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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Lin !<nopf von Goethe.

alle Vorzeit an Tiefe und Weite des Gesichtskreises so unendlich weit hinter
sich läßt.

Aber -- wenn nun der Knopf so als Goethe-Knopf glücklich wahrschein¬
lich gemacht wäre -- denn weiter würde man es schwerlich bringe" -- es müßte
denn der erste Besitzer oder ErWerber den klugen Einfall gehabt haben, etwa
von der Universität in Jena herüber angeweht von dem hohen Begriffe wissen¬
schaftlicher Gewißheit, der sich seit Kant ausgebildet hat in den Geistern, die
von Wahrheit den strengsten Begriff haben (und kann der je zu streng sein?) --
es ist ja eine Freude, zu sehen, wie die schöpferische Phantasie auch in der
Arbeit der strengen Wissenschaft nun geschult wird und sich dichtergleich immer
weiter selbst schuld in Auffindung aller Möglichkeiten, die einen zu bestimmenden
fraglichen Punkt umlagern: wir machen dadurch die wunderbare Erfahrung, daß
die Kritik, sonst die Feindin der Kunst als Welt des schönen Scheins, selbst
zur Dichterin wird ohne, ja wider ihren Willen, eine der erfreulichsten und hoff-
nnngsschwangcrsten Erscheinungen in der Gegenwart -- also wenn der glückliche
erste Erwerber jenes Knopfes, um für die Zukunft die Fülle negativer Mög¬
lichkeiten abzuschneiden, so weise gewesen wäre, sich über seine Echtheit eine
wohlbeglaubigte Urkunde ausstellen zu lassen -- ja von wem denn? von einem
Notar? da würde er sich wohl zu sehr vor Auslachen gefürchtet haben -- am
liebsten von Goethe selbst, der hätte ihn vielleicht nicht ausgelacht, Hütte wohl
in dem Begehren einen tiefen, schönen Sinn empfunden, hätte die ihm damit an¬
geregten Gedanken wohl gar eines schönen Morgens (wo er ja so gern etwas
Großes oder Kleines in Reimen tiefen Sinnes sich zusammenfaßte, krhstallgleich)
Reime davon gemacht -- viel wunderbarer wäre das nicht, als daß er z. B,
Stricknadeln so sinnig mit Reimen verewigte (daß diese Stricknadeln nicht auf¬
gehoben worden sind!) -- aber freilich, die Reime wären dann auch erhalten
und mein Goethe-Knopf fällt damit ins Nichts -- also lieber etwa vom Kammer¬
diener, um den koboldglcich andringenden Möglichkeiten kurz den Pfad abzu¬
schneiden --

Also wenn eine solche Beurkundung vorläge (mag mein Satz, wie ich ihn
so langgeschlängelt in meinem langen Leben doch noch nicht gelesen habe, selbst
ein kleines Abbild sein von jener Unendlichkeit der vom Wirbelwind der Phantasie
aufgetriebenen Möglichkeiten) -- aus welcher Zeit wäre er? Der gewissenhafte
Mann käme um die Frage nicht herum zu ganzer Freude an dem Gvcthekleinod,
Und bei jedem Gebildeten, der in der Luft des Geistes der Wissenschaft lebte
und dem er es zeigte, müßte er auf die Frage gefaßt sein, wie bei einem ueu-
gefundnen Goethe-Briefe ohne Datum, er fände keine Ruhe vor der Frage, wenn
sie ohne Antwort bliebe.

Nun, das Nelken des merkwürdigen Knopfes wäre etwa in die zwanziger
Jahre zu setzen, kaum früher -- aber auch den Knopf selber? Von einem neuen
Goethe-Kleide wäre er doch sicherlich nicht! Das braucht sich die Phantasie


Grenzboten III. 1S8S.
Lin !<nopf von Goethe.

alle Vorzeit an Tiefe und Weite des Gesichtskreises so unendlich weit hinter
sich läßt.

Aber — wenn nun der Knopf so als Goethe-Knopf glücklich wahrschein¬
lich gemacht wäre — denn weiter würde man es schwerlich bringe» — es müßte
denn der erste Besitzer oder ErWerber den klugen Einfall gehabt haben, etwa
von der Universität in Jena herüber angeweht von dem hohen Begriffe wissen¬
schaftlicher Gewißheit, der sich seit Kant ausgebildet hat in den Geistern, die
von Wahrheit den strengsten Begriff haben (und kann der je zu streng sein?) —
es ist ja eine Freude, zu sehen, wie die schöpferische Phantasie auch in der
Arbeit der strengen Wissenschaft nun geschult wird und sich dichtergleich immer
weiter selbst schuld in Auffindung aller Möglichkeiten, die einen zu bestimmenden
fraglichen Punkt umlagern: wir machen dadurch die wunderbare Erfahrung, daß
die Kritik, sonst die Feindin der Kunst als Welt des schönen Scheins, selbst
zur Dichterin wird ohne, ja wider ihren Willen, eine der erfreulichsten und hoff-
nnngsschwangcrsten Erscheinungen in der Gegenwart — also wenn der glückliche
erste Erwerber jenes Knopfes, um für die Zukunft die Fülle negativer Mög¬
lichkeiten abzuschneiden, so weise gewesen wäre, sich über seine Echtheit eine
wohlbeglaubigte Urkunde ausstellen zu lassen — ja von wem denn? von einem
Notar? da würde er sich wohl zu sehr vor Auslachen gefürchtet haben — am
liebsten von Goethe selbst, der hätte ihn vielleicht nicht ausgelacht, Hütte wohl
in dem Begehren einen tiefen, schönen Sinn empfunden, hätte die ihm damit an¬
geregten Gedanken wohl gar eines schönen Morgens (wo er ja so gern etwas
Großes oder Kleines in Reimen tiefen Sinnes sich zusammenfaßte, krhstallgleich)
Reime davon gemacht — viel wunderbarer wäre das nicht, als daß er z. B,
Stricknadeln so sinnig mit Reimen verewigte (daß diese Stricknadeln nicht auf¬
gehoben worden sind!) — aber freilich, die Reime wären dann auch erhalten
und mein Goethe-Knopf fällt damit ins Nichts — also lieber etwa vom Kammer¬
diener, um den koboldglcich andringenden Möglichkeiten kurz den Pfad abzu¬
schneiden —

