Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

mit Abbildungen von einzelnen Soldaten oder ganzen Soldatengruppen bedeckt
warm. In der Nähe des Schlosses lag das Exerzierhaus, das so geräumig
war, daß mehr als tausend Mann gleichzeitig darin exerzieren konnten. Eine
in dem Umfange einer Stunde rings um die Stadt gezogne Mauer sollte das
Desertiren der Soldaten verhindern. Dieses stand deshalb zu befürchten, weil
der Erbprinz, in dem Bestreben, die schönsten und größten Soldaten zu haben,
seine Armee aus aller Herren Ländern rekrutirte. Diese fremden Soldaten,
unter denen sich sogar Zigeuner befanden, wurden die "Anvertrauten" genannt
und durften die Stadt niemals verlassen, während die "Vertrauten" sich frei
bewegen und selbst bürgerlichem Erwerbe nachgehen konnten.

Die militärischen Schauspiele bildeten ein Hauptinteresse der Bürgerschaft.
Dahin gehörten die große Staatsparade, die Kirchenparade, der Zapfenstreich
und die Ankunft des Geldwagens von Darmstadt, der immer durch eine starke
Abteilung Husaren eskortirt wurde. Um Mitternacht ward noch ein besondrer
Marsch, der sogenannte Scharwachenmarsch, getrommelt. Nach der Erzählung
der damaligen Zeit führte dessen Ursprung in die Türkenkriege zurück. Als
Wien von dem Erbfeinde der Christenheit belagert wurde, war dieser im Begriff,
zu mitternächtiger Stunde die Stadt an einem unbewachten Punkte zu über¬
rumpeln. Da ward eine dessen-darmstädtische Trommel die Retterin der Stadt,
sie begann sich von selbst so stark zu rühren, daß die ganze Besatzung noch
rechtzeitig allarmirt wurde. Ein Reisender, der im Jahre 1789, als der Ort
in seiner höchsten Blüte stand, nach Pirmasens kam, schildert in dem damals
erscheinenden "Journal von und für Deutschland" den Eindruck, den ihm der
dortige Militärspektakel machte, folgendermaßen: "Hier in Pirmasens bin ich
wie in eine ganz neue Welt versetzt, unter eine zahlreiche Kolonie von Bürgern
und Soldaten, die kein Reisender auf einem so öden und undankbaren Boden
suchen würde. Alles um mich wimmelt von Uniformen, blinkt von Gewehren
und tönt von kriegerischer Musik. Der Landgraf wohnt in einem wohlgebauten
Hause, das man weder ein Schloß noch ein Palais nennen kann, und das, genau
genommen, nur aus einem Geschoß besteht. Nahe bei demselben, nur etwas
höher, liegt das Exerzierhaus. Hier nun exerziere der Fürst täglich sein an¬
sehnliches Grcnadierrcgiment, das aus 2400 Mann bestehen soll. Schönere
und wohlgeübtere Leute wird man schwerlich beisammensehen. Allerlei Volk
von mancherlei Zungen und Nationen trifft man unter ihnen an, die nun
freilich auf die Länge nicht so zusammenbleiben würden, wenn sie nicht immer
in die Stadt eingesperrt wären und Tag und Nacht von umherreitenden Husaren
beobachtet werden müßten. Soeben komme ich aus dem Exerzierhause von der
eigentlichen Wachtparade, ganz parfumirt von Fett- und Öldünsten der Schuhe,
des Lederwerkes, der eingeschmierten Haare und von dem allgemeinen Tabak¬
rauchen der Soldaten vor dem Anfang der Parade. Wie ich eintrat, kam mir
ein Qualm und Dampf entgegen, der so lange meine Sinne betäubte und mich


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

mit Abbildungen von einzelnen Soldaten oder ganzen Soldatengruppen bedeckt
warm. In der Nähe des Schlosses lag das Exerzierhaus, das so geräumig
war, daß mehr als tausend Mann gleichzeitig darin exerzieren konnten. Eine
in dem Umfange einer Stunde rings um die Stadt gezogne Mauer sollte das
Desertiren der Soldaten verhindern. Dieses stand deshalb zu befürchten, weil
der Erbprinz, in dem Bestreben, die schönsten und größten Soldaten zu haben,
seine Armee aus aller Herren Ländern rekrutirte. Diese fremden Soldaten,
unter denen sich sogar Zigeuner befanden, wurden die „Anvertrauten" genannt
und durften die Stadt niemals verlassen, während die „Vertrauten" sich frei
bewegen und selbst bürgerlichem Erwerbe nachgehen konnten.

