Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zeitlingsmusik. Komposition entlehnt, einer neuen als Grundlage diente (z. B. Fantasie über Was die Konzert- oder reine Instrumentalmusik betrifft, so hat die Re¬ Daß alle Reklame in der Musik auf die Urheber oder Verleger der ein¬ Da alles, was in der Kunst Aufsehen macht, seine Verteidiger findet, so Zeitlingsmusik. Komposition entlehnt, einer neuen als Grundlage diente (z. B. Fantasie über Was die Konzert- oder reine Instrumentalmusik betrifft, so hat die Re¬ Daß alle Reklame in der Musik auf die Urheber oder Verleger der ein¬ Da alles, was in der Kunst Aufsehen macht, seine Verteidiger findet, so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196845"/> <fw type="header" place="top"> Zeitlingsmusik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_292" prev="#ID_291"> Komposition entlehnt, einer neuen als Grundlage diente (z. B. Fantasie über<lb/> Motive ans der Oper ?,e.). Neuerdings wird das Wort auf jeden Tonsetzer<lb/> angewandt, der zu gar keiner Entwicklung kommt. Es geschieht hauptsächlich<lb/> da, wo die eigentliche Melodie fehlt, und „Phrase" oder „Figur" nicht vornehm<lb/> genug klingt, ist an sich widersinnig, wird aber von vielen Personen für eine<lb/> Art Fortschritt gehalten und nachgesprochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_293"> Was die Konzert- oder reine Instrumentalmusik betrifft, so hat die Re¬<lb/> klame hier aus naheliegenden Gründen nicht denselben Erfolg wie bei der Oper.<lb/> Es versteht sich, daß sogenannte Programmmusik die Hauptstärke der Zukunfts¬<lb/> musik ist. An sich sind Programme keineswegs zu verwerfen, da nicht abzu¬<lb/> sehen ist, warum die Andeutung der äußern Veranlassung einer durch die Musik<lb/> ausgedrückten Seelenstimmung zu verwerfen wäre, es werden aber in Pro¬<lb/> grammen häufig der Musik Dinge zugemutet, die außerhalb des Bereiches dieser<lb/> Kunst liegen. Fabelhafte Titel, deren Zusammenhang mit der Musik, die sie<lb/> einleiten, noch niemand ergründet hat, erregen wohl für den Augenblick<lb/> die Neugier, führen aber bald zu einer Erkältung der Hörer, welche das mit<lb/> Aufmerksamkeit gesuchte natürlich nicht finden. Ganz besonders zu Titeln ver¬<lb/> wendet werden neuerdings historisch oder poetisch bekannte Persönlichkeiten, und<lb/> man muß sich eigentlich wundern, daß der hervorragendste Stciatsmaun der<lb/> Gegenwart noch nicht symphonisch bearbeitet worden ist. Um ist übrigens die<lb/> Programmmusik keineswegs. Schon Timotheus, der Hofkapellmeister Alexanders<lb/> des Großen, versuchte in einem Konzerte in Ekbatana auf der Kithara einen<lb/> „Seesturm" darzustellen, welches kühne Unternehmen den anwesenden Flöten¬<lb/> spieler Dvrion zu der schnöden Bemerkung veranlaßte, er habe in einem Koch¬<lb/> topfe schon größere Stürme erlebt. So alt ist diese Art der Programmmnsik<lb/> schon, und so alt auch ihre Verspottung.</p><lb/> <p xml:id="ID_294"> Daß alle Reklame in der Musik auf die Urheber oder Verleger der ein¬<lb/> zelnen Werke zurückzuführen ist, versteht sich von selbst. Eines der schönsten<lb/> Beispiele fand sich in der Vossischen Zeitung (Mai 1876) über „Triften und<lb/> Isolde" mit der eignen Unterschrift Wagners: „Die Hörer müssen sich inne<lb/> werden, daß diese »Motive«, welche ihres bedeutenden Ausdrucks willen der aus¬<lb/> führlichsten Harmonisation wie der selbständigst bewegten orchestralen Behand¬<lb/> lung bedurften, um zwischen äußerstem Wonneverlangcn (!) und allerentschic-<lb/> denfter Todcssehnsucht (!) wechselndes Gefühlsleben auszudrücken, wie es bisher<lb/> noch in keinem symphonischen Satz mit gleicher Kvmbiucitionsfülle entworfen<lb/> werden konnte und somit wiederum (?) nur durch Jnstrumcntalkombinationen zu<lb/> versinnlichen war, wie sie kaum noch reiner Jnstrumentalkomponisten in das<lb/> Spiel zu setzen sich genötigt sehen durften (??)" ?c. Gewiß recht bescheiden. Und<lb/> so schreibt ein Mann, der bei der Nation der „Denker" vielen für einen<lb/> Dichter gilt, und infolge seiner eignen Versicherung sogar über Beethoven ge¬<lb/> stellt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_295"> Da alles, was in der Kunst Aufsehen macht, seine Verteidiger findet, so<lb/> wird das Geschäft der Reklame in einzelnen Fällen sogar von musikalisch nicht<lb/> ungebildeten Personen auf eigne Hand gratis fortgesetzt, wenn nur der Name<lb/> des Komponisten erst festgestellt ist. Die Anstrengungen, welche jüngere, im<lb/> guten Glauben an die Zeitungsmusik aufgewachsene Musiker oft machen, um<lb/> dem, was sie für gut halten, Eingang zu' verschaffen, würden an sich Achtung<lb/> verdienen, wenn man diese auch auf ihre musikalische Urteilsfähigkeit ausdehnen<lb/> könnte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Zeitlingsmusik.
