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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Dichter.

Als vor nunmehr zwölf Jahren das Trauerspiel "Cvrsiz Ulfcldt, der Neichs-
hofmeister von Dänemark" erschien, erregte es geringes Aufsehen, obwohl es
ihm nicht an berufenen Lobspcndern fehlte und Heinrich Laube es nach kurzer
Frist zur Aufführung brachte. Der Stoff erinnert ein wenig an Wallenstein,
und es ist interessant, zu beobachten, wie sehr die Art Greiff von der des
großen Klassikers abweicht. Nicht in volltönender, prachtvoller Rede strömen
seine Personen ihr Inneres aus; alles ist Handlung, alle überflüssigen, den
Schritt der Begebenheiten aufhaltenden Worte werden vermieden. Greif scheint
die Gebilde seiner Phantasie mit dem Auge des Hellsehers zu schauen; er sieht
und Hort Handlungen, Bewegungen, Worte und schreibt sie ans, scheinbar kalt,
unbarmherzig, wie Shakespeare und das Schicksal selbst. Seine eigne Person
tritt gänzlich zurück, wie sich's für den Dramatiker gebührt. Dies mag em¬
pfindsame Seelen abstoßen, verletzen; wem indes tiefere Einsicht in das Wesen
des Dramas vergönnt ist, der wird unserm Dichter schon deshalb ein besondres
Interesse entgegenbringen. Greif hat durch seine "Gedichte" glänzend bewiesen,
daß es ihm nicht all der vollen Melodie des Lyrikers fehlt, ja daß er ein Ly¬
riker von Gottes Gnaden ist; wenn nun in diesem ersten Drama schon das
lyrische Element völlig zurückweicht, so ist das nicht -- wie so oft -- eine
Folge mangelnder Fähigkeit, sondern bewußtes Verschmähen eines nach der Über¬
zeugung des Verfassers unerlaubten Effektmittels. Ist diese stolze, männliche
Zurückhaltung an einem jugendlichen Dichter in hohem Grade beachtenswert,
so imponirt dieses Erstlingswerk noch weit mehr durch die einfache Größe und
überzeugende Gewalt der Charakterisirungskunst. Diesem Corfiz ist kein un-
historischer Firniß aufgetragen, was doch umso leichter gewesen wäre, als seine
Geschichte ja keineswegs allgemein bekannt ist; wohlfeil erworbenes, schwächliches
Mitleid zu erregen, verschmäht der Verfasser. So hochfahrend, rücksichtslos,
nnpatriotisch, eigennützig, kurz mit all den großen und abstoßenden Eigenschaften,
wie die Geschichte den dänischen Reichshofmeister kennt, so zeigt ihn uns Greif;
an ein Abwälzen seiner Schuld auf das beliebte "Schicksal" denkt weder der
Dichter noch der Held selbst; alle Verantwortung trägt der Held auf seinen
Riesenschultern. Rund, greifbar wie eine Statue, steht er von der ersten Szene
an vor uns. Aber diese mächtige Gestalt vermag auch zu schreiten. Und wie
nun der gewaltige, seine ganze Umgebung hoch überragende Mann, den der
Anfang des Stückes in glänzendster Machtentfaltung zeigt, doch bei aller Größe
von den plumpen Fallstricken erbärmlich kleinlicher Menschen sich umgarnen läßt,
wie die unterwühlte Eiche wankt und fällt, wie endlich der Gestürzte in trost¬
loser Verlassenheit sich selbst den Dolch ins Herz stößt -- das alles ist mit
so zwingender Gewalt geschildert, daß wir uns wirklich in jene längst versun¬
kene Welt versetzt fühlen. Von dem heitern Anfang bis zu dem düstern, wunder¬
bar stimmungsvollen Schluß hält uns der Dichter wie mit magischen Ketten
fest. Er wollte uns kein Gcdankendrama, keine Jdeentragödie geben, er head-


Martin Greif als dramatischer Dichter.

