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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine j)erke.

Er hat, wie oft! meine Thränen fließen sehen. Er weiß, wie gut du bist.
Ich habe vor ihm, vor meinem treuen Beichtvater, kein Geheimnis. Setzt Euch,
Pater Vigilio, setzt Euch dort mit dem Blicke nach dem schönen Sonnenscheine
draußen. Ich könnte, wenn Ihr nicht in der Nähe bliebet, die letzten Augen¬
blicke meines Geliebten doch noch mit ungestümem Jammer erfüllen --

Sie stockte, denn während sie so durch Reden sich im Zaume zu halten
suchte, hatte Giuseppe die Hand des Greises ergriffen, und jetzt suchte er diese
alte zitternde Hand, wie einen Segensspruch von ihr heischend, auf die in einander
fest verschlungenen beiden Hände zu drücken, ans die Hände Giuseppes und
Floridas.

Die Tochter Marcello Buonaeolsis erblaßte. Sie erriet Ginseppes Ge¬
danken i der Segen der Kirche sollte sie dem Geliebten verbinden, das Ziel
ihres nud seines ganzen Wünschcns und Sehnens, es sollten im Angenblicke des
Zusammenbruchs alle ihre und seine irdischen Hoffnungen erreicht werden.

Giuseppe, stotterte sie, eingedenk ihres Vaters, verstehe ich dich recht?

Er gab keine Antwort.

Ehrwürdiger Vater, wandte sie sich flehenden Tones zu dem Pater, be¬
ratet uns! Darf ich die Kindcspflicht so unerhört verletzen? Wird mein Vater
es überleben? Das Bündnis einer Vnonacolsi und eines Gonzaga! An dem
Tage, wo ich dich, Geliebter, zum erstenmale sah, hatte kurz zuvor mein Vater
mir das Geburtshaus der armen Ginlia Cappuletti mit bitterbösen Abmahnungen
gezeigt. Es war, als ahnte er, was ihm bevorstund, und mir, die nie auch
selbst nur deinen Schatten an der Wand gesehen hatte, mir schoß der Gedanke
angstvoll dnrch den Sinn: wenn mein Herz einmal zu Worte komiut, wird mein
Bater nicht Trauerkleider anlegen müssen wie der alte Cappnlctti?

Sie Preßte, von ihren Gefühlen überwältigt, ihre Lippen auf die fest in
der ihren ruhende Hand Ginseppes; aber dann, erschreckt von dem Gedanken,
irgend ein Opfer zu schwer gefunden zu haben, um es ihm zu bringen, ver¬
wehrte sie dem Pater, welcher eben mit abratender Geberde das Wort nehmen
wollte, es zu thun. Nein, nein, rief sie, antwortet nicht, gebt mir nicht Recht!
Die Wunde, die dort todbringend aufgebrochen ist, mein Vater hat sie ja ge¬
schlagen. Ach, ich Arme kann sie nicht schließen! Aber Balsam vermag ich
hinein zu thun. Verzeihe mein Zögern, Geliebter. Draußen rollt der Donner.
Rufe er dich ab? Bist dn noch bei mir? Hurtig, hurtig, Pater Vigilio, segnet
unsern Vnnd! Hier sind unsre Hände -- sprechet uns zusammen! Lasset alle
überflüssigen Formeln! Hier sind unsre Hände! Unlösbar! Unlösbar!

Sie warf sich schluchzend an Giuseppes Brust.

Draußen rollte der Donner. Die Sonne hatte sich hinter schwarzen
Wetterwolken verborgen. Es war fast finster geworden, nur das bläuliche
Licht der zuckenden Blitze leuchtete ins Zimmer hinein. Rauschend ging ein
wolkcnbruchartiger Regen nieder.


Gu'nzl'von III. 1885. 43
Um eine j)erke.

Er hat, wie oft! meine Thränen fließen sehen. Er weiß, wie gut du bist.
Ich habe vor ihm, vor meinem treuen Beichtvater, kein Geheimnis. Setzt Euch,
Pater Vigilio, setzt Euch dort mit dem Blicke nach dem schönen Sonnenscheine
draußen. Ich könnte, wenn Ihr nicht in der Nähe bliebet, die letzten Augen¬
blicke meines Geliebten doch noch mit ungestümem Jammer erfüllen —

Sie stockte, denn während sie so durch Reden sich im Zaume zu halten
suchte, hatte Giuseppe die Hand des Greises ergriffen, und jetzt suchte er diese
alte zitternde Hand, wie einen Segensspruch von ihr heischend, auf die in einander
fest verschlungenen beiden Hände zu drücken, ans die Hände Giuseppes und
Floridas.

Die Tochter Marcello Buonaeolsis erblaßte. Sie erriet Ginseppes Ge¬
danken i der Segen der Kirche sollte sie dem Geliebten verbinden, das Ziel
ihres nud seines ganzen Wünschcns und Sehnens, es sollten im Angenblicke des
Zusammenbruchs alle ihre und seine irdischen Hoffnungen erreicht werden.

Giuseppe, stotterte sie, eingedenk ihres Vaters, verstehe ich dich recht?

Er gab keine Antwort.

Ehrwürdiger Vater, wandte sie sich flehenden Tones zu dem Pater, be¬
ratet uns! Darf ich die Kindcspflicht so unerhört verletzen? Wird mein Vater
es überleben? Das Bündnis einer Vnonacolsi und eines Gonzaga! An dem
Tage, wo ich dich, Geliebter, zum erstenmale sah, hatte kurz zuvor mein Vater
mir das Geburtshaus der armen Ginlia Cappuletti mit bitterbösen Abmahnungen
gezeigt. Es war, als ahnte er, was ihm bevorstund, und mir, die nie auch
selbst nur deinen Schatten an der Wand gesehen hatte, mir schoß der Gedanke
angstvoll dnrch den Sinn: wenn mein Herz einmal zu Worte komiut, wird mein
Bater nicht Trauerkleider anlegen müssen wie der alte Cappnlctti?

