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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Handrverkerbewegung und ihr mögliches Ziel.

sie muß den genossenschaftlichen Gedanken ganz in sich aufnehmen, sie muß
alle diejenigen Dinge, die sich zu gemeinschaftlichem Betriebe eignen, in ihre
Hand nehmen, sie muß die Lieferantin, die Kreditanstalt, die Verkciufshallc, das
Auskunftsbureau, die Hilfskasse, sie muß auch in geselliger Hinsicht der Mittel¬
punkt für das Jnnuugsmitglied werden, sie muß jedes Mitglied mit starken
Armen umspannen, um nun auch jedes Mitglied mit starken Armen schützen
und heben zu können. Mit der bloßen Idee des Zusammenhaltes ist es nicht
gethan, sondern dieser Zusammenhalt muß, soll er stark genug sein, um nach
außen hin eine wahrnehmbare Wirkung zu üben, anch nach innen den Mit¬
gliedern zu stetem, lebendigem Bewußtsein komme", er muß ein reales Band
für sie bilden, aus dem sie garnicht herauskönnen, er muß eine Summe prak¬
tischer Interessen für sie darstellen, gegen welche alles andre garnicht aufkommt,
ja kaum beachtet wird. Ohne Drangabe eines Stückes individueller wirtschaft¬
licher Selbständigkeit ist das freilich schlechterdings nicht zu machen; jeder
Einzelne wird in Zukunft von feiner Innung in wesentlichen Punkten abhängig
sein und wird sich überhaupt uur innerhalb des Nahmens derselben wirtschaftlich
bewegen können. Aber es hilft, und es ist das Einzige, was hilft. Denn das
unterliegt allerdings keinem Zweifel, daß die Jnnungsgenossenschaft in einer
Weise die Vorteile des Kleinbetriebes mit denen des Großbetriebes wird ver¬
einigen können, gegen die keine Konkurrenz auszukommen vermöchte. Das Hand¬
werk würde gerettet sein; der Handwerker allerdings nur noch in bescheidnen
Maße als wirtschaftliche Judividualitüt, der Hauptsache uach uur als "Genosse,"
als Mitglied seiner Innung, als Teil eines Ganzen.

Einzelne Anlaufe zur Gestaltung der Innung als wirtschaftlicher Genossen-
schaft haben nie ganz gefehlt. Viele Innungen haben schon Rohmaterialien
für ihre Mitglieder bezogen oder sonstige gemeinsame Anstalten errichtet und
gemeinsame Verträge (Versicherungsverträge n. dergl.) abgeschlossen; in neuerer
Zeit ist auch der Gedanke, eigne "Jmmngsbcuiken" zu begründen und dadurch
sowohl die Kosten wie die Verluste des Bankgeschäftes ans ein Minimum zu
reduziren, auch die Einrichtungen der Anstalt den Bedürfnissen der Mitglieder
möglichst anzupassen, vielfach erörtert worden (in Berlin ist eine solche "Jn-
uuugsbauk," wenn auch in kleinsten Maßstabe, sogar ins Leben getreten). Aber
alle diese Anläufe haben es bis heute nicht vermocht, ein engbegrcnztes Gebiet
zu überschreiten, und wir wissen sehr gut, daß der Gedanke, die Innung prin¬
zipiell zur Genossenschaft zu machen und alle für den gemeinsamen Betrieb sich
eignenden Dinge prinzipiell dieser Gesamtheit zu überweisen, zur Zeit noch in
den Kreisen der Handwerker selbst auf den hartnäckigsten Widerstand stoßen würde,
weil die Herren eben in ihre "Selbständigkeit" noch zu sehr verliebt sind,
so sehr sie auch selbst sehen oder doch fühlen mögen, daß diese Selbständigkeit
zu einem Teile nur noch eine angebliche, zum andern Teile bereits furchtbar
unterwühlte und schwerlich noch ein Menschenalter lang haltbare ist. Nun, die


