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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Neuere Literatur über Nordamerika.

gekommen; sie werden mit der Zeit die nach und nach angenommenen keltischen
und romanischen Gewohnheiten fallen lassen, die Deutschamerikaner hingegen
werden sich dessen entäußern, was an ihnen urgermanisch ist, und die Zukunfts-
natiou Amerikas wird einst der würdigste Repräsentant jenes gewaltigen
Stammes sein, welchem die Hegemonie nnter den Knlturnationcn der Neuzeit
nun einmal nicht mehr abzuringen ist."

Als Nationalität soll und kann sich das Deutschtum freilich in den Ver¬
einigten Staaten nicht behaupten. Die deutsche Sprache, das wird von unsern
Verfassern unverhohlen eingestanden, bleibt meist nur in dem Stamme der
frischen Einwandrer erhalten, schon den Kindern pflegt sie verloren zu gehen,
und versiegt einmal die Znwanderuug aus Deutschland, so ist es um ihre Zu¬
kunft geschehen. Der deutschen Sprache in Amerika fehlt eine engere deutsch-
amerikanische Literatur von Bedeutung. Wenn geistig hervorragende Deutsche
in Amerika etwas Ernstes schreiben, so thun sie es, wie z. B. Schurz und der
verstorbene Lieber, englisch.

Ein wertvoller Bestandteil des Werkes sind die Abhandlungen von Jüngst
und Donai über die Lage der Landwirtschaft und der Industrie, woran sich
die Aufsätze Nümelins über Entwicklung und Stand des Eisenbahnwesens, der
Post und Telegraphie lind über das Steuerwesen, endlich eine Abhandlung
über die Sonntags- und Temperenzfrage anschließen. Die erstgenannten Ab¬
handlungen von Jüngst und Donai überraschen durch die Offenheit, mit der
beide Verfasser sich über die Verschlechterung der amerikanischen Verhältnisse
äußern. Sie machen der Vorstellung von Amerika als dem Lande, wo jeder,
der nur arbeite" wolle, es zum gemachten Manne, sei es als Farmer oder als
Geschäftsmann, bringe, gründlich ein Ende. Es hat sich in den Verhältnissen
drüben eine Annäherung an alle sozialen und wirtschaftlichen Übel Europas
vollzogen. Die soziale Frage erhebt sich womöglich drüben noch drohender als
hüben. Nirgends sind die Gegensätze von Armut und Reichtum so groß ge¬
worden wie in den Vereinigten Staaten: auf der einen Seite ist eine Klasse
von Millionären, Monopolisten des Landes, der Verkehrsmittel, der Regierung
entstanden, auf der andern Seite eine lohnarbeitende Masse, deren Aussichten
auf Selbständigkeit und besseres Fortkommen sich sehr verringert hat, seitdem
es schwierig geworden ist, gutes Kulturland umsonst oder billig zu erhalten.

Die Schönfärberei Meyers erhält in diesen Aufsätzen eine böse Kritik. Da
ist nichts von der Ruhmredigkeit mit der amerikanischen Homesteadgesetzgebnng,
wohl aber erfahren wir, wie rapid das kleine Farmerwesen vernichtet wird und
den, Großgrundbesitz und der Pachtwirtschaft verfällt. Während Meyer die
Homesteadgesetze als das Palladium für das amerikanische Bauerntum preist
und deren Nachahmung bei uns empfiehlt, klagt Jüngst, daß dein amerikanischen
Farmer "die wohlthätigen und für die Erhaltung des Bauernstandes unentbehr¬
lichen Gesetze und Einrichtungen Europas fehlen." Jüngst weist auf drohende


Neuere Literatur über Nordamerika.

gekommen; sie werden mit der Zeit die nach und nach angenommenen keltischen
und romanischen Gewohnheiten fallen lassen, die Deutschamerikaner hingegen
werden sich dessen entäußern, was an ihnen urgermanisch ist, und die Zukunfts-
natiou Amerikas wird einst der würdigste Repräsentant jenes gewaltigen
Stammes sein, welchem die Hegemonie nnter den Knlturnationcn der Neuzeit
nun einmal nicht mehr abzuringen ist."

Als Nationalität soll und kann sich das Deutschtum freilich in den Ver¬
einigten Staaten nicht behaupten. Die deutsche Sprache, das wird von unsern
Verfassern unverhohlen eingestanden, bleibt meist nur in dem Stamme der
frischen Einwandrer erhalten, schon den Kindern pflegt sie verloren zu gehen,
und versiegt einmal die Znwanderuug aus Deutschland, so ist es um ihre Zu¬
kunft geschehen. Der deutschen Sprache in Amerika fehlt eine engere deutsch-
amerikanische Literatur von Bedeutung. Wenn geistig hervorragende Deutsche
in Amerika etwas Ernstes schreiben, so thun sie es, wie z. B. Schurz und der
verstorbene Lieber, englisch.

Ein wertvoller Bestandteil des Werkes sind die Abhandlungen von Jüngst
und Donai über die Lage der Landwirtschaft und der Industrie, woran sich
die Aufsätze Nümelins über Entwicklung und Stand des Eisenbahnwesens, der
Post und Telegraphie lind über das Steuerwesen, endlich eine Abhandlung
über die Sonntags- und Temperenzfrage anschließen. Die erstgenannten Ab¬
handlungen von Jüngst und Donai überraschen durch die Offenheit, mit der
beide Verfasser sich über die Verschlechterung der amerikanischen Verhältnisse
äußern. Sie machen der Vorstellung von Amerika als dem Lande, wo jeder,
der nur arbeite» wolle, es zum gemachten Manne, sei es als Farmer oder als
Geschäftsmann, bringe, gründlich ein Ende. Es hat sich in den Verhältnissen
drüben eine Annäherung an alle sozialen und wirtschaftlichen Übel Europas
vollzogen. Die soziale Frage erhebt sich womöglich drüben noch drohender als
hüben. Nirgends sind die Gegensätze von Armut und Reichtum so groß ge¬
worden wie in den Vereinigten Staaten: auf der einen Seite ist eine Klasse
von Millionären, Monopolisten des Landes, der Verkehrsmittel, der Regierung
entstanden, auf der andern Seite eine lohnarbeitende Masse, deren Aussichten
auf Selbständigkeit und besseres Fortkommen sich sehr verringert hat, seitdem
es schwierig geworden ist, gutes Kulturland umsonst oder billig zu erhalten.

Die Schönfärberei Meyers erhält in diesen Aufsätzen eine böse Kritik. Da
ist nichts von der Ruhmredigkeit mit der amerikanischen Homesteadgesetzgebnng,
wohl aber erfahren wir, wie rapid das kleine Farmerwesen vernichtet wird und
den, Großgrundbesitz und der Pachtwirtschaft verfällt. Während Meyer die
Homesteadgesetze als das Palladium für das amerikanische Bauerntum preist
und deren Nachahmung bei uns empfiehlt, klagt Jüngst, daß dein amerikanischen
Farmer „die wohlthätigen und für die Erhaltung des Bauernstandes unentbehr¬
lichen Gesetze und Einrichtungen Europas fehlen." Jüngst weist auf drohende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/588>, abgerufen am 25.11.2024.