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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Plivatlapiwls.

Fortschritt der Wissenschaften, welcher es möglich macht, die menschliche Arbeit
mehr und mehr durch Maschinen zu ersetzen. Diese beiden gleich Naturgewalten
wirkenden Ursachen geben dem Egoismus der Unternehmer den Arbeitern gegen¬
über einen größern Spielraum, und ich fürchte, daß kein Lohn- und kein sonstiges
wirtschaftliches System ersonnen werden kann, welches diesem Übelstande abhälfe,
glauben aber, daß das Heilmittel auf dem moralischen Gebiete gefunden werden
wird, d. h. in einem Fortschritte der allgemeinen Humanität, welche den
Egoismus des Unternehmers läutern und so weit beschränken wird, daß er den
Arbeiter nicht zu dem niedrigsten Lohnsatze annimmt, der überhaupt zu erreichen
ist, sondern -- um in dem Sinne der Nora.1 sönUmsnrs von Adam Smith
z" reden -- zu einem solchen Lohnsätze, welcher die Billigung seiner Neben¬
menschen findet, d. h. dem Arbeiter ein menschenwürdiges Dasein gestattet/")

Wie steht es nun aber mit dem Kapital? Auch dieses hat mit dem Unter¬
nehmer seinen Lohn zu vereinbaren, und das Kapital wird mit demselben Recht
nach gutem Zins streben wie der Arbeiter nach hohem Lohn. Auch hier wird
das Verhältnis von Nachfrage und Angebot im wesentlichen entscheiden. Aber
wie die reine Wirkung dieses Verhältnisses bei der Verhandlung zwischen Ar¬
beiter und Unternehmer durch die schwächere Lage des Arbeiters gestört wird,
die sich aus dem Einfluß der Volkszuuahme und der Vervollkommnung der
Maschinen ergiebt, so bei der Verhandlung zwischen Kapital und Unternehmer
durch den übermächtigen Einfluß des Großkapitals. Der Unterschied zwischen
Kapital und Großkapital wird nicht genügend beachtet, ja das Kapital selbst
ist sich seiner vom Großkapital unterschiednem Stellung kaum bewußt, und es
ist daher zunächst meine Aufgabe, diesen Unterschied darzulegen. Ich hoffe be¬
weisen zu können, daß während das Kapital aus Arbeit entsteht und in Arbeit
nutzbringende Verwendung gegen Zins anstrebt, diese beiden charakteristischen
Eigenschaften des Kapitals dem Großkapital abgehen, indem es erstens nicht
aus Arbeit, sondern durch Spekulation entsteht, und zweitens nicht mittels
der Arbeit in der Gütererzeugung Verwendung sucht, nicht ans Zinsgeuuß
ausgeht, sondern auf Verschlingen, Aufsaugen andern Kapitals, daß mithin
Großkapital und Kapital zwei wesentlich verschiedne Dinge sind, die nicht unter
demselben Namen zusammengefaßt werden sollten. Es sei mir gestattet, etwas
weiter auszuholen.Ä >>-




Ein Markt ist schon in sehr unentwickelten Kulturzuständen ein unabweis¬
bares Bedürfnis. Der Nomade wandert von seiner kirgisischen Steppe nach



Wie mächtig der moralische Einfluß ist, sehen wir an dem Beispiel, welches König
Humbert von Italien gab, als er die Chöleratrankcu in Neapel besuchte, ein Beispiel,
welches auch den König von Spanien genötigt "der doch veranlaßt hat, aus demselben
Grunde trotz des Widerspruchs seiner Minister nach Aranjuez zu gehen. Der Mornlkodex
der Könige wird vermutlich dieses Gebot für die Zukunft festhalten.
Der Notstand des Plivatlapiwls.

Fortschritt der Wissenschaften, welcher es möglich macht, die menschliche Arbeit
mehr und mehr durch Maschinen zu ersetzen. Diese beiden gleich Naturgewalten
wirkenden Ursachen geben dem Egoismus der Unternehmer den Arbeitern gegen¬
über einen größern Spielraum, und ich fürchte, daß kein Lohn- und kein sonstiges
wirtschaftliches System ersonnen werden kann, welches diesem Übelstande abhälfe,
glauben aber, daß das Heilmittel auf dem moralischen Gebiete gefunden werden
wird, d. h. in einem Fortschritte der allgemeinen Humanität, welche den
Egoismus des Unternehmers läutern und so weit beschränken wird, daß er den
Arbeiter nicht zu dem niedrigsten Lohnsatze annimmt, der überhaupt zu erreichen
ist, sondern — um in dem Sinne der Nora.1 sönUmsnrs von Adam Smith
z» reden — zu einem solchen Lohnsätze, welcher die Billigung seiner Neben¬
menschen findet, d. h. dem Arbeiter ein menschenwürdiges Dasein gestattet/")