Die Handrverkerbewegung und ihr mögliches Ziel.

sie muß den genossenschaftlichen Gedanken ganz in sich aufnehmen, sie muß
alle diejenigen Dinge, die sich zu gemeinschaftlichem Betriebe eignen, in ihre
Hand nehmen, sie muß die Lieferantin, die Kreditanstalt, die Verkciufshallc, das
Auskunftsbureau, die Hilfskasse, sie muß auch in geselliger Hinsicht der Mittel¬
punkt für das Jnnuugsmitglied werden, sie muß jedes Mitglied mit starken
Armen umspannen, um nun auch jedes Mitglied mit starken Armen schützen
und heben zu können. Mit der bloßen Idee des Zusammenhaltes ist es nicht
gethan, sondern dieser Zusammenhalt muß, soll er stark genug sein, um nach
außen hin eine wahrnehmbare Wirkung zu üben, anch nach innen den Mit¬
gliedern zu stetem, lebendigem Bewußtsein komme», er muß ein reales Band
für sie bilden, aus dem sie garnicht herauskönnen, er muß eine Summe prak¬
tischer Interessen für sie darstellen, gegen welche alles andre garnicht aufkommt,
ja kaum beachtet wird. Ohne Drangabe eines Stückes individueller wirtschaft¬
licher Selbständigkeit ist das freilich schlechterdings nicht zu machen; jeder
Einzelne wird in Zukunft von feiner Innung in wesentlichen Punkten abhängig
sein und wird sich überhaupt uur innerhalb des Nahmens derselben wirtschaftlich
bewegen können. Aber es hilft, und es ist das Einzige, was hilft. Denn das
unterliegt allerdings keinem Zweifel, daß die Jnnungsgenossenschaft in einer
Weise die Vorteile des Kleinbetriebes mit denen des Großbetriebes wird ver¬
einigen können, gegen die keine Konkurrenz auszukommen vermöchte. Das Hand¬
werk würde gerettet sein; der Handwerker allerdings nur noch in bescheidnen
Maße als wirtschaftliche Judividualitüt, der Hauptsache uach uur als „Genosse,"
als Mitglied seiner Innung, als Teil eines Ganzen.

Einzelne Anlaufe zur Gestaltung der Innung als wirtschaftlicher Genossen-
schaft haben nie ganz gefehlt. Viele Innungen haben schon Rohmaterialien
für ihre Mitglieder bezogen oder sonstige gemeinsame Anstalten errichtet und
gemeinsame Verträge (Versicherungsverträge n. dergl.) abgeschlossen; in neuerer
Zeit ist auch der Gedanke, eigne „Jmmngsbcuiken" zu begründen und dadurch
sowohl die Kosten wie die Verluste des Bankgeschäftes ans ein Minimum zu
reduziren, auch die Einrichtungen der Anstalt den Bedürfnissen der Mitglieder
möglichst anzupassen, vielfach erörtert worden (in Berlin ist eine solche „Jn-
uuugsbauk," wenn auch in kleinsten Maßstabe, sogar ins Leben getreten). Aber
alle diese Anläufe haben es bis heute nicht vermocht, ein engbegrcnztes Gebiet
zu überschreiten, und wir wissen sehr gut, daß der Gedanke, die Innung prin¬
zipiell zur Genossenschaft zu machen und alle für den gemeinsamen Betrieb sich
eignenden Dinge prinzipiell dieser Gesamtheit zu überweisen, zur Zeit noch in
den Kreisen der Handwerker selbst auf den hartnäckigsten Widerstand stoßen würde,
weil die Herren eben in ihre „Selbständigkeit" noch zu sehr verliebt sind,
so sehr sie auch selbst sehen oder doch fühlen mögen, daß diese Selbständigkeit
zu einem Teile nur noch eine angebliche, zum andern Teile bereits furchtbar
unterwühlte und schwerlich noch ein Menschenalter lang haltbare ist. Nun, die


