Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die proportionale Berufsklassenwcchl. Die gleiche wohlwollende Beurteilung der gesetzgebenden Körperschaft finden Wer also in Zukunft auf eine ehrliche Mitwirkung der sozialdemokratischen Das ist das wahre Gesicht des Sozialismus, das er uns hohnlachend zeigt, Weit wichtiger als die Zahl der Mandate ist das Wachstum der abgegebenen Die proportionale Berufsklassenwcchl. Die gleiche wohlwollende Beurteilung der gesetzgebenden Körperschaft finden Wer also in Zukunft auf eine ehrliche Mitwirkung der sozialdemokratischen Das ist das wahre Gesicht des Sozialismus, das er uns hohnlachend zeigt, Weit wichtiger als die Zahl der Mandate ist das Wachstum der abgegebenen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196745"/> <fw type="header" place="top"> Die proportionale Berufsklassenwcchl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_13"> Die gleiche wohlwollende Beurteilung der gesetzgebenden Körperschaft finden<lb/> wir fast bei allen Führern der sozialdemokratischen Partei. Das Resultat ist<lb/> denn auch die unfruchtbare Negation, an welcher ihre Mandatare im Reichs¬<lb/> tage festgehalten haben, und die Thatsache, daß kein Einziger sich über das<lb/> Niveau der gewöhnlichen Phrase in seinen oratorischen Leistungen erhoben hat.<lb/> Schweitzer allein hat sich während der Session von 1869 an der Debatte über die<lb/> neue Gewerbeordnung beteiligt und einzelnen seiner Gesichtspunkte in dem neuen<lb/> Gesetze Eingang verschafft. Diese parlamentarische Thätigkeit hat seine Popu¬<lb/> larität im sozialistischen Lager aber keineswegs erhöht, sondern ihm vielmehr<lb/> Verdächtigungen vonseiten der andern Agitatoren zugezogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_14"> Wer also in Zukunft auf eine ehrliche Mitwirkung der sozialdemokratischen<lb/> Vertreter bei einer friedlichen Reform rechnet, giebt sich einem bedenklichen<lb/> Irrtum hiu, der umso gefährlicher werden kauu, je mehr die Zahl dieser Ver¬<lb/> treter im Reichstage anwächst. Nach der in jenem Lager geltenden Ansicht ist<lb/> der Sozialismus keine Frage, welche im Wege der Gesetzgebung gelöst werden<lb/> könnte, sondern ein dynamisches Gesetz, eine Machtfrage, die auf der Straße aus¬<lb/> gekämpft werden muß. Allenfalls, so heißt es dort, gewähre der Reichstag den Vor¬<lb/> teil, daß „wenn das Volk, wenn die Arbeiterbatailloue gerüstet an den Thoren den<lb/> Parlamentes stehe», dann vielleicht ein von der Tribüne geschleudertes Wort,<lb/> zündend wie ein elektrischer Funke, das Signal zur befreienden That geben könne."</p><lb/> <p xml:id="ID_15"> Das ist das wahre Gesicht des Sozialismus, das er uns hohnlachend zeigt,<lb/> wenn die Wahlschlacht vorüber ist. Zu gewissen Zeiten freilich nimmt er die<lb/> Maske eines maßvollen, realpolitischen Programms vor, aber sie taugt uur<lb/> dazu, die bedächtigeren, einem allzu tollen Radikalismus abholden Elemente,<lb/> namentlich unter der ländlichen Bevölkerung, an die Urne zu locken. Wir ge¬<lb/> stehen es offen ein: wir glauben nicht an die Möglichkeit eines einmütiger<lb/> Zusammenwirkens der staatserhaltenden Elemente unsers Reiches mit den vier¬<lb/> undzwanzig Delegieren der Sozialdemokratie. Sie können sich ans Kompromisse<lb/> nicht einlassen, auch wenn einzelne unter ihnen persönliche Neigung dazu ver¬<lb/> spürten oder selbst die ganze Gruppe, dem Kitzel der Eitelkeit nachgebend, den<lb/> Wert.ihres Votums in einzelnen Fällen geltend zu machen wünschte. Das<lb/> Prinzip, das sie vertreten, läßt eine Verständigung schlechterdings nicht zu. Wir<lb/> können das begonnene Werk der sozialen Reform fortsetzen, aber nicht mit ihnen,<lb/> sondern gegen sie. Wenn im Jahre 1887 die Sozialisten anstatt der gegenwärtig<lb/> ausgetretenen 550000 mit einer Million Stimmen ins Feld rücken, wenn acht-<lb/> undvierzig Abgeordnete dieser Partei im Reichstage ihren Sitz einnehmen sollten,<lb/> dann wird man sich die Frage vorlegen, ob das Übel thatsächlich noch das<lb/> kleinere sei und ob es sich empfehle, den freisinnigen Teufel durch deu sozialistischen<lb/> Beelzebub auszutreiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Weit wichtiger als die Zahl der Mandate ist das Wachstum der abgegebenen<lb/> Stimmen. Denn mit Ausnahme einzelner großen Städte ist die Partei über</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Die proportionale Berufsklassenwcchl.
