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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

glaubt. Der Franzose übt mit dem ersten Strich, den er macht, die Hand für
diesen Strich. Er will einen Gegenstand nicht nur wiedergeben, sondern auch mit
Leichtigkeit wiedergeben, er will nicht, dnß man seinen künstlerischen Arbeiten die
Mühe, die sie ihn gekostet, ansehe. Dieses Streben, ans der Technik eine Bravour
zu machen, begleitet ihn Schritt vor Schritt; und wenn es ihn auch häufig zum
Mnnieristen macht, so fördert es ihn doch andrerseits in der Ausweitung und Be¬
fruchtung seiner Phantasie: in der Ausweitung der Phantasie, denn sie hat nicht
mehr nötig, schwierigen Aufgaben auszuweichen; in der Produktivität, denn ihr
Bilderreichtum vergrößert sich.

Ganz den Kern der Sache trifft anch folgender Passus:

Die Ideen künstlerischer Eingebung müssen von der Art sein, daß sich die
Anschauung darein versenken kann. Wie die Natur, so sollte auch die Kunst die
würdigste Koutemplation hervorrufen können, sei nun ein Mndounenbild oder eine
niederländische Wirtshausszcne ihr Gegenstaud. Dann würde sie Ideen anregen,
aber nicht zumuten. Das letztere, das Zumuten ist eS, was uns in der neuern
Kunst so ungeschickt und Plump entgegentritt und uus nachgerade anwidern muß.

Nicht minder gewichtig erscheinen endlich die Ausführungen des Künstlers,
die er über Zeichnung, Mvdellirung und Farbe im Anschluß an die Leistungen
der Belgier vorträgt. Überall erweist er sich als ein gründlicher Sachkenner
und als ein in alle Geheimnisse der malerischen Technik Eingeweihter. Aber
darin irrt anch er, dnß er den Geist der Geschichte in jenen Gemälden gegen¬
wärtig glaubt, und ihnen ebensoviel Geschichte und ebensoviel Poesie zuschreibt
wie den Werken der Münchener. Ja während er mit scharfer Ironie das stili-
sirende Verfahren dieser bei ihren historischen Gemälden geißelt und über das
eeremoniense Wesen vieler derselben spottet, legt er auf die einzelnen Pvrträt-
fignrcn auf Gallaits Abdankung in einer Weise Gewicht, daß man glauben muß,
er halte das Verfahren jenes Malers für das einzig richtige Rezept, um eine
historische Darstellung genießbar zu machen.

Dem zustimmenden Urteile des Künstlers schloß sich in den Jahrbüchern
die philosophische Begründung des Ästhetikers an. Unmittelbar auf den Artikel
des Malers ließ Fr. Bischer seine "Gedanken bei Betrachtung der beiden bel¬
gischen Bilder" folgen. Seine Ausführungen gipfeln in folgendem Satze:

Diese belgischen Bilder sind____darum zu preisen, weil sie nicht ins Blane,
sondern in die geschichtliche Wirklichkeit greifen und dem trefflichen Worte folgen,
das Merck zu Goethe sprach: "Dein Streben, deine unablenkbare Richtung ist, dem
Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; die andern suchen das sogenannte Poe¬
tische, das Imaginative zu verwirklichen, und das giebt nichts wie dummes Zeug."

Bei aller Anerkennung also, die Bischer den sonstigen Vorzügen der Belgier
zollt, ist es vor allem die Wahl des Stoffes, die ihn für ihre Schöpfungen
begeisterte. Er verwirft Cornelius und seine religiösen Gemälde, die er "grob-
materialistisch" neunt, und trägt kein Bedenken, der ganzen Miinchener Kunst
"eine unwahre Idealität" zuzuschreiben. Umsomehr ziehen ihn die "national-


Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

glaubt. Der Franzose übt mit dem ersten Strich, den er macht, die Hand für
diesen Strich. Er will einen Gegenstand nicht nur wiedergeben, sondern auch mit
Leichtigkeit wiedergeben, er will nicht, dnß man seinen künstlerischen Arbeiten die
Mühe, die sie ihn gekostet, ansehe. Dieses Streben, ans der Technik eine Bravour
zu machen, begleitet ihn Schritt vor Schritt; und wenn es ihn auch häufig zum
Mnnieristen macht, so fördert es ihn doch andrerseits in der Ausweitung und Be¬
fruchtung seiner Phantasie: in der Ausweitung der Phantasie, denn sie hat nicht
mehr nötig, schwierigen Aufgaben auszuweichen; in der Produktivität, denn ihr
Bilderreichtum vergrößert sich.

Ganz den Kern der Sache trifft anch folgender Passus:

Die Ideen künstlerischer Eingebung müssen von der Art sein, daß sich die
Anschauung darein versenken kann. Wie die Natur, so sollte auch die Kunst die
würdigste Koutemplation hervorrufen können, sei nun ein Mndounenbild oder eine
niederländische Wirtshausszcne ihr Gegenstaud. Dann würde sie Ideen anregen,
aber nicht zumuten. Das letztere, das Zumuten ist eS, was uns in der neuern
Kunst so ungeschickt und Plump entgegentritt und uus nachgerade anwidern muß.

Nicht minder gewichtig erscheinen endlich die Ausführungen des Künstlers,
die er über Zeichnung, Mvdellirung und Farbe im Anschluß an die Leistungen
der Belgier vorträgt. Überall erweist er sich als ein gründlicher Sachkenner
und als ein in alle Geheimnisse der malerischen Technik Eingeweihter. Aber
darin irrt anch er, dnß er den Geist der Geschichte in jenen Gemälden gegen¬
wärtig glaubt, und ihnen ebensoviel Geschichte und ebensoviel Poesie zuschreibt
wie den Werken der Münchener. Ja während er mit scharfer Ironie das stili-
sirende Verfahren dieser bei ihren historischen Gemälden geißelt und über das
eeremoniense Wesen vieler derselben spottet, legt er auf die einzelnen Pvrträt-
fignrcn auf Gallaits Abdankung in einer Weise Gewicht, daß man glauben muß,
er halte das Verfahren jenes Malers für das einzig richtige Rezept, um eine
historische Darstellung genießbar zu machen.

Dem zustimmenden Urteile des Künstlers schloß sich in den Jahrbüchern
die philosophische Begründung des Ästhetikers an. Unmittelbar auf den Artikel
des Malers ließ Fr. Bischer seine „Gedanken bei Betrachtung der beiden bel¬
gischen Bilder" folgen. Seine Ausführungen gipfeln in folgendem Satze:

Diese belgischen Bilder sind____darum zu preisen, weil sie nicht ins Blane,
sondern in die geschichtliche Wirklichkeit greifen und dem trefflichen Worte folgen,
das Merck zu Goethe sprach: „Dein Streben, deine unablenkbare Richtung ist, dem
Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; die andern suchen das sogenannte Poe¬
tische, das Imaginative zu verwirklichen, und das giebt nichts wie dummes Zeug."

Bei aller Anerkennung also, die Bischer den sonstigen Vorzügen der Belgier
zollt, ist es vor allem die Wahl des Stoffes, die ihn für ihre Schöpfungen
begeisterte. Er verwirft Cornelius und seine religiösen Gemälde, die er „grob-
materialistisch" neunt, und trägt kein Bedenken, der ganzen Miinchener Kunst
„eine unwahre Idealität" zuzuschreiben. Umsomehr ziehen ihn die „national-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/357>, abgerufen am 25.11.2024.