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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkcipitals,

Seezungen die vorbehaltene Amortisation nur den einen Zweck haben, daß er sich
die Gelegenheit offen halten will, etwaige Überschüsse in eignen Unternehmungen
anzulegen. Hat er aber keine Überschüsse, so muß er die Amortisationsbeträge
auf das ordentliche Budget nehmen, d. h. durch Steuern erheben, welche seine
Bürger ohne Not bedrücken. Auch für den Gläubiger, d. h, für die Obli-
gativusinhaber, ist die Amortisation kein Vorteil. Sie erleichtert weder für
einen solventer Staat die Aufnahme eines Urlebens, noch erhält sie das Ver¬
trauen zu den Obligationen (dem Kurs), im Gegenteil, es ist dem Inhaber
lästig, wenn er sein Geld, das zur festen Anlage bestimmt ist, zurückerhält;
und ist es auch dem Einzelnen wirklich erwünscht, sein Geld zurückzuerhalten, so
hilft ihm ja die Amortisation garnicht, wenn, wie es mehr als wahrscheinlich
ist, das Loos seine Obligation nicht trifft. Wer sein in Obligationen angelegtes
Geld zurückhaben will, rechnet nicht auf den AnlehenSschuldner und seine Amor¬
tisation, sondern er wendet sich an seine Nebenmenschen an der Börse, die ihm
seine Obligation jederzeit zu irgend einem Preise abnehmen.

Es ist doch nicht zu verkennen, daß bei Staats-, Gemeinde- und andern
Anlehen dieser Art das Verhältnis der beiden Parteien ein wesentlich andres
ist als dasjenige von Privatleuten, die sich als Gläubiger und Schuldner
gegenüberstehen. Das eigentliche Darleheusverhältnis, das xaetuin av nrrckuo
ist wenigstens für den Obligativnsinhabcr nur noch eine Fiktion, seitdem es
allgemeine Übung geworden ist, die große Schuldurkunde in kleine, auf jeden
Inhaber lautende Partialscheine aufzulösen. Wer eine Obligation erwirbt, denkt
nicht daran, dem Staate darleihen zu wollen, und dem Besitzer liegt der Ge¬
danke fern, Gläubiger des Staates für eine bestimmte Kapitalsumme zu sein.
Die versprochene Rente allein ist es, als deren Schuldner ihm der Staat gilt;
nicht die der Obligation ausgedruckte Kapitalsumme ist sür den Inhaber ma߬
gebend, sondern allein der Preis, den er für dieselbe von Dritten erhalten kann
und der selten mit dem Nominalwerte zusammenfällt. Der Kapitalist, der An-
lehensobligationen kauft, hat eine feste Vermögensanlage im Sinne, er betrachtet
sich weniger als Gläubiger denn als Eigentümer eines verkäuflichen Wertes;
er will keine Rückzahlung, denn sie ist ihm lästig, mitunter auch so nachteilig,
daß er sich gegen das Herauskommen in der Amvrtisationsverlvosung zu ver¬
sichern sucht. Der entscheidende Unterschied zwischen Darlehen unter Privaten
und Staats- oder Gemeindeanlehen besteht darin, daß bei ersteren die Kon¬
trahenten sterbliche Menschen sind, bei letzteren aber der Schuldner ein ewig


Aber auch wenn die Abnutzung eine vollständige sei, sei die Tilgung nicht gerechtfertigt.
Denn die Snchgüter, welche der Staat durch die Anleihe heranzieht, würden definitiv in den
Staat verarbeitet und in Guter verwandelt, welche von jenen ersten spezifisch verschieden
sind. Es sind immaterielle Leistungen aller Art. Der Staat produzirt nicht Guter mit
welchen er tilgen kann. Auch jene Leistungen lassen sich nicht, wie in der Privatwirtschaft,
gegen Sachgnter, mit denen getilgt würde, austauschen?e.
Der Notstand des Privatkcipitals,

