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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Lichter.

Verschwenderisch nach allen Seiten hin firent -- alles dies kann nicht völlig
die mancherlei störenden, wunderlichen, grillenhafter, befremdlichen Elemente, die
der Romantiker seinem unsterblichen Werke einverleibt hat, vergessen machen.
Vei Greif ist der Konflikt nicht ins Tragische gespielt, die Handlung wickelt sich
ohne frappircnde Sprünge und seltsam pikante Belenchtimgseffekte ab. Ist so
die Wirkung des "Prinzen Eugen" eine bescheidnere, so ist sie dafür auch sicherer
und harmonischer als die des "Prinzen von Homburg." Bewundert? wir bei
Kleist die mühelose, unbefangne, nur leider vou Krankheitssymptomen zuweilen
entstellte Grazie des Genies, so erquickt uns an Greif die kerngesunde, sicher¬
wirkende, Licht und Schatten klug verteilende, von einem hervorragenden poe¬
tischen Vermögen genährte, völlig reife Kunst, welche sich zur bloßen Routine
verhält, wie die Kunst überhaupt zum Handwerk, und tiefer und schöner Wir¬
kungen fähig ist, die auch der raffinirtesten Mache ewig versagt sind. In der
That, eine köstlichere Szene als das von feinstem Humor und tiefster Innig¬
keit durchwehte, im höchsten Sinne dramatische Gespräch im vierten Akte, in
welchem der gutherzige Kaiser dem trotzenden Helden so zart zu Gemüte führt,
daß er ihm, dem Kaiser, denn doch eine Genugthuung schuldig sei, hat unsers Tr¬
achtens das deutsche Drama der letzten vierzig Jahre kaum auszuweisen. Und
wie feinsinnig und packend zugleich ist die Weise, wie der Dichter das Eugenius-
lied zu einem dramatischen Effekt zu verwerten weiß, der namentlich vou der
Bühne her ein überwältigender sein muß.

Durchaus vollendet ist, worauf wir zum Schluß noch hinweisen wollen,
die Charakterisirung sämtlicher auftretenden Personen; auch nicht die kleinste
Rolle entbehrt des individuellen Reizes. Alle überragt natürlich der hochbetagte
Held mit dem jugendlichen Herzen, der dreifache Sieger über Türken, pedantische
Doktrin nud eignen Stolz. Wie heiter ist sein Scherz, wie beißend sein Spott!
wie überzeugend zur Anschauung gebracht ist sein alleil überlegener Geist! wie
rührend sein stiller Schmerz beim Tode des keltern Neffen und wie erhebend
seine Selbstüberwindung nach so glänzender That! Ein reiches, inniges Gemüts¬
leben hat der Dichter in dieser herrlichen Figur entwickelt; es ist nicht nur der
tapferste Held und größte Staatsmann seiner Zeit, den wir bewundern, es ist
vor allem der gute, reine Mensch, den wir lieben müsse". In wirksamen
Kontrast zu ihm stehen die alten pedantischen Generale Schlick und Starhemberg,
und mit den lebhaftesten Farben gemalt bewegen sich neben ihm der grillige
Heister, der boshafte Gottsch, der ritterliche Graf Hamilton. die reizende
Stephanie -- eine der liebenswürdigsten Mädchengestalten, die dem Dichter
gelungen sind --, der brave Sergeant Eschenaner, und wie sie alle heißen.
Vor allem aber ist der gute, weichherzige, milde und verständige Kaiser Karl
der Sechste mit wundervoller Meisterschaft gezeichnet, und sein Verhältnis zu
dem von ihm nicht mir dankbar verehrten, sondern auch persönlich geliebten
Prinzen erinnert -- bei aller Verschiedenheit -- doch in rührender Weise an


Martin Greif als dramatischer Lichter.

Verschwenderisch nach allen Seiten hin firent — alles dies kann nicht völlig
die mancherlei störenden, wunderlichen, grillenhafter, befremdlichen Elemente, die
der Romantiker seinem unsterblichen Werke einverleibt hat, vergessen machen.
Vei Greif ist der Konflikt nicht ins Tragische gespielt, die Handlung wickelt sich
ohne frappircnde Sprünge und seltsam pikante Belenchtimgseffekte ab. Ist so
die Wirkung des „Prinzen Eugen" eine bescheidnere, so ist sie dafür auch sicherer
und harmonischer als die des „Prinzen von Homburg." Bewundert? wir bei
Kleist die mühelose, unbefangne, nur leider vou Krankheitssymptomen zuweilen
entstellte Grazie des Genies, so erquickt uns an Greif die kerngesunde, sicher¬
wirkende, Licht und Schatten klug verteilende, von einem hervorragenden poe¬
tischen Vermögen genährte, völlig reife Kunst, welche sich zur bloßen Routine
verhält, wie die Kunst überhaupt zum Handwerk, und tiefer und schöner Wir¬
kungen fähig ist, die auch der raffinirtesten Mache ewig versagt sind. In der
That, eine köstlichere Szene als das von feinstem Humor und tiefster Innig¬
keit durchwehte, im höchsten Sinne dramatische Gespräch im vierten Akte, in
welchem der gutherzige Kaiser dem trotzenden Helden so zart zu Gemüte führt,
daß er ihm, dem Kaiser, denn doch eine Genugthuung schuldig sei, hat unsers Tr¬
achtens das deutsche Drama der letzten vierzig Jahre kaum auszuweisen. Und
wie feinsinnig und packend zugleich ist die Weise, wie der Dichter das Eugenius-
lied zu einem dramatischen Effekt zu verwerten weiß, der namentlich vou der
Bühne her ein überwältigender sein muß.

