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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

historischen Gegenstände" der belgischen Kunst an, die er als die richtigen Stoffe
den falschen gegenüberstellt. Daß dies keine künstlerischen Erwägungen sind und
ein Ästhetiker sich am wenigsten durch die Wahl des Gegenstandes imponiren
lassen sollte, dürfte klar sein.

Bischer und viele seiner Zeitgenossen wurden durch die politischen Verhält¬
nisse zu solchen Ansichten bestimmt; der Umstand, daß der Aufschwung der bel¬
gischen Malerei in engstem Zusammenhange mit den belgischen Freiheitskämpfen
stand, bewog sie mit solcher Energie für sie einzutreten. In jüngster Zeit hat
Bischer selbst auf diesen Zusammenhang hingewiesen, indem er gelegentlich einmal
bemerkte: "Wir glaubten damals wie vor einer politischen Revolution, worin
wir Recht hatten, so vor der Geburt einer neuen Kunst zu stehen, die uns als
notwendige Frucht derselben erschien, was freilich ein schöner Traum war."
Von solchen politischen Erwägungen ausgehend, fuhr er und ein befreundeter
Mitarbeiter an den Tübinger Jahrbüchern fort, heftige Angriffe gegen die
Münchener Schule zu richten. Der Streit über die belgischen Bilder vertiefte
sich für beide Männer zu einer Untersuchung über die Berechtigung der Münchener
Kunst überhaupt, die allerdings ungünstig genug sür diese auffiel. Darnach
war dieselbe ein durchaus künstliches Geschöpf, das Kind einer fürstlichen Laune,
das auf dem sterilen Boden der bairischen Hauptstadt, unter einer armen, un¬
gebildeten und kirchlich bornirten Bevölkerung unmöglich gedeihen könne. Daß
solche Angriffe weit über das richtige Maß hinausgingen, ist wenigstens von
demjenigen, der sich damals am meisten ins Zeug legte, längst zugestanden und,
was mehr sagen will, es ist anch durch die Thatsachen widerlegt worden. Denn
die Saat, die der erste Ludwig einst in den keineswegs unvorbereiteter Boden
seiner Hauptstadt gestreut hat, ist nachmals zu fröhlichem Gedeihen gelangt, und
wenn irgendwo in Deutschland, so hat heute in München die Kunst in weitesten
Schichten der Bevölkerung Wurzel gefaßt und ist unzertrennlich mit den Inter¬
essen derselben verwachsen. Das kann nur leugnen, wer München nicht kennt.

Wie aber, so fragen wir am Schlüsse dieser Darlegung, wie verhielten sich
diejenigen Münchener Künstler, denen der durch die belgischen Bilder herauf¬
beschworene Sturm in erster Linie galt, die Genossen und Jünger von Cornelius?
Allgemein wurde ihnen eine seltene Verwirrung der Begriffe und Widerspruch
über Widerspruch vorgeworfen.

Wir zweifeln garnicht, daß dem in vielen Fällen so gewesen ist. Dennoch
irrt man sehr, wenn man glaubt, daß nicht wenigstens die Führer und Leiter der
Kunst in München eine feste und entschiedne Haltung den neuen Erscheinungen
gegenüber eingenommen hätten- Ihr eignes Interesse mußte sie dazu führen, und
obendrein sahen sie sich genötigt, gewissermaßen offiziell Stellung zu nehmen.

Die belgische Regierung hatte nämlich in richtiger Erwägung des ma߬
gebenden Einflusses, den München damals noch in der deutschen Kunst ausübte,
das Ersuchen an die bairische Regierung gerichtet, ihr die Urteile der an der


Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

historischen Gegenstände" der belgischen Kunst an, die er als die richtigen Stoffe
den falschen gegenüberstellt. Daß dies keine künstlerischen Erwägungen sind und
ein Ästhetiker sich am wenigsten durch die Wahl des Gegenstandes imponiren
lassen sollte, dürfte klar sein.

Bischer und viele seiner Zeitgenossen wurden durch die politischen Verhält¬
nisse zu solchen Ansichten bestimmt; der Umstand, daß der Aufschwung der bel¬
gischen Malerei in engstem Zusammenhange mit den belgischen Freiheitskämpfen
stand, bewog sie mit solcher Energie für sie einzutreten. In jüngster Zeit hat
Bischer selbst auf diesen Zusammenhang hingewiesen, indem er gelegentlich einmal
bemerkte: „Wir glaubten damals wie vor einer politischen Revolution, worin
wir Recht hatten, so vor der Geburt einer neuen Kunst zu stehen, die uns als
notwendige Frucht derselben erschien, was freilich ein schöner Traum war."
Von solchen politischen Erwägungen ausgehend, fuhr er und ein befreundeter
Mitarbeiter an den Tübinger Jahrbüchern fort, heftige Angriffe gegen die
Münchener Schule zu richten. Der Streit über die belgischen Bilder vertiefte
sich für beide Männer zu einer Untersuchung über die Berechtigung der Münchener
Kunst überhaupt, die allerdings ungünstig genug sür diese auffiel. Darnach
war dieselbe ein durchaus künstliches Geschöpf, das Kind einer fürstlichen Laune,
das auf dem sterilen Boden der bairischen Hauptstadt, unter einer armen, un¬
gebildeten und kirchlich bornirten Bevölkerung unmöglich gedeihen könne. Daß
solche Angriffe weit über das richtige Maß hinausgingen, ist wenigstens von
demjenigen, der sich damals am meisten ins Zeug legte, längst zugestanden und,
was mehr sagen will, es ist anch durch die Thatsachen widerlegt worden. Denn
die Saat, die der erste Ludwig einst in den keineswegs unvorbereiteter Boden
seiner Hauptstadt gestreut hat, ist nachmals zu fröhlichem Gedeihen gelangt, und
wenn irgendwo in Deutschland, so hat heute in München die Kunst in weitesten
Schichten der Bevölkerung Wurzel gefaßt und ist unzertrennlich mit den Inter¬
essen derselben verwachsen. Das kann nur leugnen, wer München nicht kennt.

