Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zeitnngsmnsik. Texte, die man zuweilen findet, nur auf einer entschiednen Unbekanntschaft mit Sehr verbreitet ist auch die Legende von dem Zauber der Jnstrumentation Ein kleines, aber nicht unwichtiges Mittel, musikalische Zusammenhangs- Zeitnngsmnsik. Texte, die man zuweilen findet, nur auf einer entschiednen Unbekanntschaft mit Sehr verbreitet ist auch die Legende von dem Zauber der Jnstrumentation Ein kleines, aber nicht unwichtiges Mittel, musikalische Zusammenhangs- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196844"/> <fw type="header" place="top"> Zeitnngsmnsik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_289" prev="#ID_288"> Texte, die man zuweilen findet, nur auf einer entschiednen Unbekanntschaft mit<lb/> beiden beruhen kann. Schlechte Opern giebt es in Menge, aber die guten haben<lb/> stets gute, oft sogar als selbständige Dichtungen wertvolle Texte gehabt, vor¬<lb/> zuglich die ältern italienischen und französischen (Metastasio, da Ponte, Quincmlt,<lb/> Jouy), Die i» Berichten so oft wiederkehrenden Bezeichnungen einer Musik als<lb/> „entzückend," „berauschend" ?.e. sind zwar, weil auf persönlichen Eindrücken<lb/> beruhend, weder zu beweisen noch zu widerlegen, man erstaunt aber doch, wenn<lb/> man sie ernst nimmt, über die dabei zu Tage tretende Verschiedenheit der<lb/> menschlichen Natur. Daß der (scheinbare) Borwurf der „Sinnlichkeit," „Un-<lb/> moralität," „Gefährlichkeit für höhere Töchterschulen" ?e, eine sehr wirksame<lb/> Lockspeise für das Publikum oder doch für einen Teil desselben ist, beweisen<lb/> die 48 Auflagen des Zvlaschen Romans „Nana"; wenn aber manche Zukunfts¬<lb/> musik als „sinnlich reizend" bezeichnet wird, so fragt man sich erstaunt, können<lb/> im Ernst Tonverbindungen einen solchen Eindruck hervorbringen, welche schon<lb/> durch ihre gehäuften Disharmonien jeden aufs widerwärtigste berühren müssen,<lb/> dessen Gehörsinn nicht durch Gewöhnung an das Unreine vollständig abgestumpft<lb/> ist? Stellen, welche harmonische Reinheit zeigen, wirken baun allerdings be¬<lb/> sonders angenehm, da sie die wohlthuende Empfindung hervorbringen, welche<lb/> die plötzliche Befreiung vom Schmerz verursacht, immerhin ein etwas teuer<lb/> erkaufter Genuß.</p><lb/> <p xml:id="ID_290"> Sehr verbreitet ist auch die Legende von dem Zauber der Jnstrumentation<lb/> mancher Zukunftsmusik, allen jungen Damen (aus der Zeitung) bekannt; merk¬<lb/> würdigerweise wollen die Spieler in den Orchestern nichts von diesem Zauber<lb/> wissen, es sei denn, daß sie später etwas darüber gelesen haben. Mit dem<lb/> Worte „Jnstrumentation" wird überhaupt viel Mißbrauch getrieben. Die Kom¬<lb/> binationen, welche sich aus dem Zusammenklang verschiedner Instrumente er¬<lb/> geben, sind nichts weniger als unerschöpflich und längst bekannt. Manche Kom¬<lb/> ponisten (auch Wagner) schreiben oft für Instrumente, die schon lange außer<lb/> Gebrauch sind und garnicht mehr existiren. Nun werden zwar die Töne ge¬<lb/> liefert, aber auf neueren, in der Größe und Klangfarbe verschiednen In¬<lb/> strumenten, sodaß der dadurch hervorgebrachte Eindruck auf dein Zufall, nicht<lb/> auf der Berechnung beruht. Die Hauptwirkung dieses sogenanten Zaubers<lb/> bleibt die Neuheit von Eindrücken, die durch das einfache Mittel hervorgebracht<lb/> sind, Sängern und Instrumenten gerade das zuzumuten, was ihrer Natur wider¬<lb/> spricht. Werden die dadurch entstehenden Schwierigkeiten glücklich, wenn auch<lb/> mit Mühe, überwunden, so erregen sie das Interesse, welches jede mit Geschick<lb/> beseitigte Ungehörigkeit veranlaßt. Neu sind diese Eindrücke freilich, aber nicht schön.<lb/> Die Aufregung, in welche manche Zukunftsmusik versetzen soll, rührt, wenn es<lb/> das Orchester betrifft, nur von einer ungewöhnlichen Anwendung der Blech¬<lb/> instrumente her. Richtig ist, daß starke Töne nie sehr beruhigend wirken, die<lb/> dadurch hervorgebrachte Erregung kann zuweilen von einigen Personen als eine<lb/> widerwärtige, von andern, besonders solchen, die zur Korpulenz neigen, als eine<lb/> angenehme empfunden werden. Bei Tieren kann man dieselbe Erscheinung be¬<lb/> obachten. Ein fetter Hammel, der stark angeblasen wurde, geriet in eine ersichtlich<lb/> freudige Aufregung; aus dem Inhalte der Musik machte er sich aber wohl<lb/> schwerlich etwas.</p><lb/> <p xml:id="ID_291" next="#ID_292"> Ein kleines, aber nicht unwichtiges Mittel, musikalische Zusammenhangs-<lb/> losigkeit zu Ehren zu bringen, besteht in der wunderlichen Anwendung des Wortes<lb/> „Motiv." Früher bezeichnete man damit ein Thema, welches, aus einer andern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Zeitnngsmnsik.
