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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zur Prostitutionsfrage.

Unsers Ercichtens war gerade dies der größte Fehlgriff, durch den man
geradezu aus dem Regen in die Traufe gekommen ist. Denn einmal wird das
Rechtsgefühl dadurch ebenso verletzt, als wenn man öffentliche Häuser "kon-
zessivnirt," Ob die Prostituirten in letzteren oder in Privatlogis wohnen, ist
für die Behörden und deren Duldung gleich, sie wissen', wo und bei wem sie
wohnen, und sie mußten daher von Rechtswegen einschreiten. Zum andern aber
ist dadurch der öffentlichen Sittlichkeit ein arger Stoß versetzt und der Aus¬
breitung der Prostitution mit ihren Nachteilen -- wie die Erfahrung in den
letzten zehn Jahren gelehrt hat -- ein starker Vorschub geleistet worden.

Das Verbot öffentlicher Hänser wird insbesondre von derjenigen Seite be¬
fürwortet, welche eine solche Einrichtung für nicht vereinbar erklärt mit den
Satzungen des Christentums. Das geben wir völlig zu, ja wir gehen weiter
und sagen: Die Prostitution überhaupt ist unvereinbar mit dem christlichen
Leben, in welcher Form auch immer dieses "Gewerbe" betrieben wird. Aber
wenn sich einmal das Übel nicht beseitigen läßt, so darf man nicht eine gewisse
Form, unter der allein die größtmögliche Einschränkung des Übels möglich ist,
verdammen.

Zunächst läßt sich nicht bestreiten, daß, wenn die Prostituirten in gewissen
entlegenen oder versteckt gelegenen sogenannten öffentlichen Häusern wohnen, mit
ihrem Treiben der Öffentlichkeit möglichst entrückt sind. Ehrbare Frauen und
Mädchen, namentlich aber Kinder, erhalten weit seltner Kenntnis von der Exi¬
stenz des Lasters. Ferner ist die Verlockung eine bei weitem geringere. Wer
nicht die Absicht hat, mit einer Prostituirten in Verkehr zu treten, wird dazu
auf Straßen oder in öffentlichen Lokalen nicht ruinirt, sondern er muß eben
ein solches Haus betreten. Dies aber ist für eine große Anzahl von Männer",
insbesondre für Jünglinge und Verheiratete, eine Schranke, die nicht so leicht
überschritten wird, während jetzt nicht nur die Versuchung, sondern auch die
Gelegenheit zur Unzucht unendlich viel näher gerückt ist, wo die Dirnen einen:
ans der Straße nachlaufen, und wo es nicht auffällt, in ein respektabel aus¬
sehendes Miethaus einzutreten, in welchem die Prostituirten ihr Quartier auf¬
geschlagen haben.

Schon der Jugenderziehung ist man es schuldig, die Prostituirten möglichst
von der Straße zu verbannen, wo sie heutzutage zu allen Tages- und Nacht¬
zeiten herumlungern und mit ihrem Treiben der Schuljugend einen Anblick ge¬
währen, der ihr solange als möglich verborgen bleiben sollte. Ganz zu schweigen
von den Mißständen, welche das Wohnen dieser Weibspersonen in Privatquar¬
tiere" in sanitärer Beziehung mit sich bringt. Eine geordnete ärztliche Kon¬
trolle ist nicht durchführbar, sobald es den Personen möglich ist, sich derselben
nach Belieben, dnrch Wechseln der Wohnungen, zu entziehen. Vier Fünftel der
in Krankenhäusern wegen Geschlechtskrankheiten untergebrachten Frauenspersonen
rekrutirten sich da, wo öffentliche Häuser und sogenannte Privatdirnen neben-


Zur Prostitutionsfrage.

Unsers Ercichtens war gerade dies der größte Fehlgriff, durch den man
geradezu aus dem Regen in die Traufe gekommen ist. Denn einmal wird das
Rechtsgefühl dadurch ebenso verletzt, als wenn man öffentliche Häuser „kon-
zessivnirt," Ob die Prostituirten in letzteren oder in Privatlogis wohnen, ist
für die Behörden und deren Duldung gleich, sie wissen', wo und bei wem sie
wohnen, und sie mußten daher von Rechtswegen einschreiten. Zum andern aber
ist dadurch der öffentlichen Sittlichkeit ein arger Stoß versetzt und der Aus¬
breitung der Prostitution mit ihren Nachteilen — wie die Erfahrung in den
letzten zehn Jahren gelehrt hat — ein starker Vorschub geleistet worden.

Das Verbot öffentlicher Hänser wird insbesondre von derjenigen Seite be¬
fürwortet, welche eine solche Einrichtung für nicht vereinbar erklärt mit den
Satzungen des Christentums. Das geben wir völlig zu, ja wir gehen weiter
und sagen: Die Prostitution überhaupt ist unvereinbar mit dem christlichen
Leben, in welcher Form auch immer dieses „Gewerbe" betrieben wird. Aber
wenn sich einmal das Übel nicht beseitigen läßt, so darf man nicht eine gewisse
Form, unter der allein die größtmögliche Einschränkung des Übels möglich ist,
verdammen.

