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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zur prostitutionsfragl?.

Die Polizeibehörden haben infolge dessen Regulative erlassen, in welchen
eine regelmäßige ärztliche Untersuchung der betreffenden Personen angeordnet,
sowie eine Reihe von Bestimmungen getroffen ist, wonach jene sich zur Erhal¬
tung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes gewisse Beschrän¬
kungen gefallen lassen müssen.

Mit dieser Sanktion der Prostitution -- welche als "Gewerbe" aufgefaßt
wird -- steht nun aber in Widerspruch die Bestimmung des K 180 des Reichs-
strafgesctzbuches, welcher lautet: "Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz
durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschnffnng von Gelegenheit
der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis bestraft; auch
kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigreit von Po¬
lizeiaufsicht erkannt werden." Während das Gesetz in dem zuerst angezogenen
§ 3K1 gewissen Personen erlaubt, gewerbsmäßig Unzucht zu treiben, bedroht
es im letztgenannten 8 180 jeden, der einer solchen Person Wohnung gewährt,
mit harter Strafe. Was folgt daraus?

Entweder wird die Bestimmung des 180, wie sichs gehört, streng durch¬
geführt: denn wird niemand mehr eine Prostituirte bei sich aufnehmen, oder er
müßte sofort ius Gefängnis wandern und sich obendrein uoch der Polizei¬
aufsicht aussetzen; dann sind mit einem-Schlage sämtliche Prostituirte auf die
Straße gesetzt, und es wird ein heilloser Zustand geschaffen. Denn es wird doch
niemand im Ernste glauben, daß die Prostituirten in eignen Häusern wohnen
können -- dann hätten sie ja nicht nötig, sich zu prostituireu. Oder die Be¬
stimmung des § 180 wird nicht streng durchgeführt: dann entsteht eine fatale
Kollision zwischen Opportunist und Beamtenpflicht. Staatsanwalt und Po-
zeibehörde kommen in die mißliche Lage, zu sehen, wie ein Vergehen vor ihren:
Auge begangen wird, und müssen sich doch des Einschreitens enthalten, nur um
nicht einen völlig haltlosen Zustand herbeizuführen. Ja wollte man die logische
und daher auch juristische Konsequenz dieses Verhaltens ziehe", so müßte jeder
Polizeichcf, in dessen Ressort die Wvhnungsanmeldung einer Prostituirten er¬
folgt, sofort den Wohuungsvermieter der Staatsanwaltschaft zur Bestrafung
nach dem vorgenannten § 180 anzeigen, oder er machte sich einer Beihilfe zur
Kuppelei schuldig, indem er den Wvhnungsvermieter der Strafverfolgung ent¬
zieht, und hätte demnach gleichfalls die im § 180 angedrohte Strafe zu ge¬
wärtigen.

Daß dieser Zustand unhaltbar ist, springt in die Augen, und daran kann
anch das Auskunftsmittel nichts ändern, zu dem man in der Praxis seine Zu¬
flucht genommen hat. Man hat nämlich die früher in Deutschland allerorten
geduldeten sogenannten öffentlichen Häuser aufgehoben und duldet nur noch das
Wohnen der Prostituirten in Privatlogis, wo ihr Treiben angeblich weniger der
Öffentlichkeit zu Gesicht kommt und so wenigstens der Schein von Begünstigung
vonseiten der Behörden vermieden werden soll.


Zur prostitutionsfragl?.

Die Polizeibehörden haben infolge dessen Regulative erlassen, in welchen
eine regelmäßige ärztliche Untersuchung der betreffenden Personen angeordnet,
sowie eine Reihe von Bestimmungen getroffen ist, wonach jene sich zur Erhal¬
tung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes gewisse Beschrän¬
kungen gefallen lassen müssen.

Mit dieser Sanktion der Prostitution — welche als „Gewerbe" aufgefaßt
wird — steht nun aber in Widerspruch die Bestimmung des K 180 des Reichs-
strafgesctzbuches, welcher lautet: „Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz
durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschnffnng von Gelegenheit
der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis bestraft; auch
kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigreit von Po¬
lizeiaufsicht erkannt werden." Während das Gesetz in dem zuerst angezogenen
§ 3K1 gewissen Personen erlaubt, gewerbsmäßig Unzucht zu treiben, bedroht
es im letztgenannten 8 180 jeden, der einer solchen Person Wohnung gewährt,
mit harter Strafe. Was folgt daraus?