Wie steht es nun aber mit dem Kapital? Auch dieses hat mit dem Unter¬
nehmer seinen Lohn zu vereinbaren, und das Kapital wird mit demselben Recht
nach gutem Zins streben wie der Arbeiter nach hohem Lohn. Auch hier wird
das Verhältnis von Nachfrage und Angebot im wesentlichen entscheiden. Aber
wie die reine Wirkung dieses Verhältnisses bei der Verhandlung zwischen Ar¬
beiter und Unternehmer durch die schwächere Lage des Arbeiters gestört wird,
die sich aus dem Einfluß der Volkszuuahme und der Vervollkommnung der
Maschinen ergiebt, so bei der Verhandlung zwischen Kapital und Unternehmer
durch den übermächtigen Einfluß des Großkapitals. Der Unterschied zwischen
Kapital und Großkapital wird nicht genügend beachtet, ja das Kapital selbst
ist sich seiner vom Großkapital unterschiednem Stellung kaum bewußt, und es
ist daher zunächst meine Aufgabe, diesen Unterschied darzulegen. Ich hoffe be¬
weisen zu können, daß während das Kapital aus Arbeit entsteht und in Arbeit
nutzbringende Verwendung gegen Zins anstrebt, diese beiden charakteristischen
Eigenschaften des Kapitals dem Großkapital abgehen, indem es erstens nicht
aus Arbeit, sondern durch Spekulation entsteht, und zweitens nicht mittels
der Arbeit in der Gütererzeugung Verwendung sucht, nicht ans Zinsgeuuß
ausgeht, sondern auf Verschlingen, Aufsaugen andern Kapitals, daß mithin
Großkapital und Kapital zwei wesentlich verschiedne Dinge sind, die nicht unter
demselben Namen zusammengefaßt werden sollten. Es sei mir gestattet, etwas
weiter auszuholen.Ä >>-




Ein Markt ist schon in sehr unentwickelten Kulturzuständen ein unabweis¬
bares Bedürfnis. Der Nomade wandert von seiner kirgisischen Steppe nach



Wie mächtig der moralische Einfluß ist, sehen wir an dem Beispiel, welches König
Humbert von Italien gab, als er die Chöleratrankcu in Neapel besuchte, ein Beispiel,
welches auch den König von Spanien genötigt »der doch veranlaßt hat, aus demselben
Grunde trotz des Widerspruchs seiner Minister nach Aranjuez zu gehen. Der Mornlkodex
der Könige wird vermutlich dieses Gebot für die Zukunft festhalten.
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[0557] Der Notstand des Plivatlapiwls. Fortschritt der Wissenschaften, welcher es möglich macht, die menschliche Arbeit mehr und mehr durch Maschinen zu ersetzen. Diese beiden gleich Naturgewalten wirkenden Ursachen geben dem Egoismus der Unternehmer den Arbeitern gegen¬ über einen größern Spielraum, und ich fürchte, daß kein Lohn- und kein sonstiges wirtschaftliches System ersonnen werden kann, welches diesem Übelstande abhälfe, glauben aber, daß das Heilmittel auf dem moralischen Gebiete gefunden werden wird, d. h. in einem Fortschritte der allgemeinen Humanität, welche den Egoismus des Unternehmers läutern und so weit beschränken wird, daß er den Arbeiter nicht zu dem niedrigsten Lohnsatze annimmt, der überhaupt zu erreichen ist, sondern — um in dem Sinne der Nora.1 sönUmsnrs von Adam Smith z» reden — zu einem solchen Lohnsätze, welcher die Billigung seiner Neben¬ menschen findet, d. h. dem Arbeiter ein menschenwürdiges Dasein gestattet/") Wie steht es nun aber mit dem Kapital? Auch dieses hat mit dem Unter¬ nehmer seinen Lohn zu vereinbaren, und das Kapital wird mit demselben Recht nach gutem Zins streben wie der Arbeiter nach hohem Lohn. Auch hier wird das Verhältnis von Nachfrage und Angebot im wesentlichen entscheiden. Aber wie die reine Wirkung dieses Verhältnisses bei der Verhandlung zwischen Ar¬ beiter und Unternehmer durch die schwächere Lage des Arbeiters gestört wird, die sich aus dem Einfluß der Volkszuuahme und der Vervollkommnung der Maschinen ergiebt, so bei der Verhandlung zwischen Kapital und Unternehmer durch den übermächtigen Einfluß des Großkapitals. Der Unterschied zwischen Kapital und Großkapital wird nicht genügend beachtet, ja das Kapital selbst ist sich seiner vom Großkapital unterschiednem Stellung kaum bewußt, und es ist daher zunächst meine Aufgabe, diesen Unterschied darzulegen. Ich hoffe be¬ weisen zu können, daß während das Kapital aus Arbeit entsteht und in Arbeit nutzbringende Verwendung gegen Zins anstrebt, diese beiden charakteristischen Eigenschaften des Kapitals dem Großkapital abgehen, indem es erstens nicht aus Arbeit, sondern durch Spekulation entsteht, und zweitens nicht mittels der Arbeit in der Gütererzeugung Verwendung sucht, nicht ans Zinsgeuuß ausgeht, sondern auf Verschlingen, Aufsaugen andern Kapitals, daß mithin Großkapital und Kapital zwei wesentlich verschiedne Dinge sind, die nicht unter demselben Namen zusammengefaßt werden sollten. Es sei mir gestattet, etwas weiter auszuholen.Ä >>- Ein Markt ist schon in sehr unentwickelten Kulturzuständen ein unabweis¬ bares Bedürfnis. Der Nomade wandert von seiner kirgisischen Steppe nach Wie mächtig der moralische Einfluß ist, sehen wir an dem Beispiel, welches König Humbert von Italien gab, als er die Chöleratrankcu in Neapel besuchte, ein Beispiel, welches auch den König von Spanien genötigt »der doch veranlaßt hat, aus demselben Grunde trotz des Widerspruchs seiner Minister nach Aranjuez zu gehen. Der Mornlkodex der Könige wird vermutlich dieses Gebot für die Zukunft festhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/557>, abgerufen am 28.07.2024.