eine Gefahr heranwächst, welche das Gespenst
einer sozialen Revolution nicht bloß in nebelhaften Umrissen, sondern schon in
bestimmt gezognen Linien erkennen läßt. Diese Erscheinung mit reaktionären
Beschwörungsformeln bannen zu wolle», verriete einen strafbaren Leichtsinn oder
klägliche Uttwissciiheit. N»r eine tiefgreifende Umgestaltung unsers heutigen
Staatslebens würde die weitgehenden Wünsche der Arbeiterpartei befriedigen.
Eine solche Umwälzung aber können wir nicht näher rücken sehen, ohne
wenigstens deu Versuch zu macheu, gegen die steigende Welle der Unzufriedenheit
einen Damm aufzurichten oder ihr Niveau durch ein zweckmäßiges System von
Abzugskanälen herabzudrücken. Dieser Versuch ist gemacht worden, aber weder
der Damm des Sozialistengesetzes, noch die Zusicherungen staatlicher Fürsorge
für invalide oder notleidende Arbeiter verbürgen für die Dauer ausreichenden
Schutz. Wir wiederholen es: die Sozialdemokratie kann sich ihrem innern
Wesen nach mit partiellen Zugeständnissen nicht abfinden lassen. Ihren radikalen
Forderungen gegenüber ist es Pflicht aller staatserhaltenden Elemente, sich fest
zusammenzuscharen, die kleinlichen Parteifehden und persönlichen Zänkereien auf¬
zugeben und mich einem letzten Mittel zu suchen, das, durchgreifender als
Palliativmaßregeln, den Staatsorganismus vor der drohenden Auflösung schützt.
Ein derartiges Mittel nun bietet sich uns in einer Revision des Wahl¬
gesetzes, und zwar einer solchen, die einschneidend genug wäre, um eine partielle
Auflösung und Umbildung des ganzen heutigen Parteiwesens zu veranlassen.
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