Durchaus vollendet ist, worauf wir zum Schluß noch hinweisen wollen,
die Charakterisirung sämtlicher auftretenden Personen; auch nicht die kleinste
Rolle entbehrt des individuellen Reizes. Alle überragt natürlich der hochbetagte
Held mit dem jugendlichen Herzen, der dreifache Sieger über Türken, pedantische
Doktrin nud eignen Stolz. Wie heiter ist sein Scherz, wie beißend sein Spott!
wie überzeugend zur Anschauung gebracht ist sein alleil überlegener Geist! wie
rührend sein stiller Schmerz beim Tode des keltern Neffen und wie erhebend
seine Selbstüberwindung nach so glänzender That! Ein reiches, inniges Gemüts¬
leben hat der Dichter in dieser herrlichen Figur entwickelt; es ist nicht nur der
tapferste Held und größte Staatsmann seiner Zeit, den wir bewundern, es ist
vor allem der gute, reine Mensch, den wir lieben müsse». In wirksamen
Kontrast zu ihm stehen die alten pedantischen Generale Schlick und Starhemberg,
und mit den lebhaftesten Farben gemalt bewegen sich neben ihm der grillige
Heister, der boshafte Gottsch, der ritterliche Graf Hamilton. die reizende
Stephanie — eine der liebenswürdigsten Mädchengestalten, die dem Dichter
gelungen sind —, der brave Sergeant Eschenaner, und wie sie alle heißen.
Vor allem aber ist der gute, weichherzige, milde und verständige Kaiser Karl
der Sechste mit wundervoller Meisterschaft gezeichnet, und sein Verhältnis zu
dem von ihm nicht mir dankbar verehrten, sondern auch persönlich geliebten
Prinzen erinnert — bei aller Verschiedenheit — doch in rührender Weise an


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[0327] Martin Greif als dramatischer Lichter. Verschwenderisch nach allen Seiten hin firent — alles dies kann nicht völlig die mancherlei störenden, wunderlichen, grillenhafter, befremdlichen Elemente, die der Romantiker seinem unsterblichen Werke einverleibt hat, vergessen machen. Vei Greif ist der Konflikt nicht ins Tragische gespielt, die Handlung wickelt sich ohne frappircnde Sprünge und seltsam pikante Belenchtimgseffekte ab. Ist so die Wirkung des „Prinzen Eugen" eine bescheidnere, so ist sie dafür auch sicherer und harmonischer als die des „Prinzen von Homburg." Bewundert? wir bei Kleist die mühelose, unbefangne, nur leider vou Krankheitssymptomen zuweilen entstellte Grazie des Genies, so erquickt uns an Greif die kerngesunde, sicher¬ wirkende, Licht und Schatten klug verteilende, von einem hervorragenden poe¬ tischen Vermögen genährte, völlig reife Kunst, welche sich zur bloßen Routine verhält, wie die Kunst überhaupt zum Handwerk, und tiefer und schöner Wir¬ kungen fähig ist, die auch der raffinirtesten Mache ewig versagt sind. In der That, eine köstlichere Szene als das von feinstem Humor und tiefster Innig¬ keit durchwehte, im höchsten Sinne dramatische Gespräch im vierten Akte, in welchem der gutherzige Kaiser dem trotzenden Helden so zart zu Gemüte führt, daß er ihm, dem Kaiser, denn doch eine Genugthuung schuldig sei, hat unsers Tr¬ achtens das deutsche Drama der letzten vierzig Jahre kaum auszuweisen. Und wie feinsinnig und packend zugleich ist die Weise, wie der Dichter das Eugenius- lied zu einem dramatischen Effekt zu verwerten weiß, der namentlich vou der Bühne her ein überwältigender sein muß. Durchaus vollendet ist, worauf wir zum Schluß noch hinweisen wollen, die Charakterisirung sämtlicher auftretenden Personen; auch nicht die kleinste Rolle entbehrt des individuellen Reizes. Alle überragt natürlich der hochbetagte Held mit dem jugendlichen Herzen, der dreifache Sieger über Türken, pedantische Doktrin nud eignen Stolz. Wie heiter ist sein Scherz, wie beißend sein Spott! wie überzeugend zur Anschauung gebracht ist sein alleil überlegener Geist! wie rührend sein stiller Schmerz beim Tode des keltern Neffen und wie erhebend seine Selbstüberwindung nach so glänzender That! Ein reiches, inniges Gemüts¬ leben hat der Dichter in dieser herrlichen Figur entwickelt; es ist nicht nur der tapferste Held und größte Staatsmann seiner Zeit, den wir bewundern, es ist vor allem der gute, reine Mensch, den wir lieben müsse». In wirksamen Kontrast zu ihm stehen die alten pedantischen Generale Schlick und Starhemberg, und mit den lebhaftesten Farben gemalt bewegen sich neben ihm der grillige Heister, der boshafte Gottsch, der ritterliche Graf Hamilton. die reizende Stephanie — eine der liebenswürdigsten Mädchengestalten, die dem Dichter gelungen sind —, der brave Sergeant Eschenaner, und wie sie alle heißen. Vor allem aber ist der gute, weichherzige, milde und verständige Kaiser Karl der Sechste mit wundervoller Meisterschaft gezeichnet, und sein Verhältnis zu dem von ihm nicht mir dankbar verehrten, sondern auch persönlich geliebten Prinzen erinnert — bei aller Verschiedenheit — doch in rührender Weise an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/327>, abgerufen am 25.11.2024.