Sie Preßte, von ihren Gefühlen überwältigt, ihre Lippen auf die fest in
der ihren ruhende Hand Ginseppes; aber dann, erschreckt von dem Gedanken,
irgend ein Opfer zu schwer gefunden zu haben, um es ihm zu bringen, ver¬
wehrte sie dem Pater, welcher eben mit abratender Geberde das Wort nehmen
wollte, es zu thun. Nein, nein, rief sie, antwortet nicht, gebt mir nicht Recht!
Die Wunde, die dort todbringend aufgebrochen ist, mein Vater hat sie ja ge¬
schlagen. Ach, ich Arme kann sie nicht schließen! Aber Balsam vermag ich
hinein zu thun. Verzeihe mein Zögern, Geliebter. Draußen rollt der Donner.
Rufe er dich ab? Bist dn noch bei mir? Hurtig, hurtig, Pater Vigilio, segnet
unsern Vnnd! Hier sind unsre Hände — sprechet uns zusammen! Lasset alle
überflüssigen Formeln! Hier sind unsre Hände! Unlösbar! Unlösbar!

Sie warf sich schluchzend an Giuseppes Brust.

Draußen rollte der Donner. Die Sonne hatte sich hinter schwarzen
Wetterwolken verborgen. Es war fast finster geworden, nur das bläuliche
Licht der zuckenden Blitze leuchtete ins Zimmer hinein. Rauschend ging ein
wolkcnbruchartiger Regen nieder.


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[0385] Um eine j)erke. Er hat, wie oft! meine Thränen fließen sehen. Er weiß, wie gut du bist. Ich habe vor ihm, vor meinem treuen Beichtvater, kein Geheimnis. Setzt Euch, Pater Vigilio, setzt Euch dort mit dem Blicke nach dem schönen Sonnenscheine draußen. Ich könnte, wenn Ihr nicht in der Nähe bliebet, die letzten Augen¬ blicke meines Geliebten doch noch mit ungestümem Jammer erfüllen — Sie stockte, denn während sie so durch Reden sich im Zaume zu halten suchte, hatte Giuseppe die Hand des Greises ergriffen, und jetzt suchte er diese alte zitternde Hand, wie einen Segensspruch von ihr heischend, auf die in einander fest verschlungenen beiden Hände zu drücken, ans die Hände Giuseppes und Floridas. Die Tochter Marcello Buonaeolsis erblaßte. Sie erriet Ginseppes Ge¬ danken i der Segen der Kirche sollte sie dem Geliebten verbinden, das Ziel ihres nud seines ganzen Wünschcns und Sehnens, es sollten im Angenblicke des Zusammenbruchs alle ihre und seine irdischen Hoffnungen erreicht werden. Giuseppe, stotterte sie, eingedenk ihres Vaters, verstehe ich dich recht? Er gab keine Antwort. Ehrwürdiger Vater, wandte sie sich flehenden Tones zu dem Pater, be¬ ratet uns! Darf ich die Kindcspflicht so unerhört verletzen? Wird mein Vater es überleben? Das Bündnis einer Vnonacolsi und eines Gonzaga! An dem Tage, wo ich dich, Geliebter, zum erstenmale sah, hatte kurz zuvor mein Vater mir das Geburtshaus der armen Ginlia Cappuletti mit bitterbösen Abmahnungen gezeigt. Es war, als ahnte er, was ihm bevorstund, und mir, die nie auch selbst nur deinen Schatten an der Wand gesehen hatte, mir schoß der Gedanke angstvoll dnrch den Sinn: wenn mein Herz einmal zu Worte komiut, wird mein Bater nicht Trauerkleider anlegen müssen wie der alte Cappnlctti? Sie Preßte, von ihren Gefühlen überwältigt, ihre Lippen auf die fest in der ihren ruhende Hand Ginseppes; aber dann, erschreckt von dem Gedanken, irgend ein Opfer zu schwer gefunden zu haben, um es ihm zu bringen, ver¬ wehrte sie dem Pater, welcher eben mit abratender Geberde das Wort nehmen wollte, es zu thun. Nein, nein, rief sie, antwortet nicht, gebt mir nicht Recht! Die Wunde, die dort todbringend aufgebrochen ist, mein Vater hat sie ja ge¬ schlagen. Ach, ich Arme kann sie nicht schließen! Aber Balsam vermag ich hinein zu thun. Verzeihe mein Zögern, Geliebter. Draußen rollt der Donner. Rufe er dich ab? Bist dn noch bei mir? Hurtig, hurtig, Pater Vigilio, segnet unsern Vnnd! Hier sind unsre Hände — sprechet uns zusammen! Lasset alle überflüssigen Formeln! Hier sind unsre Hände! Unlösbar! Unlösbar! Sie warf sich schluchzend an Giuseppes Brust. Draußen rollte der Donner. Die Sonne hatte sich hinter schwarzen Wetterwolken verborgen. Es war fast finster geworden, nur das bläuliche Licht der zuckenden Blitze leuchtete ins Zimmer hinein. Rauschend ging ein wolkcnbruchartiger Regen nieder. Gu'nzl'von III. 1885. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/385>, abgerufen am 22.11.2024.