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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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dauerndes Rechtssubjekt und miles der Gläubiger des individuellen Charakters
entkleidet ist, insofern die Scheine auf den Inhaber lauten, dessen Persönlichkeit
für das Rechtsverhältnis vollkommen gleichgültig ist. Dem ewigen Charakter
der Kontrahenten -- wenn man sie so nennen darf, da der ErWerber einer
Obligation doch eigentlich nicht mit dem Staate loutrahirt, sondern nur ein
einseitig vom Staate gegebenes Versprechen ncceptirt -- entspricht denn wohl
auch am besten die ewige Dauer des Rechtsverhältnisses, d, h. die Form der
ewigen Rente, und die Jurisprudenz der Zukunft wird deshalb vielleicht in
solche" Anlehen nicht mehr ein privatrechtliches mutrmM erblicken, sondern ein
Verhältnis, das, ähnlich den deutschen Realrechten, als unabhängig von dem
Willen der ursprünglichen Konstituenten seine Geltung behauptet.

Die moderne Finanzwissenschaft ist denn auch der Ansicht, daß für Staaten
bei geordneten Finanzen das Shstem der Kapitalaufnahme mit Amortisation
ein überwuuducr Standpunkt und nur die Form der ewigen Rente zu empfehlen
sei; die Amortisation ist nur zur Erhaltung einer richtigen Bilanz insoweit ge¬
rechtfertigt, als die Substanz der vermittelst des Urlebens hergestellten Werte
verbraucht ist, und auch in diesem Falle wird es rationeller sein, wenn es an¬
geht, die verbrauchte Substanz zu Lasten des ordentlichen Dienstes wiederher¬
zustellen, als die gegenüberstehende Schuld zu nmortisireu.

Als die großen Staateil begannen, ihren außerordentlichen Ausgaben durch
Auleheu Deckung zu verschaffen, geschah es in dein vollen Bewußtsein, daß sie
Schulden machten, und mit der guten Absicht, diese Schulden so bald als möglich
abzutragen, und ebenso mochten die Darleiher sich auf die Rückzahlung ihres
Guthabens verlassen. Allein der Laus der Weltgeschichte bewies sehr bald, daß
das Privatrechtsverhättuis des inntnuor nicht auf die Anlehen Paßte, welche
der Staat zur Befriedigung zwar außergewöhnlicher, aber doch immer wieder¬
kehrender Bedürfnisse zu koutrahireu gezwungen war. Es zeigte sich einerseits,
daß die Staatsschuld als eine stehende, bleibende Institution betrachtet werden
müsse, daß der Staat niemals wieder in die Lage kommen werde, schuldenfrei zu
sein, oder auch> nur seinen Schuldeustaud wesentlich zu vermindern, und anderseits
daß seine Gläubiger eine Rückzahlung der dargeliehenen Beträge weder ver¬
langten noch auch nur erwarteten, vielmehr immer aufs neue bereit waren, so viel
darzuleihen, als der Staat begehren wollte. Die Unmöglichkeit der Rückzahlung
der Staatsschulden war augenscheinlich, aber es war auch ebenso zweifellos,
daß -- seltene Ausnahmen abgerechnet -- jede spätere Periode eine größere
Staatsschuld mit geringerer Mühe verzinse, als die vorhergehende Periode die
kleinere Schuld.

Als unter dein ersten Pitt die englische Schuld auf 120 Millionen Pfund
angewachsen war, sagte der größte Nativnalötonvm jener Zeit, David Hume,
England hätte den Wahnsinn der Kreuzfahrer übertroffen. Richard Löwenherz
und der heilige Ludwig wären nicht geradezu gegen arithmetische Beweise


dauerndes Rechtssubjekt und miles der Gläubiger des individuellen Charakters
entkleidet ist, insofern die Scheine auf den Inhaber lauten, dessen Persönlichkeit
für das Rechtsverhältnis vollkommen gleichgültig ist. Dem ewigen Charakter
der Kontrahenten — wenn man sie so nennen darf, da der ErWerber einer
Obligation doch eigentlich nicht mit dem Staate loutrahirt, sondern nur ein
einseitig vom Staate gegebenes Versprechen ncceptirt — entspricht denn wohl
auch am besten die ewige Dauer des Rechtsverhältnisses, d, h. die Form der
ewigen Rente, und die Jurisprudenz der Zukunft wird deshalb vielleicht in
solche» Anlehen nicht mehr ein privatrechtliches mutrmM erblicken, sondern ein
Verhältnis, das, ähnlich den deutschen Realrechten, als unabhängig von dem
Willen der ursprünglichen Konstituenten seine Geltung behauptet.

Die moderne Finanzwissenschaft ist denn auch der Ansicht, daß für Staaten
bei geordneten Finanzen das Shstem der Kapitalaufnahme mit Amortisation
ein überwuuducr Standpunkt und nur die Form der ewigen Rente zu empfehlen
sei; die Amortisation ist nur zur Erhaltung einer richtigen Bilanz insoweit ge¬
rechtfertigt, als die Substanz der vermittelst des Urlebens hergestellten Werte
verbraucht ist, und auch in diesem Falle wird es rationeller sein, wenn es an¬
geht, die verbrauchte Substanz zu Lasten des ordentlichen Dienstes wiederher¬
zustellen, als die gegenüberstehende Schuld zu nmortisireu.

Als die großen Staateil begannen, ihren außerordentlichen Ausgaben durch
Auleheu Deckung zu verschaffen, geschah es in dein vollen Bewußtsein, daß sie
Schulden machten, und mit der guten Absicht, diese Schulden so bald als möglich
abzutragen, und ebenso mochten die Darleiher sich auf die Rückzahlung ihres
Guthabens verlassen. Allein der Laus der Weltgeschichte bewies sehr bald, daß
das Privatrechtsverhättuis des inntnuor nicht auf die Anlehen Paßte, welche
der Staat zur Befriedigung zwar außergewöhnlicher, aber doch immer wieder¬
kehrender Bedürfnisse zu koutrahireu gezwungen war. Es zeigte sich einerseits,
daß die Staatsschuld als eine stehende, bleibende Institution betrachtet werden
müsse, daß der Staat niemals wieder in die Lage kommen werde, schuldenfrei zu
sein, oder auch> nur seinen Schuldeustaud wesentlich zu vermindern, und anderseits
daß seine Gläubiger eine Rückzahlung der dargeliehenen Beträge weder ver¬
langten noch auch nur erwarteten, vielmehr immer aufs neue bereit waren, so viel
darzuleihen, als der Staat begehren wollte. Die Unmöglichkeit der Rückzahlung
der Staatsschulden war augenscheinlich, aber es war auch ebenso zweifellos,
daß — seltene Ausnahmen abgerechnet — jede spätere Periode eine größere
Staatsschuld mit geringerer Mühe verzinse, als die vorhergehende Periode die
kleinere Schuld.

Als unter dein ersten Pitt die englische Schuld auf 120 Millionen Pfund
angewachsen war, sagte der größte Nativnalötonvm jener Zeit, David Hume,
England hätte den Wahnsinn der Kreuzfahrer übertroffen. Richard Löwenherz
und der heilige Ludwig wären nicht geradezu gegen arithmetische Beweise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/604>, abgerufen am 24.11.2024.