Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Handwerkerbowegnng und ihr mögliches Ziel.

Kämpfen UM Juuungsvorrcchte und um Ausstattung des Innungswesens mit
staatlich anerkannten Formen und Namen kann doch höchstens zu einer vorüber¬
gehenden Galvanisirung des Handwerks sichren, zu einem Aufraffe" mit letzten,
aber unter allen Umständen ungenügenden Kräften -- bis auf die künstliche An¬
spannung umso sicherer die Ermattung und der gänzliche Zusammenbruch folgt.

Giebt es denn uun ein Mittel, um dem Handwerke dieses Unerläßliche, die
Möglichkeit einer Konkurrenz auf gleicher geschäftlicher Grundlage zu geben?
Ja, es giebt ein solches. Aber unsre Handwerker sind noch nicht reif dazu,
weil es ihnen noch zu gilt geht. Unsre Handwerker haben immer noch die
Vorstellung, wenn es mit ihren Verhältnissen auch heute schlecht bestellt sei, so
könne und müsse sich dies doch wieder bessern, und sie nehmen ihren Maßstab
für die Beurteilung der allgemeinen Handwerkerlage immer noch davon her, daß
doch selbst in unsern Tagen so viele Handwerksmeister zu Vermögen und An¬
sehen kommen, es also doch wohl nur an untergeordneten Punkten liege, wenn
dies nicht bei der Mehrheit ähnlich der Fall sei, Sie begreifen noch nicht, daß
dies mehr und mehr aufhören wird, da derjenige Zustand, welcher gegenwärtig
der maßgebende ist, eine natürliche Tendenz hat, in immer steigendem Umfange
znerst der allein maßgebende, dann der allein vvrhandne zu werden. Gewiß,
heute hat der Handwerkerstand als solcher immer noch eine gewisse Bedeutung,
weil es noch Privatknndschast giebt, mit andern Worten, weil das Publikum sich
noch nicht ganz und gar an das Fertigkaufen seines Bedarfes in großen Maga¬
zinen gewöhnt hat, und weil der Entwicklungsprozeß, welcher das Magazin¬
wesen zuerst in den größern, dann aber anch in den kleinern Städten znerst
einbürgert und dann zur Herrschaft bringt, noch uicht auf seiner Höhe ange¬
kommen ist. Aber man zweifle nicht, daß dieser Prozeß in vollem und unaus¬
gesetztem Gange ist, und daß alle Wiederbelebung des Innungswesens hieran
bis heute uicht das geringste geändert hat. Die .Handwerker sühlen dies much
sehr wohl, und ihr verzweifluugsvvlles Rufen nach der obligatorischen Innung
ist einfach darauf zurückzuführen, daß sie denken, wenn sie mir erst einmal alle
beisammen seien und dann auch eine Art Jurisdiktion über den ganzen Gewerbe¬
betrieb und das Recht zur Ausübung desselben besäßen, dann werde und müsse
es am Ende doch möglich sein, die Übermacht des Jndustrialisnitls und des Ka¬
pitals zu brechen. Sie irren sich; die obligatorische Innung (sobald sie materiell
möglich geworden sein wird) kann ohne Zweifel vieles bessern und die Kraft
der Handwerker stärken, weil diese sich dann nicht mehr so wie bisher im
Kampfe gegen die eignen Genossen aufzureiben brauche", und weil dann die un¬
billige Zumutung nicht mehr an die Handwerker herantritt, Leistungen, die der
Gesamtheit zugute kommen sollen, mit den Mitteln und Kräften eines Teiles zu
bestreiten. Aber das Wesentliche an der Sache, die ungeheure Überlegenheit
der kapitalistisch-grvßinduslriellen Prodnktions- und Vertriebsmethvde, läßt anch
die obligatorische Innung unberührt. Wird es unerläßlich sein, daß die Hand-


Die Handwerkerbowegnng und ihr mögliches Ziel.

