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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Neuere Literatur über Nordamerika.

Konflikte zwischen Kapital und Arbeit hin: "Extreme Fälle rasch und oft ver¬
dienstlos gewonnenen großen Reichtums Einzelner -- schreibt er -- gegenüber
dem langsamen Vorwärtskommen und den verhältnismüßig dürftigeren Ver-
mögensverhältnissen der großen Masse des Volkes im allgemeinen haben Zu¬
stände geschaffen, welche den sozialen Erscheinungen Europas nicht allein völlig
gleich sind, sondern auch bei dem Mangel an Widerstand im Lande dem Wohle,
sowie der ganzen jetzigen Gescllschaftseinrichtuug des amerikanischen Volkes weit
gefährlicher zu werden drohen, als sie dies je in den westlichen und mittleren
Staaten Europas werden dürften." Sowohl Jüngst wie Douai raten daher
im allgemeinen dem Deutschen von der Einwanderung in Amerika ab. Dem
Bauern deshalb, weil kulturfähiges Land in Amerika so teuer ist wie in Europa,
während es doch nicht so viel abwirft wie Land der gleichen Güte in Europa.
Der Farmerstcind Amerikas, einst der Stolz und der Kern der Nation, ist durch
den Wucher, die Konkurrenz mit Riesenwirtschcifteu und die Eröffnung der Kon¬
kurrenz mit dem Getreide Indiens und Australiens in eine schwere Lage ver¬
setzt. Nicht besser steht es in der Industrie. "Ju einer langen Reihe der größten
Industrien -- schreibt Douai -- erwirbt heutzutage eine ganze Familie nur so
viel, als vordem der Gatte und Vater allein verdiente, und das Familienleben geht
dabei total zu gründe." Die amerikanische Industrie hat gewaltige Fortschritte
gemacht und könnte, wenn ihr der Absatz gesichert wäre, einen fast unbegrenzten
Aufschwung nehmen; aber es fehlt nicht nur an fremden Absatzinärkten, sondern
auch infolge der Abnahme der Kanfkraft in der Masse des eignen Volkes ist die
Produktion in beständiger Gefahr der Überproduktion. "Die amerikanische In¬
dustrie erstickt in ihrem eignen Reichtum" lautet eine der Aussagen Jüngsts;
er beklagt, daß der Export in Jndustrieerzeugnissen bloß etwa den achten Teil
der englischen Exportwertsumme beträgt. Nach Douai ist eine weitere Herab-
drückung der gesunkenen Arbeitslöhne in den Vereinigten Staaten zu erwarten.
Er schreibt: "Ein Land, welches 25384." industrielle Unternehmungen mit
2 738 950 Arbeitern (darunter ein Viertel Frauen und ein Elftcl Kinder) zählt
und einen Wert industneller Produkte von 5 3696K7 760 Dollars im Jahre
(1830) hervorbringt, nimmt nächst Großbritannien die erste industrielle Stellung
in der Welt ein und könnte, wenn der Absatz es erlaubte, Großbritannien
binnen einem Jahre weit überholen. Da jedoch dieser Absatz fast nur im eigne"
Lande gefunden wird -- die von Amerika ausgeführten Jndustrieprvdukte macheu
uur den siebenten oder achten Teil der Gesamtausfuhr und im ganzen nicht
viel über 100 Millionen Dollars im Jahre aus -- und da (aus Luxus oder
der Wohlfeilheit wegen) mehr fremde Jndnstriewcmren eingeführt werden, als
Amerika ausführt, so schrumpft auch im Inlande der Absatz eher zusammen,
als daß er sich ausdehnte. Es sind daher anch in den besten Jahre", wie 1872,
1880 und 1881, immer eine Anzahl Lohnarbeiter ganz unbeschäftigt, andre
nur bis ^ des Jahres vollauf thätig; und an dieser Flausen der Geschäfte


Neuere Literatur über Nordamerika.