Zunächst läßt sich nicht bestreiten, daß, wenn die Prostituirten in gewissen
entlegenen oder versteckt gelegenen sogenannten öffentlichen Häusern wohnen, mit
ihrem Treiben der Öffentlichkeit möglichst entrückt sind. Ehrbare Frauen und
Mädchen, namentlich aber Kinder, erhalten weit seltner Kenntnis von der Exi¬
stenz des Lasters. Ferner ist die Verlockung eine bei weitem geringere. Wer
nicht die Absicht hat, mit einer Prostituirten in Verkehr zu treten, wird dazu
auf Straßen oder in öffentlichen Lokalen nicht ruinirt, sondern er muß eben
ein solches Haus betreten. Dies aber ist für eine große Anzahl von Männer»,
insbesondre für Jünglinge und Verheiratete, eine Schranke, die nicht so leicht
überschritten wird, während jetzt nicht nur die Versuchung, sondern auch die
Gelegenheit zur Unzucht unendlich viel näher gerückt ist, wo die Dirnen einen:
ans der Straße nachlaufen, und wo es nicht auffällt, in ein respektabel aus¬
sehendes Miethaus einzutreten, in welchem die Prostituirten ihr Quartier auf¬
geschlagen haben.

Schon der Jugenderziehung ist man es schuldig, die Prostituirten möglichst
von der Straße zu verbannen, wo sie heutzutage zu allen Tages- und Nacht¬
zeiten herumlungern und mit ihrem Treiben der Schuljugend einen Anblick ge¬
währen, der ihr solange als möglich verborgen bleiben sollte. Ganz zu schweigen
von den Mißständen, welche das Wohnen dieser Weibspersonen in Privatquar¬
tiere» in sanitärer Beziehung mit sich bringt. Eine geordnete ärztliche Kon¬
trolle ist nicht durchführbar, sobald es den Personen möglich ist, sich derselben
nach Belieben, dnrch Wechseln der Wohnungen, zu entziehen. Vier Fünftel der
in Krankenhäusern wegen Geschlechtskrankheiten untergebrachten Frauenspersonen
rekrutirten sich da, wo öffentliche Häuser und sogenannte Privatdirnen neben-


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[0069] Zur Prostitutionsfrage. Unsers Ercichtens war gerade dies der größte Fehlgriff, durch den man geradezu aus dem Regen in die Traufe gekommen ist. Denn einmal wird das Rechtsgefühl dadurch ebenso verletzt, als wenn man öffentliche Häuser „kon- zessivnirt," Ob die Prostituirten in letzteren oder in Privatlogis wohnen, ist für die Behörden und deren Duldung gleich, sie wissen', wo und bei wem sie wohnen, und sie mußten daher von Rechtswegen einschreiten. Zum andern aber ist dadurch der öffentlichen Sittlichkeit ein arger Stoß versetzt und der Aus¬ breitung der Prostitution mit ihren Nachteilen — wie die Erfahrung in den letzten zehn Jahren gelehrt hat — ein starker Vorschub geleistet worden. Das Verbot öffentlicher Hänser wird insbesondre von derjenigen Seite be¬ fürwortet, welche eine solche Einrichtung für nicht vereinbar erklärt mit den Satzungen des Christentums. Das geben wir völlig zu, ja wir gehen weiter und sagen: Die Prostitution überhaupt ist unvereinbar mit dem christlichen Leben, in welcher Form auch immer dieses „Gewerbe" betrieben wird. Aber wenn sich einmal das Übel nicht beseitigen läßt, so darf man nicht eine gewisse Form, unter der allein die größtmögliche Einschränkung des Übels möglich ist, verdammen. Zunächst läßt sich nicht bestreiten, daß, wenn die Prostituirten in gewissen entlegenen oder versteckt gelegenen sogenannten öffentlichen Häusern wohnen, mit ihrem Treiben der Öffentlichkeit möglichst entrückt sind. Ehrbare Frauen und Mädchen, namentlich aber Kinder, erhalten weit seltner Kenntnis von der Exi¬ stenz des Lasters. Ferner ist die Verlockung eine bei weitem geringere. Wer nicht die Absicht hat, mit einer Prostituirten in Verkehr zu treten, wird dazu auf Straßen oder in öffentlichen Lokalen nicht ruinirt, sondern er muß eben ein solches Haus betreten. Dies aber ist für eine große Anzahl von Männer», insbesondre für Jünglinge und Verheiratete, eine Schranke, die nicht so leicht überschritten wird, während jetzt nicht nur die Versuchung, sondern auch die Gelegenheit zur Unzucht unendlich viel näher gerückt ist, wo die Dirnen einen: ans der Straße nachlaufen, und wo es nicht auffällt, in ein respektabel aus¬ sehendes Miethaus einzutreten, in welchem die Prostituirten ihr Quartier auf¬ geschlagen haben. Schon der Jugenderziehung ist man es schuldig, die Prostituirten möglichst von der Straße zu verbannen, wo sie heutzutage zu allen Tages- und Nacht¬ zeiten herumlungern und mit ihrem Treiben der Schuljugend einen Anblick ge¬ währen, der ihr solange als möglich verborgen bleiben sollte. Ganz zu schweigen von den Mißständen, welche das Wohnen dieser Weibspersonen in Privatquar¬ tiere» in sanitärer Beziehung mit sich bringt. Eine geordnete ärztliche Kon¬ trolle ist nicht durchführbar, sobald es den Personen möglich ist, sich derselben nach Belieben, dnrch Wechseln der Wohnungen, zu entziehen. Vier Fünftel der in Krankenhäusern wegen Geschlechtskrankheiten untergebrachten Frauenspersonen rekrutirten sich da, wo öffentliche Häuser und sogenannte Privatdirnen neben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/69>, abgerufen am 24.11.2024.