Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zeitungsmnsik. geschieht dies, weil diese Verherrlichung der rein tierischen Brunst, die auch die Es wäre übrigens ungerecht, den Verehrern Wagners aus dem Anteil, den Viele Hörer sind bei günstigem Vorurteil auch zufrieden, wenn sie bei fast Gehen wir nun zur Betrachtung der Reklame als solcher über, so haben Das beste Beispiel vorbereitender Reklame liefert wieder Richard Wagner. Zeitungsmnsik. geschieht dies, weil diese Verherrlichung der rein tierischen Brunst, die auch die Es wäre übrigens ungerecht, den Verehrern Wagners aus dem Anteil, den Viele Hörer sind bei günstigem Vorurteil auch zufrieden, wenn sie bei fast Gehen wir nun zur Betrachtung der Reklame als solcher über, so haben Das beste Beispiel vorbereitender Reklame liefert wieder Richard Wagner. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196840"/> <fw type="header" place="top"> Zeitungsmnsik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_271" prev="#ID_270"> geschieht dies, weil diese Verherrlichung der rein tierischen Brunst, die auch die<lb/> Blutschande nicht scheut, sehr gefällt, nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer<lb/> großen Obszönität, Es ist traurig, daß eine so edle Kunst wie die Musik zur<lb/> Dienerin solcher Gemeinheit gemacht wird. Die Behauptung, daß die Musik<lb/> einen Schleier über die mehr als bedenklichen Dinge breite, heißt eigentlich:<lb/> genießbar ist die Sache doch nur, wenn man sie nicht versteht. Der große<lb/> Zulauf, den die Gesellschaft des Impresario mit dem wunderbaren Namen<lb/> Angelo Neumann gefunden hat, kann schon an sich kein günstiges Vorurteil<lb/> erwecken, denn die Masse hat sich noch nie für das wahrhaft Edle und Schöne<lb/> begeistert. Die Menge der Verehrer eines Kunstwerkes entscheidet überhaupt<lb/> nicht über den Wert desselben, sonst würde der „Bettelstudcnt," welcher in einem<lb/> Jahre mehr Aufführungen erlebt hat als Wagners Opern seit ihrem Er¬<lb/> scheinen, weit über diese zu stellen sein. Für Geschäftsleute sind Wagners<lb/> Opern unleugbar sehr bequem, denn die mit einigen Ausnahmen aphoristische<lb/> Natur der Musik, welche wohl in augenblickliche Beziehung zum Text tritt, in<lb/> sich aber zusammenhangslos ist, macht eine gespannte Aufmerksamkeit überflüssig;<lb/> der Zuhörer kann sich mehr mit den Dekorationen, Kostümen, Sängerinnen 2e.<lb/> beschäftigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_272"> Es wäre übrigens ungerecht, den Verehrern Wagners aus dem Anteil, den<lb/> sie seinen Opern zuwenden, einen Vorwurf zu machen, denn in der modernen<lb/> Oper kommt die Komposition überhaupt nicht sehr in Betracht, noch weniger der<lb/> Text, mit dessen eigentlichem Inhalt gewöhnlich nur ein kleiner Teil des<lb/> Publikums bekannt ist (in einer größern Stadt waren bei der ersten Auf¬<lb/> führung des „Fliegenden Holländers" nur zwei Texte verkauft worden). Man<lb/> frage z. V. einen Kenner der „Götterdämmerung," ob er wisse, warum Siegfried<lb/> unverwundbar ist, und er wird sich sicher auf die Sage beziehen, in der Siegfried<lb/> durch das Bad in Drachenblut gehörnt wird. Davon ist aber in der Oper<lb/> keine Rede, denn Vrunhilde bedeutet Hagen, daß die Unverwundbarst Siegfrieds<lb/> davon herrühre, daß sie ihn gesegnet habe, indes nnr von vorn, nicht von<lb/> hinten, denn sie sagt ausdrücklich: Nie, zeigt er dem Feinde den Rücken, darum<lb/> sparte ich an diesem den Segen. Diese Ökonomie kommt ihr dann sehr zu statten.</p><lb/> <p xml:id="ID_273"> Viele Hörer sind bei günstigem Vorurteil auch zufrieden, wenn sie bei fast<lb/> vierstündiger Dauer einer Oper eine Viertelstunde zusammenhängender wirklicher<lb/> Musik antreffen, indem sie das Verständnis des übrigen bei andern nach deren<lb/> Versicherung voraussetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_274"> Gehen wir nun zur Betrachtung der Reklame als solcher über, so haben<lb/> wir zwischen der vorbereitenden und der erhaltenden Reklame zu unterscheiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_275"> Das beste Beispiel vorbereitender Reklame liefert wieder Richard Wagner.<lb/> Nachdem vor dem Jahre 1848 zwei seiner Opern entschiednes Fiasko gemacht<lb/> hatten, veröffentlichte er eine Schrift, in welcher er sich als den allgemein er¬<lb/> warteten Regenerator der Oper hinstellte und dem Publikum mitteilte, nach<lb/> welchen „Prinzipien," d. h. selbstverschriebenen Rezepten, er zu dichten und<lb/> komponiren entschlossen sei, ein Verfahren, welches mit den Vorstellungen, die<lb/> man bisher von dem stets nach angebornen Instinkt schaffenden Genius gehabt<lb/> hatte, durchaus in Widerspruch stand. Zunächst hielt es schwer, die Aufmerk¬<lb/> samkeit des Publikums auf die neuen Prinzipien hinzulenken, nachdem aber einige<lb/> (oft nur scheinbare) Gegner sich dagegen ausgesprochen hatten, entstand in der<lb/> Presse ein heftiger Streit darüber, und damit war alles gewonnen, die Bedeutung<lb/> der Sache war sichergestellt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Zeitungsmnsik.