Konflikte zwischen Kapital und Arbeit hin: „Extreme Fälle rasch und oft ver¬
dienstlos gewonnenen großen Reichtums Einzelner — schreibt er — gegenüber
dem langsamen Vorwärtskommen und den verhältnismüßig dürftigeren Ver-
mögensverhältnissen der großen Masse des Volkes im allgemeinen haben Zu¬
stände geschaffen, welche den sozialen Erscheinungen Europas nicht allein völlig
gleich sind, sondern auch bei dem Mangel an Widerstand im Lande dem Wohle,
sowie der ganzen jetzigen Gescllschaftseinrichtuug des amerikanischen Volkes weit
gefährlicher zu werden drohen, als sie dies je in den westlichen und mittleren
Staaten Europas werden dürften." Sowohl Jüngst wie Douai raten daher
im allgemeinen dem Deutschen von der Einwanderung in Amerika ab. Dem
Bauern deshalb, weil kulturfähiges Land in Amerika so teuer ist wie in Europa,
während es doch nicht so viel abwirft wie Land der gleichen Güte in Europa.
Der Farmerstcind Amerikas, einst der Stolz und der Kern der Nation, ist durch
den Wucher, die Konkurrenz mit Riesenwirtschcifteu und die Eröffnung der Kon¬
kurrenz mit dem Getreide Indiens und Australiens in eine schwere Lage ver¬
setzt. Nicht besser steht es in der Industrie. „Ju einer langen Reihe der größten
Industrien — schreibt Douai — erwirbt heutzutage eine ganze Familie nur so
viel, als vordem der Gatte und Vater allein verdiente, und das Familienleben geht
dabei total zu gründe." Die amerikanische Industrie hat gewaltige Fortschritte
gemacht und könnte, wenn ihr der Absatz gesichert wäre, einen fast unbegrenzten
Aufschwung nehmen; aber es fehlt nicht nur an fremden Absatzinärkten, sondern
auch infolge der Abnahme der Kanfkraft in der Masse des eignen Volkes ist die
Produktion in beständiger Gefahr der Überproduktion. „Die amerikanische In¬
dustrie erstickt in ihrem eignen Reichtum" lautet eine der Aussagen Jüngsts;
er beklagt, daß der Export in Jndustrieerzeugnissen bloß etwa den achten Teil
der englischen Exportwertsumme beträgt. Nach Douai ist eine weitere Herab-
drückung der gesunkenen Arbeitslöhne in den Vereinigten Staaten zu erwarten.
Er schreibt: „Ein Land, welches 25384.» industrielle Unternehmungen mit
2 738 950 Arbeitern (darunter ein Viertel Frauen und ein Elftcl Kinder) zählt
und einen Wert industneller Produkte von 5 3696K7 760 Dollars im Jahre
(1830) hervorbringt, nimmt nächst Großbritannien die erste industrielle Stellung
in der Welt ein und könnte, wenn der Absatz es erlaubte, Großbritannien
binnen einem Jahre weit überholen. Da jedoch dieser Absatz fast nur im eigne»
Lande gefunden wird — die von Amerika ausgeführten Jndustrieprvdukte macheu
uur den siebenten oder achten Teil der Gesamtausfuhr und im ganzen nicht
viel über 100 Millionen Dollars im Jahre aus — und da (aus Luxus oder
der Wohlfeilheit wegen) mehr fremde Jndnstriewcmren eingeführt werden, als
Amerika ausführt, so schrumpft auch im Inlande der Absatz eher zusammen,
als daß er sich ausdehnte. Es sind daher anch in den besten Jahre», wie 1872,
1880 und 1881, immer eine Anzahl Lohnarbeiter ganz unbeschäftigt, andre
nur bis ^ des Jahres vollauf thätig; und an dieser Flausen der Geschäfte


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[0589] Neuere Literatur über Nordamerika. Konflikte zwischen Kapital und Arbeit hin: „Extreme Fälle rasch und oft ver¬ dienstlos gewonnenen großen Reichtums Einzelner — schreibt er — gegenüber dem langsamen Vorwärtskommen und den verhältnismüßig dürftigeren Ver- mögensverhältnissen der großen Masse des Volkes im allgemeinen haben Zu¬ stände geschaffen, welche den sozialen Erscheinungen Europas nicht allein völlig gleich sind, sondern auch bei dem Mangel an Widerstand im Lande dem Wohle, sowie der ganzen jetzigen Gescllschaftseinrichtuug des amerikanischen Volkes weit gefährlicher zu werden drohen, als sie dies je in den westlichen und mittleren Staaten Europas werden dürften." Sowohl Jüngst wie Douai raten daher im allgemeinen dem Deutschen von der Einwanderung in Amerika ab. Dem Bauern deshalb, weil kulturfähiges Land in Amerika so teuer ist wie in Europa, während es doch nicht so viel abwirft wie Land der gleichen Güte in Europa. Der Farmerstcind Amerikas, einst der Stolz und der Kern der Nation, ist durch den Wucher, die Konkurrenz mit Riesenwirtschcifteu und die Eröffnung der Kon¬ kurrenz mit dem Getreide Indiens und Australiens in eine schwere Lage ver¬ setzt. Nicht besser steht es in der Industrie. „Ju einer langen Reihe der größten Industrien — schreibt Douai — erwirbt heutzutage eine ganze Familie nur so viel, als vordem der Gatte und Vater allein verdiente, und das Familienleben geht dabei total zu gründe." Die amerikanische Industrie hat gewaltige Fortschritte gemacht und könnte, wenn ihr der Absatz gesichert wäre, einen fast unbegrenzten Aufschwung nehmen; aber es fehlt nicht nur an fremden Absatzinärkten, sondern auch infolge der Abnahme der Kanfkraft in der Masse des eignen Volkes ist die Produktion in beständiger Gefahr der Überproduktion. „Die amerikanische In¬ dustrie erstickt in ihrem eignen Reichtum" lautet eine der Aussagen Jüngsts; er beklagt, daß der Export in Jndustrieerzeugnissen bloß etwa den achten Teil der englischen Exportwertsumme beträgt. Nach Douai ist eine weitere Herab- drückung der gesunkenen Arbeitslöhne in den Vereinigten Staaten zu erwarten. Er schreibt: „Ein Land, welches 25384.» industrielle Unternehmungen mit 2 738 950 Arbeitern (darunter ein Viertel Frauen und ein Elftcl Kinder) zählt und einen Wert industneller Produkte von 5 3696K7 760 Dollars im Jahre (1830) hervorbringt, nimmt nächst Großbritannien die erste industrielle Stellung in der Welt ein und könnte, wenn der Absatz es erlaubte, Großbritannien binnen einem Jahre weit überholen. Da jedoch dieser Absatz fast nur im eigne» Lande gefunden wird — die von Amerika ausgeführten Jndustrieprvdukte macheu uur den siebenten oder achten Teil der Gesamtausfuhr und im ganzen nicht viel über 100 Millionen Dollars im Jahre aus — und da (aus Luxus oder der Wohlfeilheit wegen) mehr fremde Jndnstriewcmren eingeführt werden, als Amerika ausführt, so schrumpft auch im Inlande der Absatz eher zusammen, als daß er sich ausdehnte. Es sind daher anch in den besten Jahre», wie 1872, 1880 und 1881, immer eine Anzahl Lohnarbeiter ganz unbeschäftigt, andre nur bis ^ des Jahres vollauf thätig; und an dieser Flausen der Geschäfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/589>, abgerufen am 25.11.2024.