Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Literatur. erste Szene führt uns nämlich in die Hofschule Karls, in der die feierliche Entlassung Sollten wir uns hierin täuschen, so würde es uns lieb sein. Denn im Grunde Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Mnrqnart in Leipzig. Literatur. erste Szene führt uns nämlich in die Hofschule Karls, in der die feierliche Entlassung Sollten wir uns hierin täuschen, so würde es uns lieb sein. Denn im Grunde Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Mnrqnart in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196540"/> <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1749" prev="#ID_1748"> erste Szene führt uns nämlich in die Hofschule Karls, in der die feierliche Entlassung<lb/> zweier Scholaren, Einhard und eines zweiten Abiturienten stattfindet, welche Anlaß<lb/> giebt zur Entwicklung zweier verschiednen Weltanschauungen oder vielmehr zweier<lb/> verschiednen Ansichten über das Verhältnis von Christentum und Metaphysik. Adal-<lb/> bert und Einhard sollen sich darüber aussprechen, welcher unter den siehe» freien<lb/> Künsten sie die Palme zuerkennen, und jener benutzt diese Aufgabe dazu, die Ver¬<lb/> quickung der christlichen Religion mit der Metaphysik, welche von der Zeit der<lb/> (zum Teil aus der stoischen oder Platonischen Schule hervorgegangnen) Kirchenväter<lb/> her noch heute selbst dem orthodoxen Dogma anklebt, zu verherrlichen, während Ein¬<lb/> hard auf eine reinliche Sonderung des (übrigens keineswegs von ihm verachteten)<lb/> theoretischen Wclterkenncns vom christlichen Glauben als einer rein praktisch und<lb/> ethisch motivirten Betrachtungsweise der göttlichen und menschlichen Dinge dringt.<lb/> Adalbert entwickelt dabei seine Weltanschauung, wie der Dichter in den Noten<lb/> verrät, mittels einer Versifikativn der Grundzüge des Systems seines jüngern Zeit¬<lb/> genossen, des Johannes Erigena. Referent will nicht untersuchen, ob das ganz<lb/> eigenartige System des Erigena, in welchem weder die vorhcrgegnngne orthodoxe<lb/> Lehrentwicklung zusammengefaßt, noch die spätere Scholastik präformirt ist, hier<lb/> Passend gewählt sei. Jedenfalls waren die Hoftheologen Karls durchweg recht¬<lb/> gläubig, Erigena aber betrieb seine spekulative Verquickung der Theologie und<lb/> Philosophie nicht in der Weise der orthodoxen Kirchenväter und Scholastiker, sondern<lb/> in der ketzerischen, halb pantheistischen des Neuplatonismus. Wichtiger ist die Frage,<lb/> ob es nicht überhaupt ein etwas kühner Griff war, mit einem derartigen Turnier<lb/> das Gedicht zu eröffnen. Man kann dem Verfasser zugeben, daß der Gegensatz jener<lb/> beiden Auffassungen des Christentums (einerseits der scholastischen oder mönchisch-<lb/> mystischen, andrerseits der echt praktisch religiösen, die mit voller Würdigung auch<lb/> der weltlichen Berufsarten und auf der andern Seite schärferer Betonung gerade<lb/> der streng wissenschaftlichen Methode der freilich von der Religion scharf gesonderten<lb/> Philosophie verknüpft sein kann), wie zu allen Zeiten, so auch im Zeitalter Karls<lb/> vorhanden war. Mit einem gewissen Rechte beruft er sich auch auf deu Vorgang<lb/> Immermanns, nämlich ans das von diesem dem Münchhausen eingefügte romantische<lb/> Waldmärchcn, wo gleichfalls zwei Scholaren ähnlich entgegengesetzte Weltanschauungen<lb/> vertreten. Endlich weiß er es sogar als einen besonders glücklichen Zug in seinem<lb/> Kompositionsplan hinzustellen, daß er Einhard das Programm, dessen Verwirklichung<lb/> er als Mann im Leben erstrebe, als Scholaren vorweg verkündigen lasse. Aber<lb/> wir fürchten, daß das anderweitige Publikum sich großenteils durch das Labyrinth<lb/> dieser (übrigens geschickt) versifizirten Systeme, dnrch welches man sich an der<lb/> Schwelle des Buches hindurchwinden muß, wird abschrecken lassen, diejenigen<lb/> theologisch und philosophisch interessirten Leser aber, denen es etwa Vergnügen<lb/> macht, die Ansicht Albrecht Ritschls und die seiner spekulativ sein wollenden Gegner<lb/> einmal in populärer Fassung, im Gewände des neunten Jahrhunderts und in<lb/> Versform sich vorführen zu lassen, nachdem ihnen ihr Lieblingsgericht so zuvor¬<lb/> kommend als Entröe servirt worden ist, vom übrigen zu wenig kosten werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1750"> Sollten wir uns hierin täuschen, so würde es uns lieb sein. Denn im Grunde<lb/> verdient das im übrigen lebensvoll sich abspielende kleine Epos, in welchem das<lb/> berichtigte Bild des großen Kaisers den eigentlichen Anziehungspunkt bildet, nebst<lb/> den eingewöhnen lyrischen Partien entschieden die Beachtung des Publikums.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Mnrqnart in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0440]
Literatur.
