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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Dichter.

einziges Menschengewühl, die Vaterliebe, an ihm zum zerschmetternden Werkzeuge
des strafenden Schicksals wird. Da ist ferner der lügenhafte, gewissenlose
Battista, ein echt italienischer Gauner, der seinen Gönner um einen Beutel
Goldes belügt und sogleich, da ihn glänzenderer Lohn lockt, auch jenen zu er¬
morden bereit ist. Etwas feiner offenbart sich das windig welsche Wesen in
dem frechen Steno, der schamlos und frivol ohne den geringsten Skrupel eines
hochverdienten Mannes Lebensglück zerstört. Noch heben wir die beiden schönen
Jünglingsgestalten Bertuccio und Giovanni, die treuherzigen, aufopfernden
Freunde, hervor. Die Szene, in der Falieri den Versuch machen will, letztern,
den Sohn seines erbittertsten Feindes, auf seine Seite zu ziehen, aber, durch die
harmlos reine Gesinnung desselben entwaffnet, davon absteht, ist ein Meisterstück.
Der Eindruck des Dramas ist überhaupt, trotz der oben gerügten Mängel, doch
ein tieferer und harmonischerer als der des "Nero," da das, was wir dort ver¬
mißten, hier reichlich vorhanden ist: eine menschlich interessierende Heldengestalt,
die den Mittelpunkt des Ganzen bildet; der Kampf und Sturz einer gro߬
angelegten Natur, des Dogen, "der im Leid auch fürstlich denkt," und gegen den
gerade dieses "fürstliche Denken" zur tötlichen Waffe in der Hand seiner Feinde
wird, ist ohne Zweifel ein tragisches Schauspiel, und so hat der Dichter mit
seinem "Marino Falieri" wenn mich kein Werk ersten Ranges, so doch ein
lvirkungsreiches und poetisch wertvolles Bühnenstück geliefert.

Auch diese Tragödie brachte Laube im Wiener Stadttheater zur ersten Auf¬
führung. Greiff viertes Drama dagegen -- das letzte, das durch den Druck
veröffentlicht ward -- erblickte zuerst im Hofburgtheater das Lampenlicht, und
zwar unter besonders ehrenvollen Verhältnissen, da es zur Feftvorftelluug bei
der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares erkoren wurde. Der Erfolg war ein
glänzender und nachhaltiger. Rührend ist die Freude des vom Schicksal augen¬
scheinlich uicht verwöhnten Dichters, welche sich in den Versen "Bei der Auf¬
nahme des "Prinz Eugen" in das Repertoire des Hofburgtheaters" ausspricht
(Gedichte, 3. Auflage, S. 421):


Wer viel in steinig Land gesetzt,
Den freut's in späten Tagen,
Daß ihm ein Stöcklein endlich jetzt
Hat Wurzel wollen schlagen;
Und daß es nach der Höhe sucht
Und zu der Blätter Breite,
lind dnß es bilde an der Frucht
Und tiinft'gar Keim bereite.

Dem Hofburgtheater folgte die Münchner Hofbühne noch in demselben Jahre,
und anch hier gestaltete sich die Aufführung für den Dichter zu einem schönen
Triumph, der ihm für manche schmerzliche Enttäuschung ein wohlthuender Ersatz
gewesen sein mag. Diese Erfolge waren aber auch so wohlverdient, daß sie


Martin Greif als dramatischer Dichter.

einziges Menschengewühl, die Vaterliebe, an ihm zum zerschmetternden Werkzeuge
des strafenden Schicksals wird. Da ist ferner der lügenhafte, gewissenlose
Battista, ein echt italienischer Gauner, der seinen Gönner um einen Beutel
Goldes belügt und sogleich, da ihn glänzenderer Lohn lockt, auch jenen zu er¬
morden bereit ist. Etwas feiner offenbart sich das windig welsche Wesen in
dem frechen Steno, der schamlos und frivol ohne den geringsten Skrupel eines
hochverdienten Mannes Lebensglück zerstört. Noch heben wir die beiden schönen
Jünglingsgestalten Bertuccio und Giovanni, die treuherzigen, aufopfernden
Freunde, hervor. Die Szene, in der Falieri den Versuch machen will, letztern,
den Sohn seines erbittertsten Feindes, auf seine Seite zu ziehen, aber, durch die
harmlos reine Gesinnung desselben entwaffnet, davon absteht, ist ein Meisterstück.
Der Eindruck des Dramas ist überhaupt, trotz der oben gerügten Mängel, doch
ein tieferer und harmonischerer als der des „Nero," da das, was wir dort ver¬
mißten, hier reichlich vorhanden ist: eine menschlich interessierende Heldengestalt,
die den Mittelpunkt des Ganzen bildet; der Kampf und Sturz einer gro߬
angelegten Natur, des Dogen, „der im Leid auch fürstlich denkt," und gegen den
gerade dieses „fürstliche Denken" zur tötlichen Waffe in der Hand seiner Feinde
wird, ist ohne Zweifel ein tragisches Schauspiel, und so hat der Dichter mit
seinem „Marino Falieri" wenn mich kein Werk ersten Ranges, so doch ein
lvirkungsreiches und poetisch wertvolles Bühnenstück geliefert.