Entweder wird die Bestimmung des 180, wie sichs gehört, streng durch¬
geführt: denn wird niemand mehr eine Prostituirte bei sich aufnehmen, oder er
müßte sofort ius Gefängnis wandern und sich obendrein uoch der Polizei¬
aufsicht aussetzen; dann sind mit einem-Schlage sämtliche Prostituirte auf die
Straße gesetzt, und es wird ein heilloser Zustand geschaffen. Denn es wird doch
niemand im Ernste glauben, daß die Prostituirten in eignen Häusern wohnen
können — dann hätten sie ja nicht nötig, sich zu prostituireu. Oder die Be¬
stimmung des § 180 wird nicht streng durchgeführt: dann entsteht eine fatale
Kollision zwischen Opportunist und Beamtenpflicht. Staatsanwalt und Po-
zeibehörde kommen in die mißliche Lage, zu sehen, wie ein Vergehen vor ihren:
Auge begangen wird, und müssen sich doch des Einschreitens enthalten, nur um
nicht einen völlig haltlosen Zustand herbeizuführen. Ja wollte man die logische
und daher auch juristische Konsequenz dieses Verhaltens ziehe», so müßte jeder
Polizeichcf, in dessen Ressort die Wvhnungsanmeldung einer Prostituirten er¬
folgt, sofort den Wohuungsvermieter der Staatsanwaltschaft zur Bestrafung
nach dem vorgenannten § 180 anzeigen, oder er machte sich einer Beihilfe zur
Kuppelei schuldig, indem er den Wvhnungsvermieter der Strafverfolgung ent¬
zieht, und hätte demnach gleichfalls die im § 180 angedrohte Strafe zu ge¬
wärtigen.

Daß dieser Zustand unhaltbar ist, springt in die Augen, und daran kann
anch das Auskunftsmittel nichts ändern, zu dem man in der Praxis seine Zu¬
flucht genommen hat. Man hat nämlich die früher in Deutschland allerorten
geduldeten sogenannten öffentlichen Häuser aufgehoben und duldet nur noch das
Wohnen der Prostituirten in Privatlogis, wo ihr Treiben angeblich weniger der
Öffentlichkeit zu Gesicht kommt und so wenigstens der Schein von Begünstigung
vonseiten der Behörden vermieden werden soll.


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[0068] Zur prostitutionsfragl?. Die Polizeibehörden haben infolge dessen Regulative erlassen, in welchen eine regelmäßige ärztliche Untersuchung der betreffenden Personen angeordnet, sowie eine Reihe von Bestimmungen getroffen ist, wonach jene sich zur Erhal¬ tung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes gewisse Beschrän¬ kungen gefallen lassen müssen. Mit dieser Sanktion der Prostitution — welche als „Gewerbe" aufgefaßt wird — steht nun aber in Widerspruch die Bestimmung des K 180 des Reichs- strafgesctzbuches, welcher lautet: „Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschnffnng von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigreit von Po¬ lizeiaufsicht erkannt werden." Während das Gesetz in dem zuerst angezogenen § 3K1 gewissen Personen erlaubt, gewerbsmäßig Unzucht zu treiben, bedroht es im letztgenannten 8 180 jeden, der einer solchen Person Wohnung gewährt, mit harter Strafe. Was folgt daraus? Entweder wird die Bestimmung des 180, wie sichs gehört, streng durch¬ geführt: denn wird niemand mehr eine Prostituirte bei sich aufnehmen, oder er müßte sofort ius Gefängnis wandern und sich obendrein uoch der Polizei¬ aufsicht aussetzen; dann sind mit einem-Schlage sämtliche Prostituirte auf die Straße gesetzt, und es wird ein heilloser Zustand geschaffen. Denn es wird doch niemand im Ernste glauben, daß die Prostituirten in eignen Häusern wohnen können — dann hätten sie ja nicht nötig, sich zu prostituireu. Oder die Be¬ stimmung des § 180 wird nicht streng durchgeführt: dann entsteht eine fatale Kollision zwischen Opportunist und Beamtenpflicht. Staatsanwalt und Po- zeibehörde kommen in die mißliche Lage, zu sehen, wie ein Vergehen vor ihren: Auge begangen wird, und müssen sich doch des Einschreitens enthalten, nur um nicht einen völlig haltlosen Zustand herbeizuführen. Ja wollte man die logische und daher auch juristische Konsequenz dieses Verhaltens ziehe», so müßte jeder Polizeichcf, in dessen Ressort die Wvhnungsanmeldung einer Prostituirten er¬ folgt, sofort den Wohuungsvermieter der Staatsanwaltschaft zur Bestrafung nach dem vorgenannten § 180 anzeigen, oder er machte sich einer Beihilfe zur Kuppelei schuldig, indem er den Wvhnungsvermieter der Strafverfolgung ent¬ zieht, und hätte demnach gleichfalls die im § 180 angedrohte Strafe zu ge¬ wärtigen. Daß dieser Zustand unhaltbar ist, springt in die Augen, und daran kann anch das Auskunftsmittel nichts ändern, zu dem man in der Praxis seine Zu¬ flucht genommen hat. Man hat nämlich die früher in Deutschland allerorten geduldeten sogenannten öffentlichen Häuser aufgehoben und duldet nur noch das Wohnen der Prostituirten in Privatlogis, wo ihr Treiben angeblich weniger der Öffentlichkeit zu Gesicht kommt und so wenigstens der Schein von Begünstigung vonseiten der Behörden vermieden werden soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/68>, abgerufen am 24.11.2024.