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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Dichter.

eigentlich dem hohen Werte dieses "vaterländischen Schauspiels" nicht einmal ganz
entsprachen. Denn hätte man nicht meinen sollen, die übrigen größern Bühnen
Deutschlands würden sich beeilt haben, das Auffnhrnngsrecht dieses bewährten
Stückes auch ihrerseits zu erwerben? Das war keineswegs der Fall; nur die
Tschechenstadt Prag folgte Wiens und Münchens Beispiel; aber für das echt
deutsche Werk blieben die "deutschen" Theater geschlossen, die sich wetteifernd
um die unlautern Ausgeburten der französischen Modedramatiker reißen. Man
sage nicht, die Tendenz dieses "Prinz Eugen" sei nicht deutsch, sondern spezifisch
österreichisch. Das wäre unzutreffend. Das Drama ist von kerndeutscher Ge¬
sinnung erfüllt, und eine plump vorgedrängte Tendenz liegt dem feinfühligen
Dichter überhaupt ganz fern. Der "heißgeliebte deutsche Mutterboden" ist es,
für deu das Herz des Verfassers mit inniger Empfindung schlägt. Übrigens
war Österreich zur Zeit Eugens die führende Macht in Deutschland, und die
Aufgabe des Bühnenschriftstellers ist kaum, die Geschichte zu leugnen, sondern
vielmehr sie zu deuten und zur Beherzigung der Nachlebenden zu bringen. Aber
von diesem nationalen Interesse, welches das Schauspiel erregt, ganz abgesehen,
was für ein köstliches, frisches, liebenswürdiges, mit echt dichterischem Geist
konzipirtes und ausgeführtes Kunstwerk haben unsre deutschgesinnten und kunst¬
verständigen Bühnenleiter hier unbeachtet liegen lassen, während sie der mittel¬
mäßigen Alltagswaare Thür und Thor öffnen.

Greiff Schauspiel behandelt jenen glänzenden Sieg, den "der edle Ritter,"
den Intriguen der Wiener Camarilla zum Trotz, der Christenheit zum Heil, sich
selbst zu unvergänglichen Ruhme im Jahre 1717 bei Belgrad über die Türken
davontrug. Am Ende des ersten Aktes wird dem Prinzen, der im Begriff ist,
das Signal zur Schlacht geben zu lassen, die Ordre des von den Gegnern
Eugens bethörten Kaisers überbracht, des Inhalts, daß der Kampf vermieden
werden solle. Der Feldherr, von der Notwendigkeit der Schlacht durchdrungen,
wagt den kaiserlichen Willen zu umgehen, und wir sehen dann im zweiten Akte
den großen Sieg sich entscheiden. Es ist zugleich ein Sieg des Genies über
Pedantische Schulweisheit. Aber noch mehr als dies, einen noch höhern Triumph
hat der Dichter seinem Helden zugedacht. Der Kaiser, so sehr er den Prinzen
liebt und verehrt, kann doch einen leisen Vorwurf gegen den Feldherrn, der
seine Weisung offen verschmäht hat, nicht unterdrücken, der anfangs verletzte
Held erkennt und würdigt des Monarchen edeln, wohlwollenden Sinn und
demütigt sich vor ihm und vor sich selbst durch das freimütige Bekenntnis, daß
er trotz Sieg und Ruhm eine Verschuldung gegen den Geist der militärischen
Disziplin auf sich geladen habe, und nun kann der Kaiser, was er so sehnlich
wünscht, ausführen, er kann den getreuen General seiner wärmsten Dankbarkeit
versichern und vor allem Volke mit hohen Ehren überhäufen. Erst durch diesen
freierfundenen seelischen Konflikt hat Greif deu an sich nicht ausgiebigen Stoff
in eine höhere, allgemeine menschliche Sphäre gehoben und ihm eine wahrhaft


Martin Greif als dramatischer Dichter.

eigentlich dem hohen Werte dieses „vaterländischen Schauspiels" nicht einmal ganz
entsprachen. Denn hätte man nicht meinen sollen, die übrigen größern Bühnen
Deutschlands würden sich beeilt haben, das Auffnhrnngsrecht dieses bewährten
Stückes auch ihrerseits zu erwerben? Das war keineswegs der Fall; nur die
Tschechenstadt Prag folgte Wiens und Münchens Beispiel; aber für das echt
deutsche Werk blieben die „deutschen" Theater geschlossen, die sich wetteifernd
um die unlautern Ausgeburten der französischen Modedramatiker reißen. Man
sage nicht, die Tendenz dieses „Prinz Eugen" sei nicht deutsch, sondern spezifisch
österreichisch. Das wäre unzutreffend. Das Drama ist von kerndeutscher Ge¬
sinnung erfüllt, und eine plump vorgedrängte Tendenz liegt dem feinfühligen
Dichter überhaupt ganz fern. Der „heißgeliebte deutsche Mutterboden" ist es,
für deu das Herz des Verfassers mit inniger Empfindung schlägt. Übrigens
war Österreich zur Zeit Eugens die führende Macht in Deutschland, und die
Aufgabe des Bühnenschriftstellers ist kaum, die Geschichte zu leugnen, sondern
vielmehr sie zu deuten und zur Beherzigung der Nachlebenden zu bringen. Aber
von diesem nationalen Interesse, welches das Schauspiel erregt, ganz abgesehen,
was für ein köstliches, frisches, liebenswürdiges, mit echt dichterischem Geist
konzipirtes und ausgeführtes Kunstwerk haben unsre deutschgesinnten und kunst¬
verständigen Bühnenleiter hier unbeachtet liegen lassen, während sie der mittel¬
mäßigen Alltagswaare Thür und Thor öffnen.

Greiff Schauspiel behandelt jenen glänzenden Sieg, den „der edle Ritter,"
den Intriguen der Wiener Camarilla zum Trotz, der Christenheit zum Heil, sich
selbst zu unvergänglichen Ruhme im Jahre 1717 bei Belgrad über die Türken
davontrug. Am Ende des ersten Aktes wird dem Prinzen, der im Begriff ist,
das Signal zur Schlacht geben zu lassen, die Ordre des von den Gegnern
Eugens bethörten Kaisers überbracht, des Inhalts, daß der Kampf vermieden
werden solle. Der Feldherr, von der Notwendigkeit der Schlacht durchdrungen,
wagt den kaiserlichen Willen zu umgehen, und wir sehen dann im zweiten Akte
den großen Sieg sich entscheiden. Es ist zugleich ein Sieg des Genies über
Pedantische Schulweisheit. Aber noch mehr als dies, einen noch höhern Triumph
hat der Dichter seinem Helden zugedacht. Der Kaiser, so sehr er den Prinzen
liebt und verehrt, kann doch einen leisen Vorwurf gegen den Feldherrn, der
seine Weisung offen verschmäht hat, nicht unterdrücken, der anfangs verletzte
Held erkennt und würdigt des Monarchen edeln, wohlwollenden Sinn und
demütigt sich vor ihm und vor sich selbst durch das freimütige Bekenntnis, daß
er trotz Sieg und Ruhm eine Verschuldung gegen den Geist der militärischen
Disziplin auf sich geladen habe, und nun kann der Kaiser, was er so sehnlich
wünscht, ausführen, er kann den getreuen General seiner wärmsten Dankbarkeit
versichern und vor allem Volke mit hohen Ehren überhäufen. Erst durch diesen
freierfundenen seelischen Konflikt hat Greif deu an sich nicht ausgiebigen Stoff
in eine höhere, allgemeine menschliche Sphäre gehoben und ihm eine wahrhaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/325>, abgerufen am 28.07.2024.