Die militärischen Schauspiele bildeten ein Hauptinteresse der Bürgerschaft.
Dahin gehörten die große Staatsparade, die Kirchenparade, der Zapfenstreich
und die Ankunft des Geldwagens von Darmstadt, der immer durch eine starke
Abteilung Husaren eskortirt wurde. Um Mitternacht ward noch ein besondrer
Marsch, der sogenannte Scharwachenmarsch, getrommelt. Nach der Erzählung
der damaligen Zeit führte dessen Ursprung in die Türkenkriege zurück. Als
Wien von dem Erbfeinde der Christenheit belagert wurde, war dieser im Begriff,
zu mitternächtiger Stunde die Stadt an einem unbewachten Punkte zu über¬
rumpeln. Da ward eine dessen-darmstädtische Trommel die Retterin der Stadt,
sie begann sich von selbst so stark zu rühren, daß die ganze Besatzung noch
rechtzeitig allarmirt wurde. Ein Reisender, der im Jahre 1789, als der Ort
in seiner höchsten Blüte stand, nach Pirmasens kam, schildert in dem damals
erscheinenden „Journal von und für Deutschland" den Eindruck, den ihm der
dortige Militärspektakel machte, folgendermaßen: „Hier in Pirmasens bin ich
wie in eine ganz neue Welt versetzt, unter eine zahlreiche Kolonie von Bürgern
und Soldaten, die kein Reisender auf einem so öden und undankbaren Boden
suchen würde. Alles um mich wimmelt von Uniformen, blinkt von Gewehren
und tönt von kriegerischer Musik. Der Landgraf wohnt in einem wohlgebauten
Hause, das man weder ein Schloß noch ein Palais nennen kann, und das, genau
genommen, nur aus einem Geschoß besteht. Nahe bei demselben, nur etwas
höher, liegt das Exerzierhaus. Hier nun exerziere der Fürst täglich sein an¬
sehnliches Grcnadierrcgiment, das aus 2400 Mann bestehen soll. Schönere
und wohlgeübtere Leute wird man schwerlich beisammensehen. Allerlei Volk
von mancherlei Zungen und Nationen trifft man unter ihnen an, die nun
freilich auf die Länge nicht so zusammenbleiben würden, wenn sie nicht immer
in die Stadt eingesperrt wären und Tag und Nacht von umherreitenden Husaren
beobachtet werden müßten. Soeben komme ich aus dem Exerzierhause von der
eigentlichen Wachtparade, ganz parfumirt von Fett- und Öldünsten der Schuhe,
des Lederwerkes, der eingeschmierten Haare und von dem allgemeinen Tabak¬
rauchen der Soldaten vor dem Anfang der Parade. Wie ich eintrat, kam mir
ein Qualm und Dampf entgegen, der so lange meine Sinne betäubte und mich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196559"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1797" prev="#ID_1796"> mit Abbildungen von einzelnen Soldaten oder ganzen Soldatengruppen bedeckt<lb/>
warm. In der Nähe des Schlosses lag das Exerzierhaus, das so geräumig<lb/>
war, daß mehr als tausend Mann gleichzeitig darin exerzieren konnten. Eine<lb/>
in dem Umfange einer Stunde rings um die Stadt gezogne Mauer sollte das<lb/>
Desertiren der Soldaten verhindern. Dieses stand deshalb zu befürchten, weil<lb/>
der Erbprinz, in dem Bestreben, die schönsten und größten Soldaten zu haben,<lb/>
seine Armee aus aller Herren Ländern rekrutirte. Diese fremden Soldaten,<lb/>
unter denen sich sogar Zigeuner befanden, wurden die &#x201E;Anvertrauten" genannt<lb/>
und durften die Stadt niemals verlassen, während die &#x201E;Vertrauten" sich frei<lb/>
bewegen und selbst bürgerlichem Erwerbe nachgehen konnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1798" next="#ID_1799"> Die militärischen Schauspiele bildeten ein Hauptinteresse der Bürgerschaft.<lb/>
Dahin gehörten die große Staatsparade, die Kirchenparade, der Zapfenstreich<lb/>
und die Ankunft des Geldwagens von Darmstadt, der immer durch eine starke<lb/>
Abteilung Husaren eskortirt wurde. Um Mitternacht ward noch ein besondrer<lb/>
Marsch, der sogenannte Scharwachenmarsch, getrommelt. Nach der Erzählung<lb/>
der damaligen Zeit führte dessen Ursprung in die Türkenkriege zurück. Als<lb/>
Wien von dem Erbfeinde der Christenheit belagert wurde, war dieser im Begriff,<lb/>
zu mitternächtiger Stunde die Stadt an einem unbewachten Punkte zu über¬<lb/>
rumpeln. Da ward eine dessen-darmstädtische Trommel die Retterin der Stadt,<lb/>
sie begann sich von selbst so stark zu rühren, daß die ganze Besatzung noch<lb/>
rechtzeitig allarmirt wurde. Ein Reisender, der im Jahre 1789, als der Ort<lb/>
in seiner höchsten Blüte stand, nach Pirmasens kam, schildert in dem damals<lb/>
erscheinenden &#x201E;Journal von und für Deutschland" den Eindruck, den ihm der<lb/>
dortige Militärspektakel machte, folgendermaßen: &#x201E;Hier in Pirmasens bin ich<lb/>