Seezungen die vorbehaltene Amortisation nur den einen Zweck haben, daß er sich
die Gelegenheit offen halten will, etwaige Überschüsse in eignen Unternehmungen
anzulegen. Hat er aber keine Überschüsse, so muß er die Amortisationsbeträge
auf das ordentliche Budget nehmen, d. h. durch Steuern erheben, welche seine
Bürger ohne Not bedrücken. Auch für den Gläubiger, d. h, für die Obli-
gativusinhaber, ist die Amortisation kein Vorteil. Sie erleichtert weder für
einen solventer Staat die Aufnahme eines Urlebens, noch erhält sie das Ver¬
trauen zu den Obligationen (dem Kurs), im Gegenteil, es ist dem Inhaber
lästig, wenn er sein Geld, das zur festen Anlage bestimmt ist, zurückerhält;
und ist es auch dem Einzelnen wirklich erwünscht, sein Geld zurückzuerhalten, so
hilft ihm ja die Amortisation garnicht, wenn, wie es mehr als wahrscheinlich
ist, das Loos seine Obligation nicht trifft. Wer sein in Obligationen angelegtes
Geld zurückhaben will, rechnet nicht auf den AnlehenSschuldner und seine Amor¬
tisation, sondern er wendet sich an seine Nebenmenschen an der Börse, die ihm
seine Obligation jederzeit zu irgend einem Preise abnehmen.

Es ist doch nicht zu verkennen, daß bei Staats-, Gemeinde- und andern
Anlehen dieser Art das Verhältnis der beiden Parteien ein wesentlich andres
ist als dasjenige von Privatleuten, die sich als Gläubiger und Schuldner
gegenüberstehen. Das eigentliche Darleheusverhältnis, das xaetuin av nrrckuo
ist wenigstens für den Obligativnsinhabcr nur noch eine Fiktion, seitdem es
allgemeine Übung geworden ist, die große Schuldurkunde in kleine, auf jeden
Inhaber lautende Partialscheine aufzulösen. Wer eine Obligation erwirbt, denkt
nicht daran, dem Staate darleihen zu wollen, und dem Besitzer liegt der Ge¬
danke fern, Gläubiger des Staates für eine bestimmte Kapitalsumme zu sein.
Die versprochene Rente allein ist es, als deren Schuldner ihm der Staat gilt;
nicht die der Obligation ausgedruckte Kapitalsumme ist sür den Inhaber ma߬
gebend, sondern allein der Preis, den er für dieselbe von Dritten erhalten kann
und der selten mit dem Nominalwerte zusammenfällt. Der Kapitalist, der An-
lehensobligationen kauft, hat eine feste Vermögensanlage im Sinne, er betrachtet
sich weniger als Gläubiger denn als Eigentümer eines verkäuflichen Wertes;
er will keine Rückzahlung, denn sie ist ihm lästig, mitunter auch so nachteilig,
daß er sich gegen das Herauskommen in der Amvrtisationsverlvosung zu ver¬
sichern sucht. Der entscheidende Unterschied zwischen Darlehen unter Privaten
und Staats- oder Gemeindeanlehen besteht darin, daß bei ersteren die Kon¬
trahenten sterbliche Menschen sind, bei letzteren aber der Schuldner ein ewig