Kämpfen UM Juuungsvorrcchte und um Ausstattung des Innungswesens mit
staatlich anerkannten Formen und Namen kann doch höchstens zu einer vorüber¬
gehenden Galvanisirung des Handwerks sichren, zu einem Aufraffe» mit letzten,
aber unter allen Umständen ungenügenden Kräften — bis auf die künstliche An¬
spannung umso sicherer die Ermattung und der gänzliche Zusammenbruch folgt.

Giebt es denn uun ein Mittel, um dem Handwerke dieses Unerläßliche, die
Möglichkeit einer Konkurrenz auf gleicher geschäftlicher Grundlage zu geben?
Ja, es giebt ein solches. Aber unsre Handwerker sind noch nicht reif dazu,
weil es ihnen noch zu gilt geht. Unsre Handwerker haben immer noch die
Vorstellung, wenn es mit ihren Verhältnissen auch heute schlecht bestellt sei, so
könne und müsse sich dies doch wieder bessern, und sie nehmen ihren Maßstab
für die Beurteilung der allgemeinen Handwerkerlage immer noch davon her, daß
doch selbst in unsern Tagen so viele Handwerksmeister zu Vermögen und An¬
sehen kommen, es also doch wohl nur an untergeordneten Punkten liege, wenn
dies nicht bei der Mehrheit ähnlich der Fall sei, Sie begreifen noch nicht, daß
dies mehr und mehr aufhören wird, da derjenige Zustand, welcher gegenwärtig
der maßgebende ist, eine natürliche Tendenz hat, in immer steigendem Umfange
znerst der allein maßgebende, dann der allein vvrhandne zu werden. Gewiß,
heute hat der Handwerkerstand als solcher immer noch eine gewisse Bedeutung,
weil es noch Privatknndschast giebt, mit andern Worten, weil das Publikum sich
noch nicht ganz und gar an das Fertigkaufen seines Bedarfes in großen Maga¬
zinen gewöhnt hat, und weil der Entwicklungsprozeß, welcher das Magazin¬
wesen zuerst in den größern, dann aber anch in den kleinern Städten znerst
einbürgert und dann zur Herrschaft bringt, noch uicht auf seiner Höhe ange¬
kommen ist. Aber man zweifle nicht, daß dieser Prozeß in vollem und unaus¬
gesetztem Gange ist, und daß alle Wiederbelebung des Innungswesens hieran
bis heute uicht das geringste geändert hat. Die .Handwerker sühlen dies much
sehr wohl, und ihr verzweifluugsvvlles Rufen nach der obligatorischen Innung
ist einfach darauf zurückzuführen, daß sie denken, wenn sie mir erst einmal alle
beisammen seien und dann auch eine Art Jurisdiktion über den ganzen Gewerbe¬
betrieb und das Recht zur Ausübung desselben besäßen, dann werde und müsse
es am Ende doch möglich sein, die Übermacht des Jndustrialisnitls und des Ka¬
pitals zu brechen. Sie irren sich; die obligatorische Innung (sobald sie materiell
möglich geworden sein wird) kann ohne Zweifel vieles bessern und die Kraft
der Handwerker stärken, weil diese sich dann nicht mehr so wie bisher im
Kampfe gegen die eignen Genossen aufzureiben brauche», und weil dann die un¬
billige Zumutung nicht mehr an die Handwerker herantritt, Leistungen, die der
Gesamtheit zugute kommen sollen, mit den Mitteln und Kräften eines Teiles zu
bestreiten. Aber das Wesentliche an der Sache, die ungeheure Überlegenheit
der kapitalistisch-grvßinduslriellen Prodnktions- und Vertriebsmethvde, läßt anch
die obligatorische Innung unberührt. Wird es unerläßlich sein, daß die Hand-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196508"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Handwerkerbowegnng und ihr mögliches Ziel.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1632" prev="#ID_1631"> Kämpfen UM Juuungsvorrcchte und um Ausstattung des Innungswesens mit<lb/>