Die gleiche wohlwollende Beurteilung der gesetzgebenden Körperschaft finden
wir fast bei allen Führern der sozialdemokratischen Partei. Das Resultat ist
denn auch die unfruchtbare Negation, an welcher ihre Mandatare im Reichs¬
tage festgehalten haben, und die Thatsache, daß kein Einziger sich über das
Niveau der gewöhnlichen Phrase in seinen oratorischen Leistungen erhoben hat.
Schweitzer allein hat sich während der Session von 1869 an der Debatte über die
neue Gewerbeordnung beteiligt und einzelnen seiner Gesichtspunkte in dem neuen
Gesetze Eingang verschafft. Diese parlamentarische Thätigkeit hat seine Popu¬
larität im sozialistischen Lager aber keineswegs erhöht, sondern ihm vielmehr
Verdächtigungen vonseiten der andern Agitatoren zugezogen.
Wer also in Zukunft auf eine ehrliche Mitwirkung der sozialdemokratischen
Vertreter bei einer friedlichen Reform rechnet, giebt sich einem bedenklichen
Irrtum hiu, der umso gefährlicher werden kauu, je mehr die Zahl dieser Ver¬
treter im Reichstage anwächst. Nach der in jenem Lager geltenden Ansicht ist
der Sozialismus keine Frage, welche im Wege der Gesetzgebung gelöst werden
könnte, sondern ein dynamisches Gesetz, eine Machtfrage, die auf der Straße aus¬
gekämpft werden muß. Allenfalls, so heißt es dort, gewähre der Reichstag den Vor¬
teil, daß „wenn das Volk, wenn die Arbeiterbatailloue gerüstet an den Thoren den
Parlamentes stehe», dann vielleicht ein von der Tribüne geschleudertes Wort,
zündend wie ein elektrischer Funke, das Signal zur befreienden That geben könne."
Das ist das wahre Gesicht des Sozialismus, das er uns hohnlachend zeigt,
wenn die Wahlschlacht vorüber ist. Zu gewissen Zeiten freilich nimmt er die
Maske eines maßvollen, realpolitischen Programms vor, aber sie taugt uur
dazu, die bedächtigeren, einem allzu tollen Radikalismus abholden Elemente,
namentlich unter der ländlichen Bevölkerung, an die Urne zu locken. Wir ge¬
stehen es offen ein: wir glauben nicht an die Möglichkeit eines einmütiger
Zusammenwirkens der staatserhaltenden Elemente unsers Reiches mit den vier¬
undzwanzig Delegieren der Sozialdemokratie. Sie können sich ans Kompromisse
nicht einlassen, auch wenn einzelne unter ihnen persönliche Neigung dazu ver¬
spürten oder selbst die ganze Gruppe, dem Kitzel der Eitelkeit nachgebend, den
Wert.ihres Votums in einzelnen Fällen geltend zu machen wünschte. Das
Prinzip, das sie vertreten, läßt eine Verständigung schlechterdings nicht zu. Wir
können das begonnene Werk der sozialen Reform fortsetzen, aber nicht mit ihnen,
sondern gegen sie. Wenn im Jahre 1887 die Sozialisten anstatt der gegenwärtig
ausgetretenen 550000 mit einer Million Stimmen ins Feld rücken, wenn acht-
undvierzig Abgeordnete dieser Partei im Reichstage ihren Sitz einnehmen sollten,
dann wird man sich die Frage vorlegen, ob das Übel thatsächlich noch das
kleinere sei und ob es sich empfehle, den freisinnigen Teufel durch deu sozialistischen
Beelzebub auszutreiben.
Weit wichtiger als die Zahl der Mandate ist das Wachstum der abgegebenen
Stimmen. Denn mit Ausnahme einzelner großen Städte ist die Partei über
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