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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Sturm der Elemente hätte in diesem Augenblicke jedes Wort übertäuben
müssen; es war, als wollte der Himmel selbst nicht, daß die Tochter um ihrer
Liebe willen sich ihrer Kindespflichten so weit über alles Maß hinauseutschlage,

Pater Vigilio, mit seinem Herzen hüben wie drüben, flehte im stillen zur
Mutter Gottes, sie möge ihn: eingeben, was er thun solle.

Die römische Kirche hat nie durch ein "allgemeines" Gesetz die Giltigkeit
der Ehe förmlich an die priesterliche Einsegnung geknüpft; die letztere wird seit
dem Jahre 1215 für nötig erklärt und es wird an ihr festgehalten, doch daneben
hat sich, wenn auch nicht im Bereich der Sitte und des Herkommens, der Grund¬
satz erhalten, daß schon die beiderseitigen Konsense genügen, daß also eine so¬
genannte Gewissensehe eine wirkliche Ehe ist, vorausgesetzt, es stehen ihr nicht
andre aus den Landesgesetzen oder aus dem kanonischen Rechte abzuleitende
Hindernisse im Wege, nahe Blutsverwandtschaft, Glanbensverschiedenheit, Patcn-
und Täuflingsverhältnis und ähnliches.

Pater Vigilio hätte am liebsten den kirchlichen Segen, auf Grund jenes
noch immer bestehenden Mangels eines darüber bestimmenden allgemeinen Kirchen-
gesetzes, als eine ja zur Not entbehrliche Zeremonie erklärt und daraufhin sich
von der ihm abverlangten Leistung freigemacht.

Aber es widerstrebte ihm doch, sich auf diese uupriesterliche Weise aus der
Klemme zu bringen. Ihm fiel ein andres Auskunftsmittel ein. Es war, wie
in den meisten Orten Italiens, so auch in Mantua die Gegenwart zweier Zeugen
bei jeder Trauuugszeremonie üblich; gegen dies Herkommen wenigstens brauchte
er nicht zu verstoßen. Während der Sturm der Elemente nachzulassen begann,
wendete der Pater demnach seinen Blick nach der Thür, wo der Mönch stand.

Dort steht der eine Zeuge, sagte er, wenn Ihr denn ernstlich dabei be¬
harrt, liebe Kinder, Euerm Bunde noch die kirchliche Weihe geben zu lassen.
Aber die Wahrheit, so heißt es im Volksmunde und so ist es gutes Herkomme",
wird nur aus zweier Zeugen Rede kund. Wo ist der Zweite? Gehe einen
zweiten Zeugen zu holen, Bruder, befahl er, als Florida, gewohnt, in kirchlichen
Fragen die Autorität des Paters als Gesetz gelten zu lassen, mit betrübter Miene
schwieg. Aber, ehrwürdiger Vater, wie könnte ich! erhob der Mönch bescheidnen
Einwand, ich sagte Euch ja, mir ist es auf die Seele gebunden, gegen niemand
ein Wort über das Dasein dieses Mannes verlauten zu lassen. Ihr wolltet
ihm, als einem Sterbenden, den Trost unsrer heiligen Kirche spenden. Ich
zittre, daß ich, indem ich Euch dazu hierher geleitete, schon meine Befugnis
überschritt. Laßt mich aber auf diesem abschüssigen Wege nicht weitergehen. Ich
möchte mein Gewissen nicht belasten -- es giebt ans Erden nichts schlimmeres --,
non si 6a al luonäo vos-i xgAg'loro!

Du hast Recht, stimmte Pater Vigilio verlegner Tones bei, denn er hätte
es gern allen recht gemacht, dem Liebespaar, dem alten Marcello und nicht
minder dem guten Klosterbruder.


Der Sturm der Elemente hätte in diesem Augenblicke jedes Wort übertäuben
müssen; es war, als wollte der Himmel selbst nicht, daß die Tochter um ihrer
Liebe willen sich ihrer Kindespflichten so weit über alles Maß hinauseutschlage,

Pater Vigilio, mit seinem Herzen hüben wie drüben, flehte im stillen zur
Mutter Gottes, sie möge ihn: eingeben, was er thun solle.

Die römische Kirche hat nie durch ein „allgemeines" Gesetz die Giltigkeit
der Ehe förmlich an die priesterliche Einsegnung geknüpft; die letztere wird seit
dem Jahre 1215 für nötig erklärt und es wird an ihr festgehalten, doch daneben
hat sich, wenn auch nicht im Bereich der Sitte und des Herkommens, der Grund¬
satz erhalten, daß schon die beiderseitigen Konsense genügen, daß also eine so¬
genannte Gewissensehe eine wirkliche Ehe ist, vorausgesetzt, es stehen ihr nicht
andre aus den Landesgesetzen oder aus dem kanonischen Rechte abzuleitende
Hindernisse im Wege, nahe Blutsverwandtschaft, Glanbensverschiedenheit, Patcn-
und Täuflingsverhältnis und ähnliches.

Pater Vigilio hätte am liebsten den kirchlichen Segen, auf Grund jenes
noch immer bestehenden Mangels eines darüber bestimmenden allgemeinen Kirchen-
gesetzes, als eine ja zur Not entbehrliche Zeremonie erklärt und daraufhin sich
von der ihm abverlangten Leistung freigemacht.