staatlich anerkannten Formen und Namen kann doch höchstens zu einer vorüber¬<lb/>
gehenden Galvanisirung des Handwerks sichren, zu einem Aufraffe» mit letzten,<lb/>
aber unter allen Umständen ungenügenden Kräften &#x2014; bis auf die künstliche An¬<lb/>
spannung umso sicherer die Ermattung und der gänzliche Zusammenbruch folgt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1633" next="#ID_1634"> Giebt es denn uun ein Mittel, um dem Handwerke dieses Unerläßliche, die<lb/>
Möglichkeit einer Konkurrenz auf gleicher geschäftlicher Grundlage zu geben?<lb/>
Ja, es giebt ein solches. Aber unsre Handwerker sind noch nicht reif dazu,<lb/>
weil es ihnen noch zu gilt geht. Unsre Handwerker haben immer noch die<lb/>
Vorstellung, wenn es mit ihren Verhältnissen auch heute schlecht bestellt sei, so<lb/>
könne und müsse sich dies doch wieder bessern, und sie nehmen ihren Maßstab<lb/>
für die Beurteilung der allgemeinen Handwerkerlage immer noch davon her, daß<lb/>
doch selbst in unsern Tagen so viele Handwerksmeister zu Vermögen und An¬<lb/>
sehen kommen, es also doch wohl nur an untergeordneten Punkten liege, wenn<lb/>
dies nicht bei der Mehrheit ähnlich der Fall sei, Sie begreifen noch nicht, daß<lb/>
dies mehr und mehr aufhören wird, da derjenige Zustand, welcher gegenwärtig<lb/>
der maßgebende ist, eine natürliche Tendenz hat, in immer steigendem Umfange<lb/>
znerst der allein maßgebende, dann der allein vvrhandne zu werden. Gewiß,<lb/>
heute hat der Handwerkerstand als solcher immer noch eine gewisse Bedeutung,<lb/>
weil es noch Privatknndschast giebt, mit andern Worten, weil das Publikum sich<lb/>
noch nicht ganz und gar an das Fertigkaufen seines Bedarfes in großen Maga¬<lb/>
zinen gewöhnt hat, und weil der Entwicklungsprozeß, welcher das Magazin¬<lb/>
wesen zuerst in den größern, dann aber anch in den kleinern Städten znerst<lb/>
einbürgert und dann zur Herrschaft bringt, noch uicht auf seiner Höhe ange¬<lb/>
kommen ist. Aber man zweifle nicht, daß dieser Prozeß in vollem und unaus¬<lb/>
gesetztem Gange ist, und daß alle Wiederbelebung des Innungswesens hieran<lb/>
bis heute uicht das geringste geändert hat. Die .Handwerker sühlen dies much<lb/>
sehr wohl, und ihr verzweifluugsvvlles Rufen nach der obligatorischen Innung<lb/>
ist einfach darauf zurückzuführen, daß sie denken, wenn sie mir erst einmal alle<lb/>
beisammen seien und dann auch eine Art Jurisdiktion über den ganzen Gewerbe¬<lb/>
betrieb und das Recht zur Ausübung desselben besäßen, dann werde und müsse<lb/>
es am Ende doch möglich sein, die Übermacht des Jndustrialisnitls und des Ka¬<lb/>
pitals zu brechen. Sie irren sich; die obligatorische Innung (sobald sie materiell<lb/>
möglich geworden sein wird) kann ohne Zweifel vieles bessern und die Kraft<lb/>
der Handwerker stärken, weil diese sich dann nicht mehr so wie bisher im<lb/>
Kampfe gegen die eignen Genossen aufzureiben brauche», und weil dann die un¬<lb/>
billige Zumutung nicht mehr an die Handwerker herantritt, Leistungen, die der<lb/>
Gesamtheit zugute kommen sollen, mit den Mitteln und Kräften eines Teiles zu<lb/>
bestreiten. Aber das Wesentliche an der Sache, die ungeheure Überlegenheit<lb/>
der kapitalistisch-grvßinduslriellen Prodnktions- und Vertriebsmethvde, läßt anch<lb/>
