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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel.

mehrt und dadurch der letztem die Anstellung und Beherrschung des Marktes
erleichtert), er obendrein auch noch, immer auf Kosten der Gesamtheit, der Fabrik¬
arbeit für ihren Konkurrenzkampf gegen das Handwerk Arbeitskräfte ausbildet,
ihr also förmlich vorgebildete Rekruten liefert. Es ist wohl möglich, daß, wenn
dergleichen staatliche Begünstigungen des Großbetriebes und des Handels mit
Handwerksartikeln niemals vorgekommen wären, lind wenn unsre Gesetzgebung
zu passender Zeit brauchbare Handhaben gegen alle unreellen Geschäftspraktiken
dargeboten hätte, der heutige Verfall des Handwerks nie eingetreten wäre.
Aber was nützt uns diese rückläufige Betrachtung? Die Wirkung ist einmal
da! Der Geschäftsbetrieb ist an seine jetzigen Bezugsquellen, das Publikum an
seine jetzigen Kaufgelegenheiteu mit ihrer massenhaften Auswahl und ihrer An¬
passung an seine Schwächen und Neigungen einmal gewöhnt, und wir stehen
immer wieder vor der entscheidenden Frage, ob diesem Zustande gegenüber das
Handwerk im großen und ganzen konkurrenzfähig ist, einer Frage, die wir
auch in diesem Zusammenhange verneinen müssen. Daran wird, wir wieder¬
holen eS, auch alle Entwicklung eines bloßen Innungswesens als solchen nichts
ändern -- so wenig, daß sogar der leidige Rückschluß gestattet ist, die Wirknngs-
lvsigkeit aller auf dem Boden des spezifischen Innungswesens stattfindenden
Bemühungen werde zuletzt die Folge haben, das Innungswesen selbst bei der
Masse der Handwerker wieder zu diskreditiren. Denn was nützen alle Quar¬
tale, alle Maßregeln für Lehrlingsausbildung und für die Kontrole derselben,
alle Hilfskassen und sonstigen gemeinsamen Anstalten, alle Anstrengungen für
Wiederherstellung eines geordneten Geselleiiwesens; was nützen weiterhin alle
Jnnungsverbände, alle Handluerkerversammlungeii, Verbands- und Jnnuugstage,
ja auch alle Neichsiunilugsümter und Handwerkerkammem -- wenn alle diese
schönen Dinge das Handwerk nicht konkurrenzfähiger machen? Das thun sie
aber um und für sich nicht, höchstens insofern, als sie bei vielen einzelnen Hand¬
werkern eine gewisse sittliche Kräftigung, eine Hebung und Ermutigung erzielen
und dadurch auch auf die Leistungen derselben erfreulich zurückwirken mögen, was
jedoch schwerlich von durchschlagender Bedeutung ist. Solange der kleine Ge-
werbsmann nicht unter gleich günstigen Bedingungen wie die Großindustrie die
Hilfskräfte der Maschinen anwenden, für gewisse Arbeiten einen fabrikmäßigen
Betrieb herstellen, Lager und Magazine in geeignetem Umfange unterhalten,
bequemen und billigen Kredit bekommen, zum Absätze sich des organisirten
Handels bedienen kann, so lange bildet er Lehrlinge und Gesellen doch immer
wieder nur für die Fabrikindustrie aus, so lauge kommen alle seine gemeinnützigen
und wohlthätigen Anstalten wohl gewissen Bedürftigen, aber nicht dem Handwerk
als solchem zugute, und so lange nützen alle Versammlungen und eignen Be¬
hörden den Handwerkern wohl zum Wehklagen, aber zu sonst nichts. Gelingt
es uicht, dein Handwerk eine gleiche geschäftliche Leistungsfähigkeit einzuhauchen
wie der Großindustrie, so behalten die Gegner Recht: alles verzweiflungsvolle


Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel.

