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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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sich solche, oder wenigstens einer, wie wir uns vorsichtiger ausdrücke" wollen,
da wir nicht wissen, ob derselbe unter seinen Kollegen vereinzelt dastand. Die
"Jahrbücher der Gegenwart," welche in jenen Jahren von Schwegler in Tü¬
bingen herausgegeben wurden und mit seltner Energie und ungewöhnlichem
Geschick den Kampf für das Recht der Gegenwart aufnahmen, enthalten im
Januarhefte des Jahres 1844 einen leider nicht unterzeichneten Aufsatz, der
sich mit den belgischen Bildern beschäftigt. Wie redaktionell bemerkt wird, rührt
derselbe von einem Münchener Künstler her. Es wäre zu wünschen, daß die¬
jenigen Männer, die damals Mitarbeiter an den Tübinger Jahrbüchern waren
nud den Namen des Verfassers noch wissen, den Schleier lüften möchten, da
dieser Artikel ein Aktenstück von höchstem Interesse ist. Denn er enthält einen
Angriff gegen die Münchener Schule von einer Schärfe, wie es unsers Wissens
bis dahin noch nie gegen dieselbe gerichtet worden war. In fortlaufender
Parallele wägt der Verfasser dieser Polemik die Leistungen der Münchener und
der Belgier gegeneinander ab und deckt mit großem Scharfsinn und Freimut
die Mängel und Gebrechen der ersteren ans, ohne ihre Verdienste zu leugnen.
Was er Negatives vorbringt, wird in den meisten Punkten auch heute noch als
richtig gelten können, dagegen erscheinen seine Positionen nicht immer unan¬
fechtbar. So vor allem das Kaulbach gespendete Lob, der als "der bedeu¬
tendste Ölmaler der deutschen Historienmalerei" bezeichnet wird. Diesen Satz
dürfte kein Künstler unsrer Tage mehr unterschreiben. Daß Cornelius nicht
malen konnte, steht fest; aber er wollte auch garnicht in dem Sinne, wie wir
das Wort fassen, ein Maler sein, und ebensowenig erhoben seine Jünger den
Anspruch, daß man gerade die malerische Seite in der Beurteilung ihrer Werke
hervorkehren solle. Kaulbach aber glaubte sich ans die Malerei zu verstehen
und dünkte sich auch hierin besser als die übrigen Corneliusschülcr.

Ebenso wird man von der Anerkennung, welche der unbekannte Verfasser
den Schöpfungen Gallaits und de Biofves zollt, heute einige Abzüge machen
müssen. Daß er aber ein Künstler ist, der sich auf das Wesen der Kunst ver¬
steht, verrät er schon in den ersten Zeilen. "Ein glücklicher Griff in die Ge¬
schichte!" sagt er. "Nicht wegen der Wahl des Gegenstandes, sondern wegen
seiner Ausfassung und Behandlung." Er lehnt also den Streit über den Stoff
der beiden Bilder von vornherein ab, ihn interessirt nur das Wie, das bei jeder
Beurteilung eines Kunstwerkes zuerst ins Auge gefaßt werden sollte. Er be¬
trachtet daher die beiden Gemälde, vornehmlich aber die Abdankung, die er im
Gegensatz zu den Berlinern weit über den Kompromiß stellt, unter den Gesichts¬
punkten der Konzeption, der Komposition, der Zeichnung und des Kolorits, und
bietet in jeder Beziehung eine Fülle der treffendsten Bemerkungen. Wie weiß
er z. B. die Vorzüge der französischen Kunstübung zu charakterisiren:

Diese Technik ^der Belgiers diese sichere und behagliche Fertigkeit ist etwas
weit wichtigeres in Beziehung auf die Produktionsfähigkeit, als man gemeinhin


sich solche, oder wenigstens einer, wie wir uns vorsichtiger ausdrücke» wollen,
da wir nicht wissen, ob derselbe unter seinen Kollegen vereinzelt dastand. Die
„Jahrbücher der Gegenwart," welche in jenen Jahren von Schwegler in Tü¬
bingen herausgegeben wurden und mit seltner Energie und ungewöhnlichem
Geschick den Kampf für das Recht der Gegenwart aufnahmen, enthalten im
Januarhefte des Jahres 1844 einen leider nicht unterzeichneten Aufsatz, der
sich mit den belgischen Bildern beschäftigt. Wie redaktionell bemerkt wird, rührt
derselbe von einem Münchener Künstler her. Es wäre zu wünschen, daß die¬
jenigen Männer, die damals Mitarbeiter an den Tübinger Jahrbüchern waren
nud den Namen des Verfassers noch wissen, den Schleier lüften möchten, da
dieser Artikel ein Aktenstück von höchstem Interesse ist. Denn er enthält einen
Angriff gegen die Münchener Schule von einer Schärfe, wie es unsers Wissens
bis dahin noch nie gegen dieselbe gerichtet worden war. In fortlaufender
Parallele wägt der Verfasser dieser Polemik die Leistungen der Münchener und
der Belgier gegeneinander ab und deckt mit großem Scharfsinn und Freimut
die Mängel und Gebrechen der ersteren ans, ohne ihre Verdienste zu leugnen.
Was er Negatives vorbringt, wird in den meisten Punkten auch heute noch als
richtig gelten können, dagegen erscheinen seine Positionen nicht immer unan¬
fechtbar. So vor allem das Kaulbach gespendete Lob, der als „der bedeu¬
tendste Ölmaler der deutschen Historienmalerei" bezeichnet wird. Diesen Satz
dürfte kein Künstler unsrer Tage mehr unterschreiben. Daß Cornelius nicht
malen konnte, steht fest; aber er wollte auch garnicht in dem Sinne, wie wir
das Wort fassen, ein Maler sein, und ebensowenig erhoben seine Jünger den
Anspruch, daß man gerade die malerische Seite in der Beurteilung ihrer Werke
hervorkehren solle. Kaulbach aber glaubte sich ans die Malerei zu verstehen
und dünkte sich auch hierin besser als die übrigen Corneliusschülcr.

Ebenso wird man von der Anerkennung, welche der unbekannte Verfasser
den Schöpfungen Gallaits und de Biofves zollt, heute einige Abzüge machen
müssen. Daß er aber ein Künstler ist, der sich auf das Wesen der Kunst ver¬
steht, verrät er schon in den ersten Zeilen. „Ein glücklicher Griff in die Ge¬
schichte!" sagt er. „Nicht wegen der Wahl des Gegenstandes, sondern wegen
seiner Ausfassung und Behandlung." Er lehnt also den Streit über den Stoff
der beiden Bilder von vornherein ab, ihn interessirt nur das Wie, das bei jeder
Beurteilung eines Kunstwerkes zuerst ins Auge gefaßt werden sollte. Er be¬
trachtet daher die beiden Gemälde, vornehmlich aber die Abdankung, die er im
Gegensatz zu den Berlinern weit über den Kompromiß stellt, unter den Gesichts¬
punkten der Konzeption, der Komposition, der Zeichnung und des Kolorits, und
bietet in jeder Beziehung eine Fülle der treffendsten Bemerkungen. Wie weiß
er z. B. die Vorzüge der französischen Kunstübung zu charakterisiren:

Diese Technik ^der Belgiers diese sichere und behagliche Fertigkeit ist etwas
weit wichtigeres in Beziehung auf die Produktionsfähigkeit, als man gemeinhin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/356>, abgerufen am 27.07.2024.