wie in eine ganz neue Welt versetzt, unter eine zahlreiche Kolonie von Bürgern<lb/>
und Soldaten, die kein Reisender auf einem so öden und undankbaren Boden<lb/>
suchen würde. Alles um mich wimmelt von Uniformen, blinkt von Gewehren<lb/>
und tönt von kriegerischer Musik. Der Landgraf wohnt in einem wohlgebauten<lb/>
Hause, das man weder ein Schloß noch ein Palais nennen kann, und das, genau<lb/>
genommen, nur aus einem Geschoß besteht. Nahe bei demselben, nur etwas<lb/>
höher, liegt das Exerzierhaus. Hier nun exerziere der Fürst täglich sein an¬<lb/>
sehnliches Grcnadierrcgiment, das aus 2400 Mann bestehen soll. Schönere<lb/>
und wohlgeübtere Leute wird man schwerlich beisammensehen. Allerlei Volk<lb/>
von mancherlei Zungen und Nationen trifft man unter ihnen an, die nun<lb/>
freilich auf die Länge nicht so zusammenbleiben würden, wenn sie nicht immer<lb/>
in die Stadt eingesperrt wären und Tag und Nacht von umherreitenden Husaren<lb/>
beobachtet werden müßten. Soeben komme ich aus dem Exerzierhause von der<lb/>
eigentlichen Wachtparade, ganz parfumirt von Fett- und Öldünsten der Schuhe,<lb/>
des Lederwerkes, der eingeschmierten Haare und von dem allgemeinen Tabak¬<lb/>
rauchen der Soldaten vor dem Anfang der Parade. Wie ich eintrat, kam mir<lb/>
ein Qualm und Dampf entgegen, der so lange meine Sinne betäubte und mich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. mit Abbildungen von einzelnen Soldaten oder ganzen Soldatengruppen bedeckt warm. In der Nähe des Schlosses lag das Exerzierhaus, das so geräumig war, daß mehr als tausend Mann gleichzeitig darin exerzieren konnten. Eine in dem Umfange einer Stunde rings um die Stadt gezogne Mauer sollte das Desertiren der Soldaten verhindern. Dieses stand deshalb zu befürchten, weil der Erbprinz, in dem Bestreben, die schönsten und größten Soldaten zu haben, seine Armee aus aller Herren Ländern rekrutirte. Diese fremden Soldaten, unter denen sich sogar Zigeuner befanden, wurden die „Anvertrauten" genannt und durften die Stadt niemals verlassen, während die „Vertrauten" sich frei bewegen und selbst bürgerlichem Erwerbe nachgehen konnten. Die militärischen Schauspiele bildeten ein Hauptinteresse der Bürgerschaft. Dahin gehörten die große Staatsparade, die Kirchenparade, der Zapfenstreich und die Ankunft des Geldwagens von Darmstadt, der immer durch eine starke Abteilung Husaren eskortirt wurde. Um Mitternacht ward noch ein besondrer Marsch, der sogenannte Scharwachenmarsch, getrommelt. Nach der Erzählung der damaligen Zeit führte dessen Ursprung in die Türkenkriege zurück. Als Wien von dem Erbfeinde der Christenheit belagert wurde, war dieser im Begriff, zu mitternächtiger Stunde die Stadt an einem unbewachten Punkte zu über¬ rumpeln. Da ward eine dessen-darmstädtische Trommel die Retterin der Stadt, sie begann sich von selbst so stark zu rühren, daß die ganze Besatzung noch rechtzeitig allarmirt wurde. Ein Reisender, der im Jahre 1789, als der Ort in seiner höchsten Blüte stand, nach Pirmasens kam, schildert in dem damals erscheinenden „Journal von und für Deutschland" den Eindruck, den ihm der dortige Militärspektakel machte, folgendermaßen: „Hier in Pirmasens bin ich wie in eine ganz neue Welt versetzt, unter eine zahlreiche Kolonie von Bürgern und Soldaten, die kein Reisender auf einem so öden und undankbaren Boden suchen würde. Alles um mich wimmelt von Uniformen, blinkt von Gewehren und tönt von kriegerischer Musik. Der Landgraf wohnt in einem wohlgebauten Hause, das man weder ein Schloß noch ein Palais nennen kann, und das, genau genommen, nur aus einem Geschoß besteht. Nahe bei demselben, nur etwas höher, liegt das Exerzierhaus. Hier nun exerziere der Fürst täglich sein an¬ sehnliches Grcnadierrcgiment, das aus 2400 Mann bestehen soll. Schönere und wohlgeübtere Leute wird man schwerlich beisammensehen. Allerlei Volk von mancherlei Zungen und Nationen trifft man unter ihnen an, die nun freilich auf die Länge nicht so zusammenbleiben würden, wenn sie nicht immer in die Stadt eingesperrt wären und Tag und Nacht von umherreitenden Husaren beobachtet werden müßten. Soeben komme ich aus dem Exerzierhause von der eigentlichen Wachtparade, ganz parfumirt von Fett- und Öldünsten der Schuhe, des Lederwerkes, der eingeschmierten Haare und von dem allgemeinen Tabak¬ rauchen der Soldaten vor dem Anfang der Parade. Wie ich eintrat, kam mir ein Qualm und Dampf entgegen, der so lange meine Sinne betäubte und mich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/459>, abgerufen am 25.11.2024.