Als vor nunmehr zwölf Jahren das Trauerspiel „Cvrsiz Ulfcldt, der Neichs-
hofmeister von Dänemark" erschien, erregte es geringes Aufsehen, obwohl es
ihm nicht an berufenen Lobspcndern fehlte und Heinrich Laube es nach kurzer
Frist zur Aufführung brachte. Der Stoff erinnert ein wenig an Wallenstein,
und es ist interessant, zu beobachten, wie sehr die Art Greiff von der des
großen Klassikers abweicht. Nicht in volltönender, prachtvoller Rede strömen
seine Personen ihr Inneres aus; alles ist Handlung, alle überflüssigen, den
Schritt der Begebenheiten aufhaltenden Worte werden vermieden. Greif scheint
die Gebilde seiner Phantasie mit dem Auge des Hellsehers zu schauen; er sieht
und Hort Handlungen, Bewegungen, Worte und schreibt sie ans, scheinbar kalt,
unbarmherzig, wie Shakespeare und das Schicksal selbst. Seine eigne Person
tritt gänzlich zurück, wie sich's für den Dramatiker gebührt. Dies mag em¬
pfindsame Seelen abstoßen, verletzen; wem indes tiefere Einsicht in das Wesen
des Dramas vergönnt ist, der wird unserm Dichter schon deshalb ein besondres
Interesse entgegenbringen. Greif hat durch seine „Gedichte" glänzend bewiesen,
daß es ihm nicht all der vollen Melodie des Lyrikers fehlt, ja daß er ein Ly¬
riker von Gottes Gnaden ist; wenn nun in diesem ersten Drama schon das
lyrische Element völlig zurückweicht, so ist das nicht — wie so oft — eine
Folge mangelnder Fähigkeit, sondern bewußtes Verschmähen eines nach der Über¬
zeugung des Verfassers unerlaubten Effektmittels. Ist diese stolze, männliche
Zurückhaltung an einem jugendlichen Dichter in hohem Grade beachtenswert,
so imponirt dieses Erstlingswerk noch weit mehr durch die einfache Größe und
überzeugende Gewalt der Charakterisirungskunst. Diesem Corfiz ist kein un-
historischer Firniß aufgetragen, was doch umso leichter gewesen wäre, als seine
Geschichte ja keineswegs allgemein bekannt ist; wohlfeil erworbenes, schwächliches
Mitleid zu erregen, verschmäht der Verfasser. So hochfahrend, rücksichtslos,
nnpatriotisch, eigennützig, kurz mit all den großen und abstoßenden Eigenschaften,
wie die Geschichte den dänischen Reichshofmeister kennt, so zeigt ihn uns Greif;
an ein Abwälzen seiner Schuld auf das beliebte „Schicksal" denkt weder der
Dichter noch der Held selbst; alle Verantwortung trägt der Held auf seinen
Riesenschultern. Rund, greifbar wie eine Statue, steht er von der ersten Szene
an vor uns. Aber diese mächtige Gestalt vermag auch zu schreiten. Und wie
nun der gewaltige, seine ganze Umgebung hoch überragende Mann, den der
Anfang des Stückes in glänzendster Machtentfaltung zeigt, doch bei aller Größe
von den plumpen Fallstricken erbärmlich kleinlicher Menschen sich umgarnen läßt,
wie die unterwühlte Eiche wankt und fällt, wie endlich der Gestürzte in trost¬
loser Verlassenheit sich selbst den Dolch ins Herz stößt — das alles ist mit
so zwingender Gewalt geschildert, daß wir uns wirklich in jene längst versun¬
kene Welt versetzt fühlen. Von dem heitern Anfang bis zu dem düstern, wunder¬
bar stimmungsvollen Schluß hält uns der Dichter wie mit magischen Ketten
fest. Er wollte uns kein Gcdankendrama, keine Jdeentragödie geben, er head-


