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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Neisebriefe ans Italien vom Jahre ^332.

Schmach, den großen Mann, dem er den besten Teil seines Namens verdankt, so
gefangen gehalten zu haben. Danken wir unserm Goethe, daß er aus diesem Jammer
sein Wunderwerk gesponnen.

Dann zum Hause des Ariost, Es ist ein einfacher Ziegelbau, noch mit deu
alten Butzenscheiben, dem alten Mobiliar. Vieles Vou letzterm fehlt gewiß; aber
sehr einfach und schlicht war alles. Wir durchwanderten das ganze Häuschen, sein
Schlaf- und Sterbezimmer, den kleinen, ganz getäfelten Speisesaal, die Küche mit
dem alten Herde. Unmittelbar darauf sahen wir in der Bibliothek der Universität
sein Mausoleum (aus dem Jahre 1612), in der Franzosenzeit aus San Benedetto
hierhergebracht, die viel korrigirte Handschrift des Rasenden Rotund, Manuskripte
Tassos, darunter sein Testament, den Sessel Ariosts. Unter den Jncuunbeln fiel
die älteste Ausgabe des Gratian auf, mit kostbaren Miniaturgeinäldeu geziert.

Die Universität, ein Munizipalinstitut, ist in raschem Sinken begriffen. Alles
zieht nach Bologna oder Nom. Vollständig ist nur uoch die juristische Fakultät.

Zum ?a1aWv ciel viammiti, der seinen Namen davon hat, daß die Quadern
des Außenbaues facettirt sind, eine Verfeinerung des Rustikabaues. In diesem
Gebäude findet sich die kleine Estensische Galerie. Sämtliche Ferraresen sind in
derselben vertreten, namentlich gut Ercole Granti mit einer vorzüglichen Bewcinuug
Christi, und Dosso Dossi, vou neueren Parnell. Vou Dosso Dossi befindet sich das
Hauptwerk aus Sau Andrea hier, eine Naäcmu" in lroua umgeben von Heiligen
und Engeln, zu ihren Füßen der Evangelist Johannes. Auf Seitenbilderu Se. Georg,
mit prachtvoll gemalter Armatur, und Se. Sebastian, letzterer vorzüglich mvdellirt.

Dünn in das alte Kastell der Este: ein mächtiger Ziegelrohbau, mehr einer
Zwingburg als einem Schlosse ähnlich. Vier starke viereckige Türme, mit zwei
stark verjüngten Obcrctagcn an den Ecken, vorbereitet durch kräftige Ausbaue all
Plattformen. Von Turin zu Turm laufen über mächtige Konsolen schmale Marmor-
galerieu. Das Kastell ist von einem breiten Wassergraben umgeben, über den vier,
durch befestigte Brückenköpfe gedeckte Zugbrücken führen.

Im Jnnern zeigt mau zwei Prachtsäle, deren Decken durch Dosso Dossi ge¬
schmückt sind, der eine mit Darstellungen altrömischer Spiele und gymnastischer
Uebungen, der andre mit Bachanalien. Die nackten Figuren sind dem Künstler zu
plump geraten. Dann das Zimmer, in dem Eleonore wohnte; die Decke mit deu
vier Tageszeiten von Dosso Dossi geniale, die seidnen Tapeten noch aus der Zeit
der Fürstin. Daneben ihr Boudoir mit gestickten! Mobiliar. Ans schwerer weißer
Seide sind Blumenguirlanden und kleine Szenen eingenäht, z. B. wie eine Katze
einen Vogel fängt, ein Storch einen Frosch verspeist u. s. w. Ein benachbarte?
Zimmer, mit reizenden Wandgemälden von Dosso Dossi und Tizian geschmückt
(ländlich dionysische Szenen), führt auf eine Plattform, die vordem eine" Orangen¬
hain in Kübeln trug. Ich glaube, wir Deutschen betreten diese Stätten mit leb¬
haften" Interesse als irgendein Italiener.

In dem Kastell sind jetzt die Regierungsbehörden untergebracht.

Belriguardo liegt zu weit von der Stadt, als daß wir es uoch hätten besuchen
können -- vier Stunden --; auch ist es gänzlich verfallen und verödet.

Neben dein Kastell erhebt sich seit einigen Jahren die Statue Savouarolas,
der in eiuer leidenschaftliche" Predigt begriffen ist. Er ist in Ferrara geboren.
Auf einem andern Platze, ans hoher korinthischer Säule, steht die Statue Ariosts. Dem
Tasso ist hier noch kein Denkmal geworden. Der Hof hatte ihm noch nicht verziehen,
und das Volk hat, wie es scheint, für diesen Dichter kein rechtes Interesse. Savona-
rola ist der Liebling der puritanischen Demokraten, und wird als solcher sehr geehrt.