die obligatorische Innung unberührt. Wird es unerläßlich sein, daß die Hand-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0408] Die Handwerkerbowegnng und ihr mögliches Ziel. Kämpfen UM Juuungsvorrcchte und um Ausstattung des Innungswesens mit staatlich anerkannten Formen und Namen kann doch höchstens zu einer vorüber¬ gehenden Galvanisirung des Handwerks sichren, zu einem Aufraffe» mit letzten, aber unter allen Umständen ungenügenden Kräften — bis auf die künstliche An¬ spannung umso sicherer die Ermattung und der gänzliche Zusammenbruch folgt. Giebt es denn uun ein Mittel, um dem Handwerke dieses Unerläßliche, die Möglichkeit einer Konkurrenz auf gleicher geschäftlicher Grundlage zu geben? Ja, es giebt ein solches. Aber unsre Handwerker sind noch nicht reif dazu, weil es ihnen noch zu gilt geht. Unsre Handwerker haben immer noch die Vorstellung, wenn es mit ihren Verhältnissen auch heute schlecht bestellt sei, so könne und müsse sich dies doch wieder bessern, und sie nehmen ihren Maßstab für die Beurteilung der allgemeinen Handwerkerlage immer noch davon her, daß doch selbst in unsern Tagen so viele Handwerksmeister zu Vermögen und An¬ sehen kommen, es also doch wohl nur an untergeordneten Punkten liege, wenn dies nicht bei der Mehrheit ähnlich der Fall sei, Sie begreifen noch nicht, daß dies mehr und mehr aufhören wird, da derjenige Zustand, welcher gegenwärtig der maßgebende ist, eine natürliche Tendenz hat, in immer steigendem Umfange znerst der allein maßgebende, dann der allein vvrhandne zu werden. Gewiß, heute hat der Handwerkerstand als solcher immer noch eine gewisse Bedeutung, weil es noch Privatknndschast giebt, mit andern Worten, weil das Publikum sich noch nicht ganz und gar an das Fertigkaufen seines Bedarfes in großen Maga¬ zinen gewöhnt hat, und weil der Entwicklungsprozeß, welcher das Magazin¬ wesen zuerst in den größern, dann aber anch in den kleinern Städten znerst einbürgert und dann zur Herrschaft bringt, noch uicht auf seiner Höhe ange¬ kommen ist. Aber man zweifle nicht, daß dieser Prozeß in vollem und unaus¬ gesetztem Gange ist, und daß alle Wiederbelebung des Innungswesens hieran bis heute uicht das geringste geändert hat. Die .Handwerker sühlen dies much sehr wohl, und ihr verzweifluugsvvlles Rufen nach der obligatorischen Innung ist einfach darauf zurückzuführen, daß sie denken, wenn sie mir erst einmal alle beisammen seien und dann auch eine Art Jurisdiktion über den ganzen Gewerbe¬ betrieb und das Recht zur Ausübung desselben besäßen, dann werde und müsse es am Ende doch möglich sein, die Übermacht des Jndustrialisnitls und des Ka¬ pitals zu brechen. Sie irren sich; die obligatorische Innung (sobald sie materiell möglich geworden sein wird) kann ohne Zweifel vieles bessern und die Kraft der Handwerker stärken, weil diese sich dann nicht mehr so wie bisher im Kampfe gegen die eignen Genossen aufzureiben brauche», und weil dann die un¬ billige Zumutung nicht mehr an die Handwerker herantritt, Leistungen, die der Gesamtheit zugute kommen sollen, mit den Mitteln und Kräften eines Teiles zu bestreiten. Aber das Wesentliche an der Sache, die ungeheure Überlegenheit der kapitalistisch-grvßinduslriellen Prodnktions- und Vertriebsmethvde, läßt anch die obligatorische Innung unberührt. Wird es unerläßlich sein, daß die Hand-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/408
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/408>, abgerufen am 28.07.2024.