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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine perle.

Giuseppes Atem wurde schwächer -- Florida bemerkte es. Und also wäre
mir's wirklich nicht vergönnt, dich meinen Gatten zu nennen! schluchzte sie.

Aus dem Hintergründe des Zimmers klang es tonlos: Hier ist der zweite
Zeuge.

Das schwarze, schlangenartige Lockengeringel der Neapvlitanerin wurde über
dem Walde von Blattpflanzen sichtbar, welchen Antonio Maria als angeblicher
Schloßgärtner dort zunächst des letzten Fensters im Laufe der Schmerzenswvchen
Giuseppes zusammengetragen hatte.

Langsam trat sie näher. Sie war in jenen Versteck entwichen, als der
Minimi-Mönch, wie er es täglich that, sich durch das fünfmalige langsame,
bei diesen Ordensbrüdern übliche Klopfen an der Thür des Krankenzimmers zu
seinem Erbauungsdienste gemeldet hatte. Da er sich dann, nachdem ihm der
hoffnungslose Zustand des Gefangnen augenfällig geworden war, ohne Aufent¬
halt wieder entfernt hatte, war sie leise auf ihren Posten am Bette zurückgekehrt,
beglückt, daß ihr das Schicksal vergönne, ihm den letzten Liebesdienst zu er¬
weisen. Aber von neuem hatte das Nahen eiliger Schritte sie in ihren Ver¬
steck zurttckgescheucht. Und seitdem war sie mit finstrer Stirn im Hintergrunde
des Zimmers, den starren Blick auf den Boden gerichtet, von allen Furien der
Eifersucht gemartert, mit wider Willen lauschendem Ohr Zeuge gewesen der be¬
wegten Szene, die sich um das Lager des Sterbende,? abspielte -- ein Auftritt,
bei dem in der leidenschaftlich erregten Phantasie der Tragödin sich Thatsäch¬
liches und einst von ihr selbst Gespieltes allmählich so unentwirrbar vermengten,
daß sie sich wie ihres Stichworts in der Kulisse harrend vorkam. War jener
Schmerzensschrei Floridas ihr Stichwort gewesen? Die Medusa in ihr hatte
nein! gerufen, nein und nochmals nein! seine Gattin wenigstens soll sie nicht
werden! Aber die Neapvlitanerin war nicht einzig Medusa, sie war mich Gia-
einta, deren Herz von großmütiger Wallungen erfüllt war, und so hatte sie
die Worte gesprochen: Hier ist der zweite Zeuge!

Jetzt stand sie gesenkten Blickes zu Häupten des Bettes, an der Seite, von
welcher sie herangekommen war. Auf der andern kniete noch immer Florida,
von der so plötzlich im Zimmer aufgetauchten Erscheinung erschreckt und doch
auch sich nicht Zeit zum Nachdenken gönnend; hinter der Knieenden stand, zur
Zellgenschaft nunmehr fügsam herangetreten, der Minimi-Mönch; neben der
Neapolitanerin Pater Vigilio.

Er hatte beim Vernehmen jener tonlosen Worte sich rasch bekreuzt, denn
sein alter Kopf war schon während der Dvnnerschlcige und der bläulich das
Zimmer erhellenden Blitze von der Erinnerung an arge Spnkerlebnisfe heim¬
gesucht worden. Aber seines Amtes zu warten, lag ihm denn doch vor allem
am Herzen, und so zog er ohne weiteres Zögern sein Brevier hervor und sagte
eine der Gebetformeln her, welche jedem Trauungsakt vorauszugehen Pflegen.

Er hatte die kürzeste gewühlt.


Um eine perle.

Giuseppes Atem wurde schwächer — Florida bemerkte es. Und also wäre
mir's wirklich nicht vergönnt, dich meinen Gatten zu nennen! schluchzte sie.

Aus dem Hintergründe des Zimmers klang es tonlos: Hier ist der zweite
Zeuge.

Das schwarze, schlangenartige Lockengeringel der Neapvlitanerin wurde über
dem Walde von Blattpflanzen sichtbar, welchen Antonio Maria als angeblicher
Schloßgärtner dort zunächst des letzten Fensters im Laufe der Schmerzenswvchen
Giuseppes zusammengetragen hatte.

Langsam trat sie näher. Sie war in jenen Versteck entwichen, als der
Minimi-Mönch, wie er es täglich that, sich durch das fünfmalige langsame,
bei diesen Ordensbrüdern übliche Klopfen an der Thür des Krankenzimmers zu
seinem Erbauungsdienste gemeldet hatte. Da er sich dann, nachdem ihm der
hoffnungslose Zustand des Gefangnen augenfällig geworden war, ohne Aufent¬
halt wieder entfernt hatte, war sie leise auf ihren Posten am Bette zurückgekehrt,
beglückt, daß ihr das Schicksal vergönne, ihm den letzten Liebesdienst zu er¬
weisen. Aber von neuem hatte das Nahen eiliger Schritte sie in ihren Ver¬
steck zurttckgescheucht. Und seitdem war sie mit finstrer Stirn im Hintergrunde
des Zimmers, den starren Blick auf den Boden gerichtet, von allen Furien der
Eifersucht gemartert, mit wider Willen lauschendem Ohr Zeuge gewesen der be¬
wegten Szene, die sich um das Lager des Sterbende,? abspielte — ein Auftritt,
bei dem in der leidenschaftlich erregten Phantasie der Tragödin sich Thatsäch¬
liches und einst von ihr selbst Gespieltes allmählich so unentwirrbar vermengten,
daß sie sich wie ihres Stichworts in der Kulisse harrend vorkam. War jener
Schmerzensschrei Floridas ihr Stichwort gewesen? Die Medusa in ihr hatte
nein! gerufen, nein und nochmals nein! seine Gattin wenigstens soll sie nicht
werden! Aber die Neapvlitanerin war nicht einzig Medusa, sie war mich Gia-
einta, deren Herz von großmütiger Wallungen erfüllt war, und so hatte sie
die Worte gesprochen: Hier ist der zweite Zeuge!