GrenMm III. IMS. "S
Neisebriefe ans Italien vom Jahre ^332.

Schmach, den großen Mann, dem er den besten Teil seines Namens verdankt, so
gefangen gehalten zu haben. Danken wir unserm Goethe, daß er aus diesem Jammer
sein Wunderwerk gesponnen.

Dann zum Hause des Ariost, Es ist ein einfacher Ziegelbau, noch mit deu
alten Butzenscheiben, dem alten Mobiliar. Vieles Vou letzterm fehlt gewiß; aber
sehr einfach und schlicht war alles. Wir durchwanderten das ganze Häuschen, sein
Schlaf- und Sterbezimmer, den kleinen, ganz getäfelten Speisesaal, die Küche mit
dem alten Herde. Unmittelbar darauf sahen wir in der Bibliothek der Universität
sein Mausoleum (aus dem Jahre 1612), in der Franzosenzeit aus San Benedetto
hierhergebracht, die viel korrigirte Handschrift des Rasenden Rotund, Manuskripte
Tassos, darunter sein Testament, den Sessel Ariosts. Unter den Jncuunbeln fiel
die älteste Ausgabe des Gratian auf, mit kostbaren Miniaturgeinäldeu geziert.

Die Universität, ein Munizipalinstitut, ist in raschem Sinken begriffen. Alles
zieht nach Bologna oder Nom. Vollständig ist nur uoch die juristische Fakultät.

Zum ?a1aWv ciel viammiti, der seinen Namen davon hat, daß die Quadern
des Außenbaues facettirt sind, eine Verfeinerung des Rustikabaues. In diesem
Gebäude findet sich die kleine Estensische Galerie. Sämtliche Ferraresen sind in
derselben vertreten, namentlich gut Ercole Granti mit einer vorzüglichen Bewcinuug
Christi, und Dosso Dossi, vou neueren Parnell. Vou Dosso Dossi befindet sich das
Hauptwerk aus Sau Andrea hier, eine Naäcmu» in lroua umgeben von Heiligen
und Engeln, zu ihren Füßen der Evangelist Johannes. Auf Seitenbilderu Se. Georg,
mit prachtvoll gemalter Armatur, und Se. Sebastian, letzterer vorzüglich mvdellirt.

Dünn in das alte Kastell der Este: ein mächtiger Ziegelrohbau, mehr einer
Zwingburg als einem Schlosse ähnlich. Vier starke viereckige Türme, mit zwei
stark verjüngten Obcrctagcn an den Ecken, vorbereitet durch kräftige Ausbaue all
Plattformen. Von Turin zu Turm laufen über mächtige Konsolen schmale Marmor-
galerieu. Das Kastell ist von einem breiten Wassergraben umgeben, über den vier,
durch befestigte Brückenköpfe gedeckte Zugbrücken führen.

Im Jnnern zeigt mau zwei Prachtsäle, deren Decken durch Dosso Dossi ge¬
schmückt sind, der eine mit Darstellungen altrömischer Spiele und gymnastischer
Uebungen, der andre mit Bachanalien. Die nackten Figuren sind dem Künstler zu
plump geraten. Dann das Zimmer, in dem Eleonore wohnte; die Decke mit deu
vier Tageszeiten von Dosso Dossi geniale, die seidnen Tapeten noch aus der Zeit
der Fürstin. Daneben ihr Boudoir mit gestickten! Mobiliar. Ans schwerer weißer
Seide sind Blumenguirlanden und kleine Szenen eingenäht, z. B. wie eine Katze
einen Vogel fängt, ein Storch einen Frosch verspeist u. s. w. Ein benachbarte?
Zimmer, mit reizenden Wandgemälden von Dosso Dossi und Tizian geschmückt
(ländlich dionysische Szenen), führt auf eine Plattform, die vordem eine» Orangen¬
hain in Kübeln trug. Ich glaube, wir Deutschen betreten diese Stätten mit leb¬
haften» Interesse als irgendein Italiener.

In dem Kastell sind jetzt die Regierungsbehörden untergebracht.

Belriguardo liegt zu weit von der Stadt, als daß wir es uoch hätten besuchen
können — vier Stunden —; auch ist es gänzlich verfallen und verödet.

Neben dein Kastell erhebt sich seit einigen Jahren die Statue Savouarolas,
der in eiuer leidenschaftliche» Predigt begriffen ist. Er ist in Ferrara geboren.
Auf einem andern Platze, ans hoher korinthischer Säule, steht die Statue Ariosts. Dem
Tasso ist hier noch kein Denkmal geworden. Der Hof hatte ihm noch nicht verziehen,
und das Volk hat, wie es scheint, für diesen Dichter kein rechtes Interesse. Savona-
rola ist der Liebling der puritanischen Demokraten, und wird als solcher sehr geehrt.


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[0281] Neisebriefe ans Italien vom Jahre ^332. Schmach, den großen Mann, dem er den besten Teil seines Namens verdankt, so gefangen gehalten zu haben. Danken wir unserm Goethe, daß er aus diesem Jammer sein Wunderwerk gesponnen. Dann zum Hause des Ariost, Es ist ein einfacher Ziegelbau, noch mit deu alten Butzenscheiben, dem alten Mobiliar. Vieles Vou letzterm fehlt gewiß; aber sehr einfach und schlicht war alles. Wir durchwanderten das ganze Häuschen, sein Schlaf- und Sterbezimmer, den kleinen, ganz getäfelten Speisesaal, die Küche mit dem alten Herde. Unmittelbar darauf sahen wir in der Bibliothek der Universität sein Mausoleum (aus dem Jahre 1612), in der Franzosenzeit aus San Benedetto hierhergebracht, die viel korrigirte Handschrift des Rasenden Rotund, Manuskripte Tassos, darunter sein Testament, den Sessel Ariosts. Unter den Jncuunbeln fiel die älteste Ausgabe des Gratian auf, mit kostbaren Miniaturgeinäldeu geziert. Die Universität, ein Munizipalinstitut, ist in raschem Sinken begriffen. Alles zieht nach Bologna oder Nom. Vollständig ist nur uoch die juristische Fakultät. Zum ?a1aWv ciel viammiti, der seinen Namen davon hat, daß die Quadern des Außenbaues facettirt sind, eine Verfeinerung des Rustikabaues. In diesem Gebäude findet sich die kleine Estensische Galerie. Sämtliche Ferraresen sind in derselben vertreten, namentlich gut Ercole Granti mit einer vorzüglichen Bewcinuug Christi, und Dosso Dossi, vou neueren Parnell. Vou Dosso Dossi befindet sich das Hauptwerk aus Sau Andrea hier, eine Naäcmu» in lroua umgeben von Heiligen und Engeln, zu ihren Füßen der Evangelist Johannes. Auf Seitenbilderu Se. Georg, mit prachtvoll gemalter Armatur, und Se. Sebastian, letzterer vorzüglich mvdellirt. Dünn in das alte Kastell der Este: ein mächtiger Ziegelrohbau, mehr einer Zwingburg als einem Schlosse ähnlich. Vier starke viereckige Türme, mit zwei stark verjüngten Obcrctagcn an den Ecken, vorbereitet durch kräftige Ausbaue all Plattformen. Von Turin zu Turm laufen über mächtige Konsolen schmale Marmor- galerieu. Das Kastell ist von einem breiten Wassergraben umgeben, über den vier, durch befestigte Brückenköpfe gedeckte Zugbrücken führen. Im Jnnern zeigt mau zwei Prachtsäle, deren Decken durch Dosso Dossi ge¬ schmückt sind, der eine mit Darstellungen altrömischer Spiele und gymnastischer Uebungen, der andre mit Bachanalien. Die nackten Figuren sind dem Künstler zu plump geraten. Dann das Zimmer, in dem Eleonore wohnte; die Decke mit deu vier Tageszeiten von Dosso Dossi geniale, die seidnen Tapeten noch aus der Zeit der Fürstin. Daneben ihr Boudoir mit gestickten! Mobiliar. Ans schwerer weißer Seide sind Blumenguirlanden und kleine Szenen eingenäht, z. B. wie eine Katze einen Vogel fängt, ein Storch einen Frosch verspeist u. s. w. Ein benachbarte? Zimmer, mit reizenden Wandgemälden von Dosso Dossi und Tizian geschmückt (ländlich dionysische Szenen), führt auf eine Plattform, die vordem eine» Orangen¬ hain in Kübeln trug. Ich glaube, wir Deutschen betreten diese Stätten mit leb¬ haften» Interesse als irgendein Italiener. In dem Kastell sind jetzt die Regierungsbehörden untergebracht. Belriguardo liegt zu weit von der Stadt, als daß wir es uoch hätten besuchen können — vier Stunden —; auch ist es gänzlich verfallen und verödet. Neben dein Kastell erhebt sich seit einigen Jahren die Statue Savouarolas, der in eiuer leidenschaftliche» Predigt begriffen ist. Er ist in Ferrara geboren. Auf einem andern Platze, ans hoher korinthischer Säule, steht die Statue Ariosts. Dem Tasso ist hier noch kein Denkmal geworden. Der Hof hatte ihm noch nicht verziehen, und das Volk hat, wie es scheint, für diesen Dichter kein rechtes Interesse. Savona- rola ist der Liebling der puritanischen Demokraten, und wird als solcher sehr geehrt. GrenMm III. IMS. »S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/281>, abgerufen am 25.11.2024.