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[0319] Martin Greif als dramatischer Dichter. Als vor nunmehr zwölf Jahren das Trauerspiel „Cvrsiz Ulfcldt, der Neichs- hofmeister von Dänemark" erschien, erregte es geringes Aufsehen, obwohl es ihm nicht an berufenen Lobspcndern fehlte und Heinrich Laube es nach kurzer Frist zur Aufführung brachte. Der Stoff erinnert ein wenig an Wallenstein, und es ist interessant, zu beobachten, wie sehr die Art Greiff von der des großen Klassikers abweicht. Nicht in volltönender, prachtvoller Rede strömen seine Personen ihr Inneres aus; alles ist Handlung, alle überflüssigen, den Schritt der Begebenheiten aufhaltenden Worte werden vermieden. Greif scheint die Gebilde seiner Phantasie mit dem Auge des Hellsehers zu schauen; er sieht und Hort Handlungen, Bewegungen, Worte und schreibt sie ans, scheinbar kalt, unbarmherzig, wie Shakespeare und das Schicksal selbst. Seine eigne Person tritt gänzlich zurück, wie sich's für den Dramatiker gebührt. Dies mag em¬ pfindsame Seelen abstoßen, verletzen; wem indes tiefere Einsicht in das Wesen des Dramas vergönnt ist, der wird unserm Dichter schon deshalb ein besondres Interesse entgegenbringen. Greif hat durch seine „Gedichte" glänzend bewiesen, daß es ihm nicht all der vollen Melodie des Lyrikers fehlt, ja daß er ein Ly¬ riker von Gottes Gnaden ist; wenn nun in diesem ersten Drama schon das lyrische Element völlig zurückweicht, so ist das nicht — wie so oft — eine Folge mangelnder Fähigkeit, sondern bewußtes Verschmähen eines nach der Über¬ zeugung des Verfassers unerlaubten Effektmittels. Ist diese stolze, männliche Zurückhaltung an einem jugendlichen Dichter in hohem Grade beachtenswert, so imponirt dieses Erstlingswerk noch weit mehr durch die einfache Größe und überzeugende Gewalt der Charakterisirungskunst. Diesem Corfiz ist kein un- historischer Firniß aufgetragen, was doch umso leichter gewesen wäre, als seine Geschichte ja keineswegs allgemein bekannt ist; wohlfeil erworbenes, schwächliches Mitleid zu erregen, verschmäht der Verfasser. So hochfahrend, rücksichtslos, nnpatriotisch, eigennützig, kurz mit all den großen und abstoßenden Eigenschaften, wie die Geschichte den dänischen Reichshofmeister kennt, so zeigt ihn uns Greif; an ein Abwälzen seiner Schuld auf das beliebte „Schicksal" denkt weder der Dichter noch der Held selbst; alle Verantwortung trägt der Held auf seinen Riesenschultern. Rund, greifbar wie eine Statue, steht er von der ersten Szene an vor uns. Aber diese mächtige Gestalt vermag auch zu schreiten. Und wie nun der gewaltige, seine ganze Umgebung hoch überragende Mann, den der Anfang des Stückes in glänzendster Machtentfaltung zeigt, doch bei aller Größe von den plumpen Fallstricken erbärmlich kleinlicher Menschen sich umgarnen läßt, wie die unterwühlte Eiche wankt und fällt, wie endlich der Gestürzte in trost¬ loser Verlassenheit sich selbst den Dolch ins Herz stößt — das alles ist mit so zwingender Gewalt geschildert, daß wir uns wirklich in jene längst versun¬ kene Welt versetzt fühlen. Von dem heitern Anfang bis zu dem düstern, wunder¬ bar stimmungsvollen Schluß hält uns der Dichter wie mit magischen Ketten fest. Er wollte uns kein Gcdankendrama, keine Jdeentragödie geben, er head-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/319>, abgerufen am 01.09.2024.