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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Litt Knopf von Goethe.

nicht weiter auszumalen, sie wird so noch genug zu thun sinden. Also älter,
von einem ältern Rocke des Minister-Dichters, um fortan beim Rocke zu bleiben
und der geplagten Phantasie, die da die Wege der strengen Wissenschaft zu
wandeln hat, auch darin die Arbeit zu erleichtern.

Die Entscheidung läge eigentlich in der Geschichte der Knopffabrikation oder
des Geschmackes und der Mode, wie sie sich an den Knöpfen nach Form und
Stoff entwickelt haben, doch wohl auch nach Pariser Vorbild, wie die ganze
Geschichte des Kleidergeschmacks im achtzehnten Jahrhundert und länger. Giebt
es schon so etwas wie eine Geschichte der Knöpfe? Oder hat schon ein gelehrter
Liebhaber an ein vorläufiges Sammeln dafür gedacht? Für Haartracht und
Fußtracht ist schon fleißig gesammelt, auch für die Kleidung, ob aber für die
Knöpfe? Ich zweifle daran. Es wäre eine Aufgabe des Germanischen National¬
museums, das da dieser Goethe-Frage helfend bcispringeu könnte. Es bedürfte
wohl nur einer Anregung. Sammelt mau doch dort so eifrig z. B. für die
verschiednen Sporenformen der ältern Zeiten, warum nicht auch für die ver-
schiedne Knopfform unsrer Väter, Großväter, Urgroßväter u. s. w.? Mein
Goethe-Knopf könnte vielleicht dazu den Anstoß geben, ja er könnte dadurch in
der deutschen Wissenschaft der Zukunft berühmt werden als Ausgangspunkt
eines neuen und lehrreichen Zweiges der vaterländischen oder europäischen
Wissenschaft, der doch früher oder später einmal eingereiht werden muß in die
Gesamtforschung über das Menschliche in seinem Werden und Wandeln, wenn
diese Forschung zu einem ihrer letzten Ziele, zu Vollständigkeit und abschließender
Erledigung kommen soll, nach der jede gelehrte Seele lechzt. Man würde
daran auch sehe", in welch weitem Sinne, viel weiter als man noch ahnt,
Goethe nunmehr sür alle Menschenfvrschung unwillkürlich der gebietende und
lebenausstrahlende Mittelpunkt wird, um den sich alles Menschliche für die Zu¬
kunft der Menschheit wohlgeordnet herumlagert oder vielmehr herumbewegt,
wie die Gestirne um die noch zu findende Ursonne, wozu ja schon in dem be¬
wußten oder halbbewußten Gedankenkreise des Lebenden der Ansatz oder Keim
gegeben und ausgesprochen ist. Auffallend ist mir dabei, daß er, der plastische
Realist, der alles Erscheinende, besonders am Menschen, so klar und scharf vor
sich sah, auf seine oder andrer Knöpfe nie geachtet hat, soviel ich mich erinnere.

Aber wir, die nachgebornen, können oder müssen das wohl nachholen nach
Möglichkeit, nicht bloß meines Goethe-Knopfes Wege". Und wenn jetzt Abitu¬
rienten, die sich ausweisen sollen, daß sie reif sind für Mitarbeit in der höhern
Geisteswelt, auch nach den Trinkgefäßen gefragt werden, aus denen Horaz seinen
Wein getrunken hat, so sind wir vielleicht in zwei- dreihundert Jahren so weit, daß
sie auch nach den verschiednen Röcken, Knöpfen, Perücken u. s. w. gefragt werden
können, in denen mau Goethen in verschiednen Perioden in den siebziger, acht¬
ziger, neunziger Jahren u. s. w. gesehen hat, vielleicht auch nach den tiefern
Beziehungen, in denen diese seine verschiedne äußere Erscheinung zu seiner ver-


Litt Knopf von Goethe.

nicht weiter auszumalen, sie wird so noch genug zu thun sinden. Also älter,
von einem ältern Rocke des Minister-Dichters, um fortan beim Rocke zu bleiben
und der geplagten Phantasie, die da die Wege der strengen Wissenschaft zu
wandeln hat, auch darin die Arbeit zu erleichtern.

Die Entscheidung läge eigentlich in der Geschichte der Knopffabrikation oder
des Geschmackes und der Mode, wie sie sich an den Knöpfen nach Form und
Stoff entwickelt haben, doch wohl auch nach Pariser Vorbild, wie die ganze
Geschichte des Kleidergeschmacks im achtzehnten Jahrhundert und länger. Giebt
es schon so etwas wie eine Geschichte der Knöpfe? Oder hat schon ein gelehrter
Liebhaber an ein vorläufiges Sammeln dafür gedacht? Für Haartracht und
Fußtracht ist schon fleißig gesammelt, auch für die Kleidung, ob aber für die
Knöpfe? Ich zweifle daran. Es wäre eine Aufgabe des Germanischen National¬
museums, das da dieser Goethe-Frage helfend bcispringeu könnte. Es bedürfte
wohl nur einer Anregung. Sammelt mau doch dort so eifrig z. B. für die
verschiednen Sporenformen der ältern Zeiten, warum nicht auch für die ver-
schiedne Knopfform unsrer Väter, Großväter, Urgroßväter u. s. w.? Mein
Goethe-Knopf könnte vielleicht dazu den Anstoß geben, ja er könnte dadurch in
der deutschen Wissenschaft der Zukunft berühmt werden als Ausgangspunkt
eines neuen und lehrreichen Zweiges der vaterländischen oder europäischen
Wissenschaft, der doch früher oder später einmal eingereiht werden muß in die
Gesamtforschung über das Menschliche in seinem Werden und Wandeln, wenn
diese Forschung zu einem ihrer letzten Ziele, zu Vollständigkeit und abschließender
Erledigung kommen soll, nach der jede gelehrte Seele lechzt. Man würde
daran auch sehe», in welch weitem Sinne, viel weiter als man noch ahnt,
Goethe nunmehr sür alle Menschenfvrschung unwillkürlich der gebietende und
lebenausstrahlende Mittelpunkt wird, um den sich alles Menschliche für die Zu¬
kunft der Menschheit wohlgeordnet herumlagert oder vielmehr herumbewegt,
wie die Gestirne um die noch zu findende Ursonne, wozu ja schon in dem be¬
wußten oder halbbewußten Gedankenkreise des Lebenden der Ansatz oder Keim
gegeben und ausgesprochen ist. Auffallend ist mir dabei, daß er, der plastische
Realist, der alles Erscheinende, besonders am Menschen, so klar und scharf vor
sich sah, auf seine oder andrer Knöpfe nie geachtet hat, soviel ich mich erinnere.

Aber wir, die nachgebornen, können oder müssen das wohl nachholen nach
Möglichkeit, nicht bloß meines Goethe-Knopfes Wege». Und wenn jetzt Abitu¬
rienten, die sich ausweisen sollen, daß sie reif sind für Mitarbeit in der höhern
Geisteswelt, auch nach den Trinkgefäßen gefragt werden, aus denen Horaz seinen
Wein getrunken hat, so sind wir vielleicht in zwei- dreihundert Jahren so weit, daß
sie auch nach den verschiednen Röcken, Knöpfen, Perücken u. s. w. gefragt werden
können, in denen mau Goethen in verschiednen Perioden in den siebziger, acht¬
ziger, neunziger Jahren u. s. w. gesehen hat, vielleicht auch nach den tiefern
Beziehungen, in denen diese seine verschiedne äußere Erscheinung zu seiner ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/418>, abgerufen am 01.09.2024.