erste Szene führt uns nämlich in die Hofschule Karls, in der die feierliche Entlassung
zweier Scholaren, Einhard und eines zweiten Abiturienten stattfindet, welche Anlaß
giebt zur Entwicklung zweier verschiednen Weltanschauungen oder vielmehr zweier
verschiednen Ansichten über das Verhältnis von Christentum und Metaphysik. Adal-
bert und Einhard sollen sich darüber aussprechen, welcher unter den siehe» freien
Künsten sie die Palme zuerkennen, und jener benutzt diese Aufgabe dazu, die Ver¬
quickung der christlichen Religion mit der Metaphysik, welche von der Zeit der
(zum Teil aus der stoischen oder Platonischen Schule hervorgegangnen) Kirchenväter
her noch heute selbst dem orthodoxen Dogma anklebt, zu verherrlichen, während Ein¬
hard auf eine reinliche Sonderung des (übrigens keineswegs von ihm verachteten)
theoretischen Wclterkenncns vom christlichen Glauben als einer rein praktisch und
ethisch motivirten Betrachtungsweise der göttlichen und menschlichen Dinge dringt.
Adalbert entwickelt dabei seine Weltanschauung, wie der Dichter in den Noten
verrät, mittels einer Versifikativn der Grundzüge des Systems seines jüngern Zeit¬
genossen, des Johannes Erigena. Referent will nicht untersuchen, ob das ganz
eigenartige System des Erigena, in welchem weder die vorhcrgegnngne orthodoxe
Lehrentwicklung zusammengefaßt, noch die spätere Scholastik präformirt ist, hier
Passend gewählt sei. Jedenfalls waren die Hoftheologen Karls durchweg recht¬
gläubig, Erigena aber betrieb seine spekulative Verquickung der Theologie und
Philosophie nicht in der Weise der orthodoxen Kirchenväter und Scholastiker, sondern
in der ketzerischen, halb pantheistischen des Neuplatonismus. Wichtiger ist die Frage,
ob es nicht überhaupt ein etwas kühner Griff war, mit einem derartigen Turnier
das Gedicht zu eröffnen. Man kann dem Verfasser zugeben, daß der Gegensatz jener
beiden Auffassungen des Christentums (einerseits der scholastischen oder mönchisch-
mystischen, andrerseits der echt praktisch religiösen, die mit voller Würdigung auch
der weltlichen Berufsarten und auf der andern Seite schärferer Betonung gerade
der streng wissenschaftlichen Methode der freilich von der Religion scharf gesonderten
Philosophie verknüpft sein kann), wie zu allen Zeiten, so auch im Zeitalter Karls
vorhanden war. Mit einem gewissen Rechte beruft er sich auch auf deu Vorgang
Immermanns, nämlich ans das von diesem dem Münchhausen eingefügte romantische
Waldmärchcn, wo gleichfalls zwei Scholaren ähnlich entgegengesetzte Weltanschauungen
vertreten. Endlich weiß er es sogar als einen besonders glücklichen Zug in seinem
Kompositionsplan hinzustellen, daß er Einhard das Programm, dessen Verwirklichung
er als Mann im Leben erstrebe, als Scholaren vorweg verkündigen lasse. Aber
wir fürchten, daß das anderweitige Publikum sich großenteils durch das Labyrinth
dieser (übrigens geschickt) versifizirten Systeme, dnrch welches man sich an der
Schwelle des Buches hindurchwinden muß, wird abschrecken lassen, diejenigen
theologisch und philosophisch interessirten Leser aber, denen es etwa Vergnügen
macht, die Ansicht Albrecht Ritschls und die seiner spekulativ sein wollenden Gegner
einmal in populärer Fassung, im Gewände des neunten Jahrhunderts und in
Versform sich vorführen zu lassen, nachdem ihnen ihr Lieblingsgericht so zuvor¬
kommend als Entröe servirt worden ist, vom übrigen zu wenig kosten werden.
Sollten wir uns hierin täuschen, so würde es uns lieb sein. Denn im Grunde
verdient das im übrigen lebensvoll sich abspielende kleine Epos, in welchem das
berichtigte Bild des großen Kaisers den eigentlichen Anziehungspunkt bildet, nebst
den eingewöhnen lyrischen Partien entschieden die Beachtung des Publikums.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig. Druck von Carl Mnrqnart in Leipzig.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |