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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Ungehaltene Fenenrede.

Zurück über Bologna nach Modena. Der Dom ist ein höchst malerisches,
durchweg romanisches Bauwerk, welches seine Entstehung der Markgräfin Mathilde,
von Tvskann verdankt. Außen die charakteristischen Arkaden mit den dünnen Säulchen
und schweren, Kämpfern, die Vorhalle auf Löwen ruhend, alles schwarz vom Alter.
Auch das Innere ist romanisch verblieben. Eigentümlich ist in dieser Kirche, daß
die unter dem stark erhöhten Chor gelegene Krypte nach vorn zu ganz offen ist,
sodaß man uns den Chor und in den Säulcnwald der (mit Kerzen erleuchteten)
Krypte, zugleich sieht, ein Anblick, wie ihn die mittelalterliche religiöse Bühne ge¬
währt haben mag. nordischen Einflüsse ist es zu danken, daß die Kanzel als inte-
grirender Bestandteil des Baues behandelt ist, wie wir dies nachher anch in andern
hiesigen Kirchen sahen, während dieselbe im Süden nur ein Versatzstück bildet.

(Hier enden die Aufzeichnungen.)




Ungehaltene jerienrede.

oller wir der freundlichen Gewohnheit des Nedenhaltcns entsagen,
das Volk, welches Sprüche politischer Weisheit von uns ver¬
nehmen möchte, schmachten lassen, weil die parlamentarischen Ver¬
sammlungen feiern? Ich höre ein vielstimmiges Nein von allen
Seiten ertönen, mancher Kollege ist auch schon entschlossen zur
That geschritten, und da die Hundstage noch nicht vorüber sind,
können wir uns noch verschiedner geflügelten Worte versehen, wie jenes vom
"Hnndcrtmalhöherftchen." Eben dieses bestärkt mich in der Absicht, das lästige
Schweigen zu brechen. Da ich mich in diesem Augenblicke viertausend Fuß über dem
Meeresspiegel befinde und die auswärtige Politik mir viele Sorgen macht, so
darf ich behaupten, den auswärtigen Fragen gegenüber einen beinahe hundertmal
höhern Standpunkt cinznuehuien als der Reichskanzler, so lange er so gefällig
ist, in Varzin zu, weilen. "Beinahe" sage ich, denn wer möchte sich anmaßen,
auf verhältnismäßig gleicher Höhe zu stehen wie Eugen der Unerreichbare!

Indessen werde ich mich hüten, die einfache Lösung aller in Europa schwe¬
benden Fragen, welche ich vorrätig habe, unentgeltlich zum Besten zu geben.
Denn wenn die Herren Bismarck, Giers, Salisburh u. s. w. mit meinem Kalbe
pflügten, so hätten sie den Ruhm davon und ich das Nachsehen. Bleiben wir
daher im Lande, wo genug zu schaffen ist. Auch fehlt es mir hier am Orte
durchaus nicht an dankbaren Zuhörern. Die alten Fichten nicken zu meinen
Reden verständnisinnig, falls gerade der Wind geht, und wenn ich meinen neuen
Freunden in der Schenke auseinandersetze, daß künftig alle Steuern vom großen
Grundbesitze getragen werden sollen, so sprechen sie schmunzelnd: "Sell wär'
scho recht." Aber ihr Gesichtskreis ist doch zu eng, ihre politische Bildung zu
lückenhaft. Neulich erzählte ich ihnen, wie oft Richter schon das Vaterland ge¬
rettet hat: da schlugen sie ein lautes Gelächter auf und schrieen, das habe er
nicht gethan. Die Ärmsten dachten dabei an ihren Dorfrichtcr, der am andern
Tische die Amtssorgcn mit sauerm Wein hinabznschwcmmen bemüht war; einen
andern Richter behaupteten sie nicht zu kennen. Einer aber, ein Ketzer, wie die
andern mir zuraunten, erinnerte sich, etwas vom Buch der Richter gehört zu
haben. Ich glaubte dann ihrem Verständnis näher z" kommen, indem ich fragte,


Ungehaltene Fenenrede.

Zurück über Bologna nach Modena. Der Dom ist ein höchst malerisches,
durchweg romanisches Bauwerk, welches seine Entstehung der Markgräfin Mathilde,
von Tvskann verdankt. Außen die charakteristischen Arkaden mit den dünnen Säulchen
und schweren, Kämpfern, die Vorhalle auf Löwen ruhend, alles schwarz vom Alter.
Auch das Innere ist romanisch verblieben. Eigentümlich ist in dieser Kirche, daß
die unter dem stark erhöhten Chor gelegene Krypte nach vorn zu ganz offen ist,
sodaß man uns den Chor und in den Säulcnwald der (mit Kerzen erleuchteten)
Krypte, zugleich sieht, ein Anblick, wie ihn die mittelalterliche religiöse Bühne ge¬
währt haben mag. nordischen Einflüsse ist es zu danken, daß die Kanzel als inte-
grirender Bestandteil des Baues behandelt ist, wie wir dies nachher anch in andern
hiesigen Kirchen sahen, während dieselbe im Süden nur ein Versatzstück bildet.

(Hier enden die Aufzeichnungen.)




Ungehaltene jerienrede.

oller wir der freundlichen Gewohnheit des Nedenhaltcns entsagen,
das Volk, welches Sprüche politischer Weisheit von uns ver¬
nehmen möchte, schmachten lassen, weil die parlamentarischen Ver¬
sammlungen feiern? Ich höre ein vielstimmiges Nein von allen
Seiten ertönen, mancher Kollege ist auch schon entschlossen zur
That geschritten, und da die Hundstage noch nicht vorüber sind,
können wir uns noch verschiedner geflügelten Worte versehen, wie jenes vom
„Hnndcrtmalhöherftchen." Eben dieses bestärkt mich in der Absicht, das lästige
Schweigen zu brechen. Da ich mich in diesem Augenblicke viertausend Fuß über dem
Meeresspiegel befinde und die auswärtige Politik mir viele Sorgen macht, so
darf ich behaupten, den auswärtigen Fragen gegenüber einen beinahe hundertmal
höhern Standpunkt cinznuehuien als der Reichskanzler, so lange er so gefällig
ist, in Varzin zu, weilen. „Beinahe" sage ich, denn wer möchte sich anmaßen,
auf verhältnismäßig gleicher Höhe zu stehen wie Eugen der Unerreichbare!

Indessen werde ich mich hüten, die einfache Lösung aller in Europa schwe¬
benden Fragen, welche ich vorrätig habe, unentgeltlich zum Besten zu geben.
Denn wenn die Herren Bismarck, Giers, Salisburh u. s. w. mit meinem Kalbe
pflügten, so hätten sie den Ruhