Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zeitnngsmusik. Nach einem Zeitraume von mehr als dreißig Jahren läßt sich ein Über¬ Sehr klug hat daher Wagner schon vor vielen Jahren ein Komitee (jetzt Grenzboten IV. 18LS. 13
Zeitnngsmusik. Nach einem Zeitraume von mehr als dreißig Jahren läßt sich ein Über¬ Sehr klug hat daher Wagner schon vor vielen Jahren ein Komitee (jetzt Grenzboten IV. 18LS. 13
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196839"/> <fw type="header" place="top"> Zeitnngsmusik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_269"> Nach einem Zeitraume von mehr als dreißig Jahren läßt sich ein Über¬<lb/> blick über die Mittel gewinnen, die angewandt worden sind, einen bedeutenden,<lb/> wenn anch sehr bestrittenen Erfolg herbeizuführen. Im ganzen ist die Natur<lb/> dieser Mittel stets dieselbe, und wenn bei einer Darlegung derselben, leider,<lb/> hauptsächlich auf Richard Wagner Bezug genommen werden muß, so geschieht<lb/> es, weil er der erste war, welcher die Presse in einer früher ganz ungewöhnlichen<lb/> Weise benutzte, sodann weil zahlreiche Nachfolger, ohne den Hintergrund wirk¬<lb/> lichen Talentes, nicht denselben Erfolg gehabt haben. Nicht eine Kritik der schon<lb/> viel zu viel besprochenen Kompositionen Wagners ist hier beabsichtigt, sondern nur<lb/> eine Berücksichtigung seiner Eigenschaft als eines bis jetzt unübertroffenen mu¬<lb/> sikalischen Neklamators. Eine gewisse Bewunderung kann man der Großartigkeit<lb/> seiner Reklame nicht versagen. Das Unternehmen, in einer abgelegenen kleinen<lb/> Stadt ein „Nationaltheater" zu bauen, dort eine Menge Ausübender zu Proben<lb/> zu vereinigen und zugleich die nötige Zahl von Zuhörern für ihr schweres<lb/> Geld zu einer Reise dorthin zu bewegen, ist wahrhaft kühn, übersteigt aber<lb/> natürlich die Kräfte eines einzelnen Menschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_270" next="#ID_271"> Sehr klug hat daher Wagner schon vor vielen Jahren ein Komitee (jetzt<lb/> Kuratorium) gebildet, welches für Geld und gute Worte die nötigen Äußerlich¬<lb/> keiten besorgt. Diese Behörde hat bekanntlich in allen größern Städten Agenten,<lb/> welche sür den Besuch des Theaters, für Vorlesungen, vorbereitende und er¬<lb/> läuternde Broschüren, Beeinflussung der Lokalpresse, möglichste Verhinderung<lb/> der Veröffentlichung entgegenstehender Meinungen, Bildung von Wagner¬<lb/> vereinen :c. zu sorgen hat. Diese letztern sind besonders merkwürdig, da sie sich<lb/> bestreben, für Dinge Propaganda zu machen, die nach des Komponisten eigner<lb/> Meinung nur für die Bühne berechnet, ohne diese aber ein unverständlicher<lb/> Tonbrei sind. Teuer ist diese Reklame allerdings, die für den „Ring der<lb/> Nibelungen" wurde in Zeitungen auf 120000 Mark berechnet. Daß sie Erfolg<lb/> gehabt hat, ist bekannt, und viele behaupten als Enthusiasten sür den „Ring der<lb/> Nibelungen" zurückgekehrt zu sein; sie wissen freilich nicht, daß sie ihre Be¬<lb/> geisterung schon fertig mitbrachten. Nicht Kunstinteresse, sondern nur durch die<lb/> Presse erregte Neugierde kann eigentlich Personen von einiger Unbefangenheit<lb/> veranlassen, eine teure Reise zu machen, einzig und allein um eine Oper zu<lb/> hören, noch dazu eine solche, von der man nicht weiß, ob sie gut oder schlecht<lb/> ist. Und doch wäre das letztere einfach schon durch den Ankauf des Textes<lb/> klar geworden. Leider giebt es noch immer eine Menge Personen, die glauben,<lb/> schöne Musik könne, wie Kalk an die Wand, an den ersten besten Wortkehricht<lb/> geworfen werden, denn daß im Vaterlande Goethes und Schillers wirklich jemand<lb/> (mit Slusnahme bezahlter Lobhudler) eine solche Fülle von Albernheiten und<lb/> Unflätigkeiten, oft in der Sprache des reinen Blödsinns, für Poesie halten<lb/> könnte, ist doch kaum glaublich. Wenn die „Walküre," welche Schopenhauer<lb/> durch das einzige Wort „infam" charakterisirte, ein großes Publikum findet, so</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18LS. 13</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
Zeitnngsmusik.