mehrt und dadurch der letztem die Anstellung und Beherrschung des Marktes
erleichtert), er obendrein auch noch, immer auf Kosten der Gesamtheit, der Fabrik¬
arbeit für ihren Konkurrenzkampf gegen das Handwerk Arbeitskräfte ausbildet,
ihr also förmlich vorgebildete Rekruten liefert. Es ist wohl möglich, daß, wenn
dergleichen staatliche Begünstigungen des Großbetriebes und des Handels mit
Handwerksartikeln niemals vorgekommen wären, lind wenn unsre Gesetzgebung
zu passender Zeit brauchbare Handhaben gegen alle unreellen Geschäftspraktiken
dargeboten hätte, der heutige Verfall des Handwerks nie eingetreten wäre.
Aber was nützt uns diese rückläufige Betrachtung? Die Wirkung ist einmal
da! Der Geschäftsbetrieb ist an seine jetzigen Bezugsquellen, das Publikum an
seine jetzigen Kaufgelegenheiteu mit ihrer massenhaften Auswahl und ihrer An¬
passung an seine Schwächen und Neigungen einmal gewöhnt, und wir stehen
immer wieder vor der entscheidenden Frage, ob diesem Zustande gegenüber das
Handwerk im großen und ganzen konkurrenzfähig ist, einer Frage, die wir
auch in diesem Zusammenhange verneinen müssen. Daran wird, wir wieder¬
holen eS, auch alle Entwicklung eines bloßen Innungswesens als solchen nichts
ändern — so wenig, daß sogar der leidige Rückschluß gestattet ist, die Wirknngs-
lvsigkeit aller auf dem Boden des spezifischen Innungswesens stattfindenden
Bemühungen werde zuletzt die Folge haben, das Innungswesen selbst bei der
Masse der Handwerker wieder zu diskreditiren. Denn was nützen alle Quar¬
tale, alle Maßregeln für Lehrlingsausbildung und für die Kontrole derselben,
alle Hilfskassen und sonstigen gemeinsamen Anstalten, alle Anstrengungen für
Wiederherstellung eines geordneten Geselleiiwesens; was nützen weiterhin alle
Jnnungsverbände, alle Handluerkerversammlungeii, Verbands- und Jnnuugstage,
ja auch alle Neichsiunilugsümter und Handwerkerkammem — wenn alle diese
schönen Dinge das Handwerk nicht konkurrenzfähiger machen? Das thun sie
aber um und für sich nicht, höchstens insofern, als sie bei vielen einzelnen Hand¬
werkern eine gewisse sittliche Kräftigung, eine Hebung und Ermutigung erzielen
und dadurch auch auf die Leistungen derselben erfreulich zurückwirken mögen, was
jedoch schwerlich von durchschlagender Bedeutung ist. Solange der kleine Ge-
werbsmann nicht unter gleich günstigen Bedingungen wie die Großindustrie die
Hilfskräfte der Maschinen anwenden, für gewisse Arbeiten einen fabrikmäßigen
Betrieb herstellen, Lager und Magazine in geeignetem Umfange unterhalten,
bequemen und billigen Kredit bekommen, zum Absätze sich des organisirten
Handels bedienen kann, so lange bildet er Lehrlinge und Gesellen doch immer
wieder nur für die Fabrikindustrie aus, so lauge kommen alle seine gemeinnützigen
und wohlthätigen Anstalten wohl gewissen Bedürftigen, aber nicht dem Handwerk
als solchem zugute, und so lange nützen alle Versammlungen und eignen Be¬
hörden den Handwerkern wohl zum Wehklagen, aber zu sonst nichts. Gelingt
es uicht, dein Handwerk eine gleiche geschäftliche Leistungsfähigkeit einzuhauchen
wie der Großindustrie, so behalten die Gegner Recht: alles verzweiflungsvolle


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[0407] Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel. mehrt und dadurch der letztem die Anstellung und Beherrschung des Marktes erleichtert), er obendrein auch noch, immer auf Kosten der Gesamtheit, der Fabrik¬ arbeit für ihren Konkurrenzkampf gegen das Handwerk Arbeitskräfte ausbildet, ihr also förmlich vorgebildete Rekruten liefert. Es ist wohl möglich, daß, wenn dergleichen staatliche Begünstigungen des Großbetriebes und des Handels mit Handwerksartikeln niemals vorgekommen wären, lind wenn unsre Gesetzgebung zu passender Zeit brauchbare Handhaben gegen alle unreellen Geschäftspraktiken dargeboten hätte, der heutige Verfall des Handwerks nie eingetreten wäre. Aber was nützt uns diese rückläufige Betrachtung? Die Wirkung ist einmal da! Der Geschäftsbetrieb ist an seine jetzigen Bezugsquellen, das Publikum an seine jetzigen Kaufgelegenheiteu mit ihrer massenhaften Auswahl und ihrer An¬ passung an seine Schwächen und Neigungen einmal gewöhnt, und wir stehen immer wieder vor der entscheidenden Frage, ob diesem Zustande gegenüber das Handwerk im großen und ganzen konkurrenzfähig ist, einer Frage, die wir auch in diesem Zusammenhange verneinen müssen. Daran wird, wir wieder¬ holen eS, auch alle Entwicklung eines bloßen Innungswesens als solchen nichts ändern — so wenig, daß sogar der leidige Rückschluß gestattet ist, die Wirknngs- lvsigkeit aller auf dem Boden des spezifischen Innungswesens stattfindenden Bemühungen werde zuletzt die Folge haben, das Innungswesen selbst bei der Masse der Handwerker wieder zu diskreditiren. Denn was nützen alle Quar¬ tale, alle Maßregeln für Lehrlingsausbildung und für die Kontrole derselben, alle Hilfskassen und sonstigen gemeinsamen Anstalten, alle Anstrengungen für Wiederherstellung eines geordneten Geselleiiwesens; was nützen weiterhin alle Jnnungsverbände, alle Handluerkerversammlungeii, Verbands- und Jnnuugstage, ja auch alle Neichsiunilugsümter und Handwerkerkammem — wenn alle diese schönen Dinge das Handwerk nicht konkurrenzfähiger machen? Das thun sie aber um und für sich nicht, höchstens insofern, als sie bei vielen einzelnen Hand¬ werkern eine gewisse sittliche Kräftigung, eine Hebung und Ermutigung erzielen und dadurch auch auf die Leistungen derselben erfreulich zurückwirken mögen, was jedoch schwerlich von durchschlagender Bedeutung ist. Solange der kleine Ge- werbsmann nicht unter gleich günstigen Bedingungen wie die Großindustrie die Hilfskräfte der Maschinen anwenden, für gewisse Arbeiten einen fabrikmäßigen Betrieb herstellen, Lager und Magazine in geeignetem Umfange unterhalten, bequemen und billigen Kredit bekommen, zum Absätze sich des organisirten Handels bedienen kann, so lange bildet er Lehrlinge und Gesellen doch immer wieder nur für die Fabrikindustrie aus, so lauge kommen alle seine gemeinnützigen und wohlthätigen Anstalten wohl gewissen Bedürftigen, aber nicht dem Handwerk als solchem zugute, und so lange nützen alle Versammlungen und eignen Be¬ hörden den Handwerkern wohl zum Wehklagen, aber zu sonst nichts. Gelingt es uicht, dein Handwerk eine gleiche geschäftliche Leistungsfähigkeit einzuhauchen wie der Großindustrie, so behalten die Gegner Recht: alles verzweiflungsvolle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/407>, abgerufen am 25.11.2024.