Aber es widerstrebte ihm doch, sich auf diese uupriesterliche Weise aus der
Klemme zu bringen. Ihm fiel ein andres Auskunftsmittel ein. Es war, wie
in den meisten Orten Italiens, so auch in Mantua die Gegenwart zweier Zeugen
bei jeder Trauuugszeremonie üblich; gegen dies Herkommen wenigstens brauchte
er nicht zu verstoßen. Während der Sturm der Elemente nachzulassen begann,
wendete der Pater demnach seinen Blick nach der Thür, wo der Mönch stand.

Dort steht der eine Zeuge, sagte er, wenn Ihr denn ernstlich dabei be¬
harrt, liebe Kinder, Euerm Bunde noch die kirchliche Weihe geben zu lassen.
Aber die Wahrheit, so heißt es im Volksmunde und so ist es gutes Herkomme»,
wird nur aus zweier Zeugen Rede kund. Wo ist der Zweite? Gehe einen
zweiten Zeugen zu holen, Bruder, befahl er, als Florida, gewohnt, in kirchlichen
Fragen die Autorität des Paters als Gesetz gelten zu lassen, mit betrübter Miene
schwieg. Aber, ehrwürdiger Vater, wie könnte ich! erhob der Mönch bescheidnen
Einwand, ich sagte Euch ja, mir ist es auf die Seele gebunden, gegen niemand
ein Wort über das Dasein dieses Mannes verlauten zu lassen. Ihr wolltet
ihm, als einem Sterbenden, den Trost unsrer heiligen Kirche spenden. Ich
zittre, daß ich, indem ich Euch dazu hierher geleitete, schon meine Befugnis
überschritt. Laßt mich aber auf diesem abschüssigen Wege nicht weitergehen. Ich
möchte mein Gewissen nicht belasten — es giebt ans Erden nichts schlimmeres —,
non si 6a al luonäo vos-i xgAg'loro!

Du hast Recht, stimmte Pater Vigilio verlegner Tones bei, denn er hätte
es gern allen recht gemacht, dem Liebespaar, dem alten Marcello und nicht
minder dem guten Klosterbruder.


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[0386] Der Sturm der Elemente hätte in diesem Augenblicke jedes Wort übertäuben müssen; es war, als wollte der Himmel selbst nicht, daß die Tochter um ihrer Liebe willen sich ihrer Kindespflichten so weit über alles Maß hinauseutschlage, Pater Vigilio, mit seinem Herzen hüben wie drüben, flehte im stillen zur Mutter Gottes, sie möge ihn: eingeben, was er thun solle. Die römische Kirche hat nie durch ein „allgemeines" Gesetz die Giltigkeit der Ehe förmlich an die priesterliche Einsegnung geknüpft; die letztere wird seit dem Jahre 1215 für nötig erklärt und es wird an ihr festgehalten, doch daneben hat sich, wenn auch nicht im Bereich der Sitte und des Herkommens, der Grund¬ satz erhalten, daß schon die beiderseitigen Konsense genügen, daß also eine so¬ genannte Gewissensehe eine wirkliche Ehe ist, vorausgesetzt, es stehen ihr nicht andre aus den Landesgesetzen oder aus dem kanonischen Rechte abzuleitende Hindernisse im Wege, nahe Blutsverwandtschaft, Glanbensverschiedenheit, Patcn- und Täuflingsverhältnis und ähnliches. Pater Vigilio hätte am liebsten den kirchlichen Segen, auf Grund jenes noch immer bestehenden Mangels eines darüber bestimmenden allgemeinen Kirchen- gesetzes, als eine ja zur Not entbehrliche Zeremonie erklärt und daraufhin sich von der ihm abverlangten Leistung freigemacht. Aber es widerstrebte ihm doch, sich auf diese uupriesterliche Weise aus der Klemme zu bringen. Ihm fiel ein andres Auskunftsmittel ein. Es war, wie in den meisten Orten Italiens, so auch in Mantua die Gegenwart zweier Zeugen bei jeder Trauuugszeremonie üblich; gegen dies Herkommen wenigstens brauchte er nicht zu verstoßen. Während der Sturm der Elemente nachzulassen begann, wendete der Pater demnach seinen Blick nach der Thür, wo der Mönch stand. Dort steht der eine Zeuge, sagte er, wenn Ihr denn ernstlich dabei be¬ harrt, liebe Kinder, Euerm Bunde noch die kirchliche Weihe geben zu lassen. Aber die Wahrheit, so heißt es im Volksmunde und so ist es gutes Herkomme», wird nur aus zweier Zeugen Rede kund. Wo ist der Zweite? Gehe einen zweiten Zeugen zu holen, Bruder, befahl er, als Florida, gewohnt, in kirchlichen Fragen die Autorität des Paters als Gesetz gelten zu lassen, mit betrübter Miene schwieg. Aber, ehrwürdiger Vater, wie könnte ich! erhob der Mönch bescheidnen Einwand, ich sagte Euch ja, mir ist es auf die Seele gebunden, gegen niemand ein Wort über das Dasein dieses Mannes verlauten zu lassen. Ihr wolltet ihm, als einem Sterbenden, den Trost unsrer heiligen Kirche spenden. Ich zittre, daß ich, indem ich Euch dazu hierher geleitete, schon meine Befugnis überschritt. Laßt mich aber auf diesem abschüssigen Wege nicht weitergehen. Ich möchte mein Gewissen nicht belasten — es giebt ans Erden nichts schlimmeres —, non si 6a al luonäo vos-i xgAg'loro! Du hast Recht, stimmte Pater Vigilio verlegner Tones bei, denn er hätte es gern allen recht gemacht, dem Liebespaar, dem alten Marcello und nicht minder dem guten Klosterbruder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/386>, abgerufen am 25.11.2024.