Auch diese Tragödie brachte Laube im Wiener Stadttheater zur ersten Auf¬
führung. Greiff viertes Drama dagegen — das letzte, das durch den Druck
veröffentlicht ward — erblickte zuerst im Hofburgtheater das Lampenlicht, und
zwar unter besonders ehrenvollen Verhältnissen, da es zur Feftvorftelluug bei
der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares erkoren wurde. Der Erfolg war ein
glänzender und nachhaltiger. Rührend ist die Freude des vom Schicksal augen¬
scheinlich uicht verwöhnten Dichters, welche sich in den Versen „Bei der Auf¬
nahme des »Prinz Eugen« in das Repertoire des Hofburgtheaters" ausspricht
(Gedichte, 3. Auflage, S. 421):


Wer viel in steinig Land gesetzt,
Den freut's in späten Tagen,
Daß ihm ein Stöcklein endlich jetzt
Hat Wurzel wollen schlagen;
Und daß es nach der Höhe sucht
Und zu der Blätter Breite,
lind dnß es bilde an der Frucht
Und tiinft'gar Keim bereite.

Dem Hofburgtheater folgte die Münchner Hofbühne noch in demselben Jahre,
und anch hier gestaltete sich die Aufführung für den Dichter zu einem schönen
Triumph, der ihm für manche schmerzliche Enttäuschung ein wohlthuender Ersatz
gewesen sein mag. Diese Erfolge waren aber auch so wohlverdient, daß sie


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[0324] Martin Greif als dramatischer Dichter. einziges Menschengewühl, die Vaterliebe, an ihm zum zerschmetternden Werkzeuge des strafenden Schicksals wird. Da ist ferner der lügenhafte, gewissenlose Battista, ein echt italienischer Gauner, der seinen Gönner um einen Beutel Goldes belügt und sogleich, da ihn glänzenderer Lohn lockt, auch jenen zu er¬ morden bereit ist. Etwas feiner offenbart sich das windig welsche Wesen in dem frechen Steno, der schamlos und frivol ohne den geringsten Skrupel eines hochverdienten Mannes Lebensglück zerstört. Noch heben wir die beiden schönen Jünglingsgestalten Bertuccio und Giovanni, die treuherzigen, aufopfernden Freunde, hervor. Die Szene, in der Falieri den Versuch machen will, letztern, den Sohn seines erbittertsten Feindes, auf seine Seite zu ziehen, aber, durch die harmlos reine Gesinnung desselben entwaffnet, davon absteht, ist ein Meisterstück. Der Eindruck des Dramas ist überhaupt, trotz der oben gerügten Mängel, doch ein tieferer und harmonischerer als der des „Nero," da das, was wir dort ver¬ mißten, hier reichlich vorhanden ist: eine menschlich interessierende Heldengestalt, die den Mittelpunkt des Ganzen bildet; der Kampf und Sturz einer gro߬ angelegten Natur, des Dogen, „der im Leid auch fürstlich denkt," und gegen den gerade dieses „fürstliche Denken" zur tötlichen Waffe in der Hand seiner Feinde wird, ist ohne Zweifel ein tragisches Schauspiel, und so hat der Dichter mit seinem „Marino Falieri" wenn mich kein Werk ersten Ranges, so doch ein lvirkungsreiches und poetisch wertvolles Bühnenstück geliefert. Auch diese Tragödie brachte Laube im Wiener Stadttheater zur ersten Auf¬ führung. Greiff viertes Drama dagegen — das letzte, das durch den Druck veröffentlicht ward — erblickte zuerst im Hofburgtheater das Lampenlicht, und zwar unter besonders ehrenvollen Verhältnissen, da es zur Feftvorftelluug bei der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares erkoren wurde. Der Erfolg war ein glänzender und nachhaltiger. Rührend ist die Freude des vom Schicksal augen¬ scheinlich uicht verwöhnten Dichters, welche sich in den Versen „Bei der Auf¬ nahme des »Prinz Eugen« in das Repertoire des Hofburgtheaters" ausspricht (Gedichte, 3. Auflage, S. 421): Wer viel in steinig Land gesetzt, Den freut's in späten Tagen, Daß ihm ein Stöcklein endlich jetzt Hat Wurzel wollen schlagen; Und daß es nach der Höhe sucht Und zu der Blätter Breite, lind dnß es bilde an der Frucht Und tiinft'gar Keim bereite. Dem Hofburgtheater folgte die Münchner Hofbühne noch in demselben Jahre, und anch hier gestaltete sich die Aufführung für den Dichter zu einem schönen Triumph, der ihm für manche schmerzliche Enttäuschung ein wohlthuender Ersatz gewesen sein mag. Diese Erfolge waren aber auch so wohlverdient, daß sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/324>, abgerufen am 28.07.2024.