Also wenn eine solche Beurkundung vorläge (mag mein Satz, wie ich ihn
so langgeschlängelt in meinem langen Leben doch noch nicht gelesen habe, selbst
ein kleines Abbild sein von jener Unendlichkeit der vom Wirbelwind der Phantasie
aufgetriebenen Möglichkeiten) — aus welcher Zeit wäre er? Der gewissenhafte
Mann käme um die Frage nicht herum zu ganzer Freude an dem Gvcthekleinod,
Und bei jedem Gebildeten, der in der Luft des Geistes der Wissenschaft lebte
und dem er es zeigte, müßte er auf die Frage gefaßt sein, wie bei einem ueu-
gefundnen Goethe-Briefe ohne Datum, er fände keine Ruhe vor der Frage, wenn
sie ohne Antwort bliebe.

Nun, das Nelken des merkwürdigen Knopfes wäre etwa in die zwanziger
Jahre zu setzen, kaum früher — aber auch den Knopf selber? Von einem neuen
Goethe-Kleide wäre er doch sicherlich nicht! Das braucht sich die Phantasie


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[0417] Lin !<nopf von Goethe. alle Vorzeit an Tiefe und Weite des Gesichtskreises so unendlich weit hinter sich läßt. Aber — wenn nun der Knopf so als Goethe-Knopf glücklich wahrschein¬ lich gemacht wäre — denn weiter würde man es schwerlich bringe» — es müßte denn der erste Besitzer oder ErWerber den klugen Einfall gehabt haben, etwa von der Universität in Jena herüber angeweht von dem hohen Begriffe wissen¬ schaftlicher Gewißheit, der sich seit Kant ausgebildet hat in den Geistern, die von Wahrheit den strengsten Begriff haben (und kann der je zu streng sein?) — es ist ja eine Freude, zu sehen, wie die schöpferische Phantasie auch in der Arbeit der strengen Wissenschaft nun geschult wird und sich dichtergleich immer weiter selbst schuld in Auffindung aller Möglichkeiten, die einen zu bestimmenden fraglichen Punkt umlagern: wir machen dadurch die wunderbare Erfahrung, daß die Kritik, sonst die Feindin der Kunst als Welt des schönen Scheins, selbst zur Dichterin wird ohne, ja wider ihren Willen, eine der erfreulichsten und hoff- nnngsschwangcrsten Erscheinungen in der Gegenwart — also wenn der glückliche erste Erwerber jenes Knopfes, um für die Zukunft die Fülle negativer Mög¬ lichkeiten abzuschneiden, so weise gewesen wäre, sich über seine Echtheit eine wohlbeglaubigte Urkunde ausstellen zu lassen — ja von wem denn? von einem Notar? da würde er sich wohl zu sehr vor Auslachen gefürchtet haben — am liebsten von Goethe selbst, der hätte ihn vielleicht nicht ausgelacht, Hütte wohl in dem Begehren einen tiefen, schönen Sinn empfunden, hätte die ihm damit an¬ geregten Gedanken wohl gar eines schönen Morgens (wo er ja so gern etwas Großes oder Kleines in Reimen tiefen Sinnes sich zusammenfaßte, krhstallgleich) Reime davon gemacht — viel wunderbarer wäre das nicht, als daß er z. B, Stricknadeln so sinnig mit Reimen verewigte (daß diese Stricknadeln nicht auf¬ gehoben worden sind!) — aber freilich, die Reime wären dann auch erhalten und mein Goethe-Knopf fällt damit ins Nichts — also lieber etwa vom Kammer¬ diener, um den koboldglcich andringenden Möglichkeiten kurz den Pfad abzu¬ schneiden — Also wenn eine solche Beurkundung vorläge (mag mein Satz, wie ich ihn so langgeschlängelt in meinem langen Leben doch noch nicht gelesen habe, selbst ein kleines Abbild sein von jener Unendlichkeit der vom Wirbelwind der Phantasie aufgetriebenen Möglichkeiten) — aus welcher Zeit wäre er? Der gewissenhafte Mann käme um die Frage nicht herum zu ganzer Freude an dem Gvcthekleinod, Und bei jedem Gebildeten, der in der Luft des Geistes der Wissenschaft lebte und dem er es zeigte, müßte er auf die Frage gefaßt sein, wie bei einem ueu- gefundnen Goethe-Briefe ohne Datum, er fände keine Ruhe vor der Frage, wenn sie ohne Antwort bliebe. Nun, das Nelken des merkwürdigen Knopfes wäre etwa in die zwanziger Jahre zu setzen, kaum früher — aber auch den Knopf selber? Von einem neuen Goethe-Kleide wäre er doch sicherlich nicht! Das braucht sich die Phantasie Grenzboten III. 1S8S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/417>, abgerufen am 25.11.2024.