Jetzt stand sie gesenkten Blickes zu Häupten des Bettes, an der Seite, von
welcher sie herangekommen war. Auf der andern kniete noch immer Florida,
von der so plötzlich im Zimmer aufgetauchten Erscheinung erschreckt und doch
auch sich nicht Zeit zum Nachdenken gönnend; hinter der Knieenden stand, zur
Zellgenschaft nunmehr fügsam herangetreten, der Minimi-Mönch; neben der
Neapolitanerin Pater Vigilio.

Er hatte beim Vernehmen jener tonlosen Worte sich rasch bekreuzt, denn
sein alter Kopf war schon während der Dvnnerschlcige und der bläulich das
Zimmer erhellenden Blitze von der Erinnerung an arge Spnkerlebnisfe heim¬
gesucht worden. Aber seines Amtes zu warten, lag ihm denn doch vor allem
am Herzen, und so zog er ohne weiteres Zögern sein Brevier hervor und sagte
eine der Gebetformeln her, welche jedem Trauungsakt vorauszugehen Pflegen.

Er hatte die kürzeste gewühlt.


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[0387] Um eine perle. Giuseppes Atem wurde schwächer — Florida bemerkte es. Und also wäre mir's wirklich nicht vergönnt, dich meinen Gatten zu nennen! schluchzte sie. Aus dem Hintergründe des Zimmers klang es tonlos: Hier ist der zweite Zeuge. Das schwarze, schlangenartige Lockengeringel der Neapvlitanerin wurde über dem Walde von Blattpflanzen sichtbar, welchen Antonio Maria als angeblicher Schloßgärtner dort zunächst des letzten Fensters im Laufe der Schmerzenswvchen Giuseppes zusammengetragen hatte. Langsam trat sie näher. Sie war in jenen Versteck entwichen, als der Minimi-Mönch, wie er es täglich that, sich durch das fünfmalige langsame, bei diesen Ordensbrüdern übliche Klopfen an der Thür des Krankenzimmers zu seinem Erbauungsdienste gemeldet hatte. Da er sich dann, nachdem ihm der hoffnungslose Zustand des Gefangnen augenfällig geworden war, ohne Aufent¬ halt wieder entfernt hatte, war sie leise auf ihren Posten am Bette zurückgekehrt, beglückt, daß ihr das Schicksal vergönne, ihm den letzten Liebesdienst zu er¬ weisen. Aber von neuem hatte das Nahen eiliger Schritte sie in ihren Ver¬ steck zurttckgescheucht. Und seitdem war sie mit finstrer Stirn im Hintergrunde des Zimmers, den starren Blick auf den Boden gerichtet, von allen Furien der Eifersucht gemartert, mit wider Willen lauschendem Ohr Zeuge gewesen der be¬ wegten Szene, die sich um das Lager des Sterbende,? abspielte — ein Auftritt, bei dem in der leidenschaftlich erregten Phantasie der Tragödin sich Thatsäch¬ liches und einst von ihr selbst Gespieltes allmählich so unentwirrbar vermengten, daß sie sich wie ihres Stichworts in der Kulisse harrend vorkam. War jener Schmerzensschrei Floridas ihr Stichwort gewesen? Die Medusa in ihr hatte nein! gerufen, nein und nochmals nein! seine Gattin wenigstens soll sie nicht werden! Aber die Neapvlitanerin war nicht einzig Medusa, sie war mich Gia- einta, deren Herz von großmütiger Wallungen erfüllt war, und so hatte sie die Worte gesprochen: Hier ist der zweite Zeuge! Jetzt stand sie gesenkten Blickes zu Häupten des Bettes, an der Seite, von welcher sie herangekommen war. Auf der andern kniete noch immer Florida, von der so plötzlich im Zimmer aufgetauchten Erscheinung erschreckt und doch auch sich nicht Zeit zum Nachdenken gönnend; hinter der Knieenden stand, zur Zellgenschaft nunmehr fügsam herangetreten, der Minimi-Mönch; neben der Neapolitanerin Pater Vigilio. Er hatte beim Vernehmen jener tonlosen Worte sich rasch bekreuzt, denn sein alter Kopf war schon während der Dvnnerschlcige und der bläulich das Zimmer erhellenden Blitze von der Erinnerung an arge Spnkerlebnisfe heim¬ gesucht worden. Aber seines Amtes zu warten, lag ihm denn doch vor allem am Herzen, und so zog er ohne weiteres Zögern sein Brevier hervor und sagte eine der Gebetformeln her, welche jedem Trauungsakt vorauszugehen Pflegen. Er hatte die kürzeste gewühlt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/387>, abgerufen am 27.07.2024.