Texte, die man zuweilen findet, nur auf einer entschiednen Unbekanntschaft mit
beiden beruhen kann. Schlechte Opern giebt es in Menge, aber die guten haben
stets gute, oft sogar als selbständige Dichtungen wertvolle Texte gehabt, vor¬
zuglich die ältern italienischen und französischen (Metastasio, da Ponte, Quincmlt,
Jouy), Die i» Berichten so oft wiederkehrenden Bezeichnungen einer Musik als
„entzückend," „berauschend" ?.e. sind zwar, weil auf persönlichen Eindrücken
beruhend, weder zu beweisen noch zu widerlegen, man erstaunt aber doch, wenn
man sie ernst nimmt, über die dabei zu Tage tretende Verschiedenheit der
menschlichen Natur. Daß der (scheinbare) Borwurf der „Sinnlichkeit," „Un-
moralität," „Gefährlichkeit für höhere Töchterschulen" ?e, eine sehr wirksame
Lockspeise für das Publikum oder doch für einen Teil desselben ist, beweisen
die 48 Auflagen des Zvlaschen Romans „Nana"; wenn aber manche Zukunfts¬
musik als „sinnlich reizend" bezeichnet wird, so fragt man sich erstaunt, können
im Ernst Tonverbindungen einen solchen Eindruck hervorbringen, welche schon
durch ihre gehäuften Disharmonien jeden aufs widerwärtigste berühren müssen,
dessen Gehörsinn nicht durch Gewöhnung an das Unreine vollständig abgestumpft
ist? Stellen, welche harmonische Reinheit zeigen, wirken baun allerdings be¬
sonders angenehm, da sie die wohlthuende Empfindung hervorbringen, welche
die plötzliche Befreiung vom Schmerz verursacht, immerhin ein etwas teuer
erkaufter Genuß.
Sehr verbreitet ist auch die Legende von dem Zauber der Jnstrumentation
mancher Zukunftsmusik, allen jungen Damen (aus der Zeitung) bekannt; merk¬
würdigerweise wollen die Spieler in den Orchestern nichts von diesem Zauber
wissen, es sei denn, daß sie später etwas darüber gelesen haben. Mit dem
Worte „Jnstrumentation" wird überhaupt viel Mißbrauch getrieben. Die Kom¬
binationen, welche sich aus dem Zusammenklang verschiedner Instrumente er¬
geben, sind nichts weniger als unerschöpflich und längst bekannt. Manche Kom¬
ponisten (auch Wagner) schreiben oft für Instrumente, die schon lange außer
Gebrauch sind und garnicht mehr existiren. Nun werden zwar die Töne ge¬
liefert, aber auf neueren, in der Größe und Klangfarbe verschiednen In¬
strumenten, sodaß der dadurch hervorgebrachte Eindruck auf dein Zufall, nicht
auf der Berechnung beruht. Die Hauptwirkung dieses sogenanten Zaubers
bleibt die Neuheit von Eindrücken, die durch das einfache Mittel hervorgebracht
sind, Sängern und Instrumenten gerade das zuzumuten, was ihrer Natur wider¬
spricht. Werden die dadurch entstehenden Schwierigkeiten glücklich, wenn auch
mit Mühe, überwunden, so erregen sie das Interesse, welches jede mit Geschick
beseitigte Ungehörigkeit veranlaßt. Neu sind diese Eindrücke freilich, aber nicht schön.
Die Aufregung, in welche manche Zukunftsmusik versetzen soll, rührt, wenn es
das Orchester betrifft, nur von einer ungewöhnlichen Anwendung der Blech¬
instrumente her. Richtig ist, daß starke Töne nie sehr beruhigend wirken, die
dadurch hervorgebrachte Erregung kann zuweilen von einigen Personen als eine
widerwärtige, von andern, besonders solchen, die zur Korpulenz neigen, als eine
angenehme empfunden werden. Bei Tieren kann man dieselbe Erscheinung be¬
obachten. Ein fetter Hammel, der stark angeblasen wurde, geriet in eine ersichtlich
freudige Aufregung; aus dem Inhalte der Musik machte er sich aber wohl
schwerlich etwas.
Ein kleines, aber nicht unwichtiges Mittel, musikalische Zusammenhangs-
losigkeit zu Ehren zu bringen, besteht in der wunderlichen Anwendung des Wortes
„Motiv." Früher bezeichnete man damit ein Thema, welches, aus einer andern
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