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[0410] Die Handrverkerbewegung und ihr mögliches Ziel. sie muß den genossenschaftlichen Gedanken ganz in sich aufnehmen, sie muß alle diejenigen Dinge, die sich zu gemeinschaftlichem Betriebe eignen, in ihre Hand nehmen, sie muß die Lieferantin, die Kreditanstalt, die Verkciufshallc, das Auskunftsbureau, die Hilfskasse, sie muß auch in geselliger Hinsicht der Mittel¬ punkt für das Jnnuugsmitglied werden, sie muß jedes Mitglied mit starken Armen umspannen, um nun auch jedes Mitglied mit starken Armen schützen und heben zu können. Mit der bloßen Idee des Zusammenhaltes ist es nicht gethan, sondern dieser Zusammenhalt muß, soll er stark genug sein, um nach außen hin eine wahrnehmbare Wirkung zu üben, anch nach innen den Mit¬ gliedern zu stetem, lebendigem Bewußtsein komme», er muß ein reales Band für sie bilden, aus dem sie garnicht herauskönnen, er muß eine Summe prak¬ tischer Interessen für sie darstellen, gegen welche alles andre garnicht aufkommt, ja kaum beachtet wird. Ohne Drangabe eines Stückes individueller wirtschaft¬ licher Selbständigkeit ist das freilich schlechterdings nicht zu machen; jeder Einzelne wird in Zukunft von feiner Innung in wesentlichen Punkten abhängig sein und wird sich überhaupt uur innerhalb des Nahmens derselben wirtschaftlich bewegen können. Aber es hilft, und es ist das Einzige, was hilft. Denn das unterliegt allerdings keinem Zweifel, daß die Jnnungsgenossenschaft in einer Weise die Vorteile des Kleinbetriebes mit denen des Großbetriebes wird ver¬ einigen können, gegen die keine Konkurrenz auszukommen vermöchte. Das Hand¬ werk würde gerettet sein; der Handwerker allerdings nur noch in bescheidnen Maße als wirtschaftliche Judividualitüt, der Hauptsache uach uur als „Genosse," als Mitglied seiner Innung, als Teil eines Ganzen. Einzelne Anlaufe zur Gestaltung der Innung als wirtschaftlicher Genossen- schaft haben nie ganz gefehlt. Viele Innungen haben schon Rohmaterialien für ihre Mitglieder bezogen oder sonstige gemeinsame Anstalten errichtet und gemeinsame Verträge (Versicherungsverträge n. dergl.) abgeschlossen; in neuerer Zeit ist auch der Gedanke, eigne „Jmmngsbcuiken" zu begründen und dadurch sowohl die Kosten wie die Verluste des Bankgeschäftes ans ein Minimum zu reduziren, auch die Einrichtungen der Anstalt den Bedürfnissen der Mitglieder möglichst anzupassen, vielfach erörtert worden (in Berlin ist eine solche „Jn- uuugsbauk," wenn auch in kleinsten Maßstabe, sogar ins Leben getreten). Aber alle diese Anläufe haben es bis heute nicht vermocht, ein engbegrcnztes Gebiet zu überschreiten, und wir wissen sehr gut, daß der Gedanke, die Innung prin¬ zipiell zur Genossenschaft zu machen und alle für den gemeinsamen Betrieb sich eignenden Dinge prinzipiell dieser Gesamtheit zu überweisen, zur Zeit noch in den Kreisen der Handwerker selbst auf den hartnäckigsten Widerstand stoßen würde, weil die Herren eben in ihre „Selbständigkeit" noch zu sehr verliebt sind, so sehr sie auch selbst sehen oder doch fühlen mögen, daß diese Selbständigkeit zu einem Teile nur noch eine angebliche, zum andern Teile bereits furchtbar unterwühlte und schwerlich noch ein Menschenalter lang haltbare ist. Nun, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/410>, abgerufen am 25.11.2024.