Komposition entlehnt, einer neuen als Grundlage diente (z. B. Fantasie über
Motive ans der Oper ?,e.). Neuerdings wird das Wort auf jeden Tonsetzer
angewandt, der zu gar keiner Entwicklung kommt. Es geschieht hauptsächlich
da, wo die eigentliche Melodie fehlt, und „Phrase" oder „Figur" nicht vornehm
genug klingt, ist an sich widersinnig, wird aber von vielen Personen für eine
Art Fortschritt gehalten und nachgesprochen.
Was die Konzert- oder reine Instrumentalmusik betrifft, so hat die Re¬
klame hier aus naheliegenden Gründen nicht denselben Erfolg wie bei der Oper.
Es versteht sich, daß sogenannte Programmmusik die Hauptstärke der Zukunfts¬
musik ist. An sich sind Programme keineswegs zu verwerfen, da nicht abzu¬
sehen ist, warum die Andeutung der äußern Veranlassung einer durch die Musik
ausgedrückten Seelenstimmung zu verwerfen wäre, es werden aber in Pro¬
grammen häufig der Musik Dinge zugemutet, die außerhalb des Bereiches dieser
Kunst liegen. Fabelhafte Titel, deren Zusammenhang mit der Musik, die sie
einleiten, noch niemand ergründet hat, erregen wohl für den Augenblick
die Neugier, führen aber bald zu einer Erkältung der Hörer, welche das mit
Aufmerksamkeit gesuchte natürlich nicht finden. Ganz besonders zu Titeln ver¬
wendet werden neuerdings historisch oder poetisch bekannte Persönlichkeiten, und
man muß sich eigentlich wundern, daß der hervorragendste Stciatsmaun der
Gegenwart noch nicht symphonisch bearbeitet worden ist. Um ist übrigens die
Programmmusik keineswegs. Schon Timotheus, der Hofkapellmeister Alexanders
des Großen, versuchte in einem Konzerte in Ekbatana auf der Kithara einen
„Seesturm" darzustellen, welches kühne Unternehmen den anwesenden Flöten¬
spieler Dvrion zu der schnöden Bemerkung veranlaßte, er habe in einem Koch¬
topfe schon größere Stürme erlebt. So alt ist diese Art der Programmmnsik
schon, und so alt auch ihre Verspottung.
Daß alle Reklame in der Musik auf die Urheber oder Verleger der ein¬
zelnen Werke zurückzuführen ist, versteht sich von selbst. Eines der schönsten
Beispiele fand sich in der Vossischen Zeitung (Mai 1876) über „Triften und
Isolde" mit der eignen Unterschrift Wagners: „Die Hörer müssen sich inne
werden, daß diese »Motive«, welche ihres bedeutenden Ausdrucks willen der aus¬
führlichsten Harmonisation wie der selbständigst bewegten orchestralen Behand¬
lung bedurften, um zwischen äußerstem Wonneverlangcn (!) und allerentschic-
denfter Todcssehnsucht (!) wechselndes Gefühlsleben auszudrücken, wie es bisher
noch in keinem symphonischen Satz mit gleicher Kvmbiucitionsfülle entworfen
werden konnte und somit wiederum (?) nur durch Jnstrumcntalkombinationen zu
versinnlichen war, wie sie kaum noch reiner Jnstrumentalkomponisten in das
Spiel zu setzen sich genötigt sehen durften (??)" ?c. Gewiß recht bescheiden. Und
so schreibt ein Mann, der bei der Nation der „Denker" vielen für einen
Dichter gilt, und infolge seiner eignen Versicherung sogar über Beethoven ge¬
stellt wird.
Da alles, was in der Kunst Aufsehen macht, seine Verteidiger findet, so
wird das Geschäft der Reklame in einzelnen Fällen sogar von musikalisch nicht
ungebildeten Personen auf eigne Hand gratis fortgesetzt, wenn nur der Name
des Komponisten erst festgestellt ist. Die Anstrengungen, welche jüngere, im
guten Glauben an die Zeitungsmusik aufgewachsene Musiker oft machen, um
dem, was sie für gut halten, Eingang zu' verschaffen, würden an sich Achtung
verdienen, wenn man diese auch auf ihre musikalische Urteilsfähigkeit ausdehnen
könnte.
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