geschieht dies, weil diese Verherrlichung der rein tierischen Brunst, die auch die
Blutschande nicht scheut, sehr gefällt, nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer
großen Obszönität, Es ist traurig, daß eine so edle Kunst wie die Musik zur
Dienerin solcher Gemeinheit gemacht wird. Die Behauptung, daß die Musik
einen Schleier über die mehr als bedenklichen Dinge breite, heißt eigentlich:
genießbar ist die Sache doch nur, wenn man sie nicht versteht. Der große
Zulauf, den die Gesellschaft des Impresario mit dem wunderbaren Namen
Angelo Neumann gefunden hat, kann schon an sich kein günstiges Vorurteil
erwecken, denn die Masse hat sich noch nie für das wahrhaft Edle und Schöne
begeistert. Die Menge der Verehrer eines Kunstwerkes entscheidet überhaupt
nicht über den Wert desselben, sonst würde der „Bettelstudcnt," welcher in einem
Jahre mehr Aufführungen erlebt hat als Wagners Opern seit ihrem Er¬
scheinen, weit über diese zu stellen sein. Für Geschäftsleute sind Wagners
Opern unleugbar sehr bequem, denn die mit einigen Ausnahmen aphoristische
Natur der Musik, welche wohl in augenblickliche Beziehung zum Text tritt, in
sich aber zusammenhangslos ist, macht eine gespannte Aufmerksamkeit überflüssig;
der Zuhörer kann sich mehr mit den Dekorationen, Kostümen, Sängerinnen 2e.
beschäftigen.
Es wäre übrigens ungerecht, den Verehrern Wagners aus dem Anteil, den
sie seinen Opern zuwenden, einen Vorwurf zu machen, denn in der modernen
Oper kommt die Komposition überhaupt nicht sehr in Betracht, noch weniger der
Text, mit dessen eigentlichem Inhalt gewöhnlich nur ein kleiner Teil des
Publikums bekannt ist (in einer größern Stadt waren bei der ersten Auf¬
führung des „Fliegenden Holländers" nur zwei Texte verkauft worden). Man
frage z. V. einen Kenner der „Götterdämmerung," ob er wisse, warum Siegfried
unverwundbar ist, und er wird sich sicher auf die Sage beziehen, in der Siegfried
durch das Bad in Drachenblut gehörnt wird. Davon ist aber in der Oper
keine Rede, denn Vrunhilde bedeutet Hagen, daß die Unverwundbarst Siegfrieds
davon herrühre, daß sie ihn gesegnet habe, indes nnr von vorn, nicht von
hinten, denn sie sagt ausdrücklich: Nie, zeigt er dem Feinde den Rücken, darum
sparte ich an diesem den Segen. Diese Ökonomie kommt ihr dann sehr zu statten.
Viele Hörer sind bei günstigem Vorurteil auch zufrieden, wenn sie bei fast
vierstündiger Dauer einer Oper eine Viertelstunde zusammenhängender wirklicher
Musik antreffen, indem sie das Verständnis des übrigen bei andern nach deren
Versicherung voraussetzen.
Gehen wir nun zur Betrachtung der Reklame als solcher über, so haben
wir zwischen der vorbereitenden und der erhaltenden Reklame zu unterscheiden.
Das beste Beispiel vorbereitender Reklame liefert wieder Richard Wagner.
Nachdem vor dem Jahre 1848 zwei seiner Opern entschiednes Fiasko gemacht
hatten, veröffentlichte er eine Schrift, in welcher er sich als den allgemein er¬
warteten Regenerator der Oper hinstellte und dem Publikum mitteilte, nach
welchen „Prinzipien," d. h. selbstverschriebenen Rezepten, er zu dichten und
komponiren entschlossen sei, ein Verfahren, welches mit den Vorstellungen, die
man bisher von dem stets nach angebornen Instinkt schaffenden Genius gehabt
hatte, durchaus in Widerspruch stand. Zunächst hielt es schwer, die Aufmerk¬
samkeit des Publikums auf die neuen Prinzipien hinzulenken, nachdem aber einige
(oft nur scheinbare) Gegner sich dagegen ausgesprochen hatten, entstand in der
Presse ein heftiger Streit darüber, und damit war alles gewonnen, die Bedeutung
der Sache war sichergestellt.
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