Aber auch wenn die Abnutzung eine vollständige sei, sei die Tilgung nicht gerechtfertigt.
Denn die Snchgüter, welche der Staat durch die Anleihe heranzieht, würden definitiv in den
Staat verarbeitet und in Guter verwandelt, welche von jenen ersten spezifisch verschieden
sind. Es sind immaterielle Leistungen aller Art. Der Staat produzirt nicht Guter mit
welchen er tilgen kann. Auch jene Leistungen lassen sich nicht, wie in der Privatwirtschaft,
gegen Sachgnter, mit denen getilgt würde, austauschen?e.
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[0603] Der Notstand des Privatkcipitals, Seezungen die vorbehaltene Amortisation nur den einen Zweck haben, daß er sich die Gelegenheit offen halten will, etwaige Überschüsse in eignen Unternehmungen anzulegen. Hat er aber keine Überschüsse, so muß er die Amortisationsbeträge auf das ordentliche Budget nehmen, d. h. durch Steuern erheben, welche seine Bürger ohne Not bedrücken. Auch für den Gläubiger, d. h, für die Obli- gativusinhaber, ist die Amortisation kein Vorteil. Sie erleichtert weder für einen solventer Staat die Aufnahme eines Urlebens, noch erhält sie das Ver¬ trauen zu den Obligationen (dem Kurs), im Gegenteil, es ist dem Inhaber lästig, wenn er sein Geld, das zur festen Anlage bestimmt ist, zurückerhält; und ist es auch dem Einzelnen wirklich erwünscht, sein Geld zurückzuerhalten, so hilft ihm ja die Amortisation garnicht, wenn, wie es mehr als wahrscheinlich ist, das Loos seine Obligation nicht trifft. Wer sein in Obligationen angelegtes Geld zurückhaben will, rechnet nicht auf den AnlehenSschuldner und seine Amor¬ tisation, sondern er wendet sich an seine Nebenmenschen an der Börse, die ihm seine Obligation jederzeit zu irgend einem Preise abnehmen. Es ist doch nicht zu verkennen, daß bei Staats-, Gemeinde- und andern Anlehen dieser Art das Verhältnis der beiden Parteien ein wesentlich andres ist als dasjenige von Privatleuten, die sich als Gläubiger und Schuldner gegenüberstehen. Das eigentliche Darleheusverhältnis, das xaetuin av nrrckuo ist wenigstens für den Obligativnsinhabcr nur noch eine Fiktion, seitdem es allgemeine Übung geworden ist, die große Schuldurkunde in kleine, auf jeden Inhaber lautende Partialscheine aufzulösen. Wer eine Obligation erwirbt, denkt nicht daran, dem Staate darleihen zu wollen, und dem Besitzer liegt der Ge¬ danke fern, Gläubiger des Staates für eine bestimmte Kapitalsumme zu sein. Die versprochene Rente allein ist es, als deren Schuldner ihm der Staat gilt; nicht die der Obligation ausgedruckte Kapitalsumme ist sür den Inhaber ma߬ gebend, sondern allein der Preis, den er für dieselbe von Dritten erhalten kann und der selten mit dem Nominalwerte zusammenfällt. Der Kapitalist, der An- lehensobligationen kauft, hat eine feste Vermögensanlage im Sinne, er betrachtet sich weniger als Gläubiger denn als Eigentümer eines verkäuflichen Wertes; er will keine Rückzahlung, denn sie ist ihm lästig, mitunter auch so nachteilig, daß er sich gegen das Herauskommen in der Amvrtisationsverlvosung zu ver¬ sichern sucht. Der entscheidende Unterschied zwischen Darlehen unter Privaten und Staats- oder Gemeindeanlehen besteht darin, daß bei ersteren die Kon¬ trahenten sterbliche Menschen sind, bei letzteren aber der Schuldner ein ewig Aber auch wenn die Abnutzung eine vollständige sei, sei die Tilgung nicht gerechtfertigt. Denn die Snchgüter, welche der Staat durch die Anleihe heranzieht, würden definitiv in den Staat verarbeitet und in Guter verwandelt, welche von jenen ersten spezifisch verschieden sind. Es sind immaterielle Leistungen aller Art. Der Staat produzirt nicht Guter mit welchen er tilgen kann. Auch jene Leistungen lassen sich nicht, wie in der Privatwirtschaft, gegen Sachgnter, mit denen getilgt würde, austauschen?e.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/603>, abgerufen am 24.11.2024.