Nach einem Zeitraume von mehr als dreißig Jahren läßt sich ein Über¬
blick über die Mittel gewinnen, die angewandt worden sind, einen bedeutenden,
wenn anch sehr bestrittenen Erfolg herbeizuführen. Im ganzen ist die Natur
dieser Mittel stets dieselbe, und wenn bei einer Darlegung derselben, leider,
hauptsächlich auf Richard Wagner Bezug genommen werden muß, so geschieht
es, weil er der erste war, welcher die Presse in einer früher ganz ungewöhnlichen
Weise benutzte, sodann weil zahlreiche Nachfolger, ohne den Hintergrund wirk¬
lichen Talentes, nicht denselben Erfolg gehabt haben. Nicht eine Kritik der schon
viel zu viel besprochenen Kompositionen Wagners ist hier beabsichtigt, sondern nur
eine Berücksichtigung seiner Eigenschaft als eines bis jetzt unübertroffenen mu¬
sikalischen Neklamators. Eine gewisse Bewunderung kann man der Großartigkeit
seiner Reklame nicht versagen. Das Unternehmen, in einer abgelegenen kleinen
Stadt ein „Nationaltheater" zu bauen, dort eine Menge Ausübender zu Proben
zu vereinigen und zugleich die nötige Zahl von Zuhörern für ihr schweres
Geld zu einer Reise dorthin zu bewegen, ist wahrhaft kühn, übersteigt aber
natürlich die Kräfte eines einzelnen Menschen.
Sehr klug hat daher Wagner schon vor vielen Jahren ein Komitee (jetzt
Kuratorium) gebildet, welches für Geld und gute Worte die nötigen Äußerlich¬
keiten besorgt. Diese Behörde hat bekanntlich in allen größern Städten Agenten,
welche sür den Besuch des Theaters, für Vorlesungen, vorbereitende und er¬
läuternde Broschüren, Beeinflussung der Lokalpresse, möglichste Verhinderung
der Veröffentlichung entgegenstehender Meinungen, Bildung von Wagner¬
vereinen :c. zu sorgen hat. Diese letztern sind besonders merkwürdig, da sie sich
bestreben, für Dinge Propaganda zu machen, die nach des Komponisten eigner
Meinung nur für die Bühne berechnet, ohne diese aber ein unverständlicher
Tonbrei sind. Teuer ist diese Reklame allerdings, die für den „Ring der
Nibelungen" wurde in Zeitungen auf 120000 Mark berechnet. Daß sie Erfolg
gehabt hat, ist bekannt, und viele behaupten als Enthusiasten sür den „Ring der
Nibelungen" zurückgekehrt zu sein; sie wissen freilich nicht, daß sie ihre Be¬
geisterung schon fertig mitbrachten. Nicht Kunstinteresse, sondern nur durch die
Presse erregte Neugierde kann eigentlich Personen von einiger Unbefangenheit
veranlassen, eine teure Reise zu machen, einzig und allein um eine Oper zu
hören, noch dazu eine solche, von der man nicht weiß, ob sie gut oder schlecht
ist. Und doch wäre das letztere einfach schon durch den Ankauf des Textes
klar geworden. Leider giebt es noch immer eine Menge Personen, die glauben,
schöne Musik könne, wie Kalk an die Wand, an den ersten besten Wortkehricht
geworfen werden, denn daß im Vaterlande Goethes und Schillers wirklich jemand
(mit Slusnahme bezahlter Lobhudler) eine solche Fülle von Albernheiten und
Unflätigkeiten, oft in der Sprache des reinen Blödsinns, für Poesie halten
könnte, ist doch kaum glaublich. Wenn die „Walküre," welche Schopenhauer
durch das einzige Wort „infam" charakterisirte, ein großes Publikum findet, so
Grenzboten IV. 18LS. 13
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