Wie aber, so fragen wir am Schlüsse dieser Darlegung, wie verhielten sich
diejenigen Münchener Künstler, denen der durch die belgischen Bilder herauf¬
beschworene Sturm in erster Linie galt, die Genossen und Jünger von Cornelius?
Allgemein wurde ihnen eine seltene Verwirrung der Begriffe und Widerspruch
über Widerspruch vorgeworfen.

Wir zweifeln garnicht, daß dem in vielen Fällen so gewesen ist. Dennoch
irrt man sehr, wenn man glaubt, daß nicht wenigstens die Führer und Leiter der
Kunst in München eine feste und entschiedne Haltung den neuen Erscheinungen
gegenüber eingenommen hätten- Ihr eignes Interesse mußte sie dazu führen, und
obendrein sahen sie sich genötigt, gewissermaßen offiziell Stellung zu nehmen.

Die belgische Regierung hatte nämlich in richtiger Erwägung des ma߬
gebenden Einflusses, den München damals noch in der deutschen Kunst ausübte,
das Ersuchen an die bairische Regierung gerichtet, ihr die Urteile der an der


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[0358] Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst. historischen Gegenstände" der belgischen Kunst an, die er als die richtigen Stoffe den falschen gegenüberstellt. Daß dies keine künstlerischen Erwägungen sind und ein Ästhetiker sich am wenigsten durch die Wahl des Gegenstandes imponiren lassen sollte, dürfte klar sein. Bischer und viele seiner Zeitgenossen wurden durch die politischen Verhält¬ nisse zu solchen Ansichten bestimmt; der Umstand, daß der Aufschwung der bel¬ gischen Malerei in engstem Zusammenhange mit den belgischen Freiheitskämpfen stand, bewog sie mit solcher Energie für sie einzutreten. In jüngster Zeit hat Bischer selbst auf diesen Zusammenhang hingewiesen, indem er gelegentlich einmal bemerkte: „Wir glaubten damals wie vor einer politischen Revolution, worin wir Recht hatten, so vor der Geburt einer neuen Kunst zu stehen, die uns als notwendige Frucht derselben erschien, was freilich ein schöner Traum war." Von solchen politischen Erwägungen ausgehend, fuhr er und ein befreundeter Mitarbeiter an den Tübinger Jahrbüchern fort, heftige Angriffe gegen die Münchener Schule zu richten. Der Streit über die belgischen Bilder vertiefte sich für beide Männer zu einer Untersuchung über die Berechtigung der Münchener Kunst überhaupt, die allerdings ungünstig genug sür diese auffiel. Darnach war dieselbe ein durchaus künstliches Geschöpf, das Kind einer fürstlichen Laune, das auf dem sterilen Boden der bairischen Hauptstadt, unter einer armen, un¬ gebildeten und kirchlich bornirten Bevölkerung unmöglich gedeihen könne. Daß solche Angriffe weit über das richtige Maß hinausgingen, ist wenigstens von demjenigen, der sich damals am meisten ins Zeug legte, längst zugestanden und, was mehr sagen will, es ist anch durch die Thatsachen widerlegt worden. Denn die Saat, die der erste Ludwig einst in den keineswegs unvorbereiteter Boden seiner Hauptstadt gestreut hat, ist nachmals zu fröhlichem Gedeihen gelangt, und wenn irgendwo in Deutschland, so hat heute in München die Kunst in weitesten Schichten der Bevölkerung Wurzel gefaßt und ist unzertrennlich mit den Inter¬ essen derselben verwachsen. Das kann nur leugnen, wer München nicht kennt. Wie aber, so fragen wir am Schlüsse dieser Darlegung, wie verhielten sich diejenigen Münchener Künstler, denen der durch die belgischen Bilder herauf¬ beschworene Sturm in erster Linie galt, die Genossen und Jünger von Cornelius? Allgemein wurde ihnen eine seltene Verwirrung der Begriffe und Widerspruch über Widerspruch vorgeworfen. Wir zweifeln garnicht, daß dem in vielen Fällen so gewesen ist. Dennoch irrt man sehr, wenn man glaubt, daß nicht wenigstens die Führer und Leiter der Kunst in München eine feste und entschiedne Haltung den neuen Erscheinungen gegenüber eingenommen hätten- Ihr eignes Interesse mußte sie dazu führen, und obendrein sahen sie sich genötigt, gewissermaßen offiziell Stellung zu nehmen. Die belgische Regierung hatte nämlich in richtiger Erwägung des ma߬ gebenden Einflusses, den München damals noch in der deutschen Kunst ausübte, das Ersuchen an die bairische Regierung gerichtet, ihr die Urteile der an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/358>, abgerufen am 28.07.2024.