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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Martin Greif als dramatischer Dichter.

nur zu M'giren versteht, wird am Ende zur Krittelei und verkennt ihre schönste,
edelste Aufgabe: das von der Menge zu wenig gewürdigte, im Verborgenen
blühende Gute ans Licht zu stellen und darauf mit allem Nachdruck hinzu¬
weisen. Es giebt auch heute noch Schriftsteller, die, in einer Zeit, wo im all¬
gemeinen Routine für Talent gilt und sich den Schein desselben geschickt an¬
zueignen weiß, von des Tages Mode unberührt ihren eignen einsamen Weg
wandeln. Es sind zuweilen wunderliche Käuze, immer aber ehrliche Leute, ver¬
einzelte Nachzügler einer idealeren Periode der Kunst, wo der Beifall der großen
Menge noch nicht einziges Nichtmaß und Ziel künstlerischer Thätigkeit war.
Nun ist zwar auch im Reiche der Kunst ein gutes Gewissen ein gar schätzbares
Gut; allein die Gefahr der Vereinsamung liegt doch nahe, und diese führt nur
allzuoft zur Verbitterung. Das ist in jedem Falle betrübend; und wenn man
nun unter jenen Einsamen gar einen wirklichen, einen bedeutenden Dichter in
stolzer Abkehr von der literarischen Heerstraße, von der Mitwelt fast unbeachtet,
dahinschreiten sieht, so muß das einen ernsthaften Kritiker aufrichtig schmerzen,
und er muß, wenn er kein erbärmlicher Neider und Nörgler ist, tief die Ver¬
pflichtung fühlen, dem wahren Propheten unter so vielen falschen Gehör zu
schaffen, auf daß denselben nicht das bitterste aller Künstler- und Prvpheten-
loose heimsuche, das Kassandraschicksal.

Zu jenen einsamen Sehern gehört auch der deutsche Dichter Martin
Greif; zwar nicht so sehr in Bezug auf seine lyrischen Gedichte, die, wie es
scheint, doch endlich den verdienten Beifall finden/') als vielmehr hinsicht¬
lich seiner vier großen Dramen: Corfiz Ulfeldt, Nerv, Marino Fa-
lieri und Prinz Eugen, auf die sich unsre Betrachtung für diesmal be¬
schränken soll. Daß diese bedeutenden Dichtungen an unserm großen Lese¬
publikum, dessen müßige Zerstreuuugsgier eigentlich nnr noch in gepfefferter
Romanen genügende Reizung findet, unbemerkt vorübergegangen sind, ist ja na¬
türlich; aber unbegreiflich will uns die Gleichgiltigkeit der Theater scheinen, die
so gern über UnProduktivität der zeitgenössischen Dramatik jammern. Ist da
von Armut die Rede, wo man so gediegne Werke, die den Stempel tüchtiger
Kraft tragen, ignoriren kann? Ein Unbewanderter würde daraus wohl gar auf
überfließenden Reichtum schließen. Ja, wer nur nicht wüßte, von welcher Kost
die "deutschen" Bühnen leben! Von französischer Fabrikwaare, nach wie vor!
einige wenige Dichter abgerechnet, die -- verdient oder unverdient -- gerade
Mode sind, und jene immer zahlreicher werdenden Faiseurs, welche die fran-
zösische Art oder Unart möglichst sklavisch nachahmen. Oder sollte unserm
Greif gegenüber die alte Klage über technisches Ungeschick, theatralische Hilf¬
losigkeit bei unleugbarer poetischer Begabung berechtigt sein?



°") Die vierte Anfluge der "Gedichte" ist, wie wir hören, unter der Presse; die dritte
erschien bei Cotta 1L38.
Martin Greif als dramatischer Dichter.

nur zu M'giren versteht, wird am Ende zur Krittelei und verkennt ihre schönste,
edelste Aufgabe: das von der Menge zu wenig gewürdigte, im Verborgenen
blühende Gute ans Licht zu stellen und darauf mit allem Nachdruck hinzu¬
weisen. Es giebt auch heute noch Schriftsteller, die, in einer Zeit, wo im all¬
gemeinen Routine für Talent gilt und sich den Schein desselben geschickt an¬
zueignen weiß, von des Tages Mode unberührt ihren eignen einsamen Weg
wandeln. Es sind zuweilen wunderliche Käuze, immer aber ehrliche Leute, ver¬
einzelte Nachzügler einer idealeren Periode der Kunst, wo der Beifall der großen
Menge noch nicht einziges Nichtmaß und Ziel künstlerischer Thätigkeit war.
Nun ist zwar auch im Reiche der Kunst ein gutes Gewissen ein gar schätzbares
Gut; allein die Gefahr der Vereinsamung liegt doch nahe, und diese führt nur
allzuoft zur Verbitterung. Das ist in jedem Falle betrübend; und wenn man
nun unter jenen Einsamen gar einen wirklichen, einen bedeutenden Dichter in
stolzer Abkehr von der literarischen Heerstraße, von der Mitwelt fast unbeachtet,
dahinschreiten sieht, so muß das einen ernsthaften Kritiker aufrichtig schmerzen,
und er muß, wenn er kein erbärmlicher Neider und Nörgler ist, tief die Ver¬
pflichtung fühlen, dem wahren Propheten unter so vielen falschen Gehör zu
schaffen, auf daß denselben nicht das bitterste aller Künstler- und Prvpheten-
loose heimsuche, das Kassandraschicksal.

Zu jenen einsamen Sehern gehört auch der deutsche Dichter Martin
Greif; zwar nicht so sehr in Bezug auf seine lyrischen Gedichte, die, wie es
scheint, doch endlich den verdienten Beifall finden/') als vielmehr hinsicht¬
lich seiner vier großen Dramen: Corfiz Ulfeldt, Nerv, Marino Fa-
lieri und Prinz Eugen, auf die sich unsre Betrachtung für diesmal be¬
schränken soll. Daß diese bedeutenden Dichtungen an unserm großen Lese¬
publikum, dessen müßige Zerstreuuugsgier eigentlich nnr noch in gepfefferter
Romanen genügende Reizung findet, unbemerkt vorübergegangen sind, ist ja na¬
türlich; aber unbegreiflich will uns die Gleichgiltigkeit der Theater scheinen, die
so gern über UnProduktivität der zeitgenössischen Dramatik jammern. Ist da
von Armut die Rede, wo man so gediegne Werke, die den Stempel tüchtiger
Kraft tragen, ignoriren kann? Ein Unbewanderter würde daraus wohl gar auf
überfließenden Reichtum schließen. Ja, wer nur nicht wüßte, von welcher Kost
die „deutschen" Bühnen leben! Von französischer Fabrikwaare, nach wie vor!
einige wenige Dichter abgerechnet, die — verdient oder unverdient — gerade
Mode sind, und jene immer zahlreicher werdenden Faiseurs, welche die fran-
zösische Art oder Unart möglichst sklavisch nachahmen. Oder sollte unserm
Greif gegenüber die alte Klage über technisches Ungeschick, theatralische Hilf¬
losigkeit bei unleugbarer poetischer Begabung berechtigt sein?



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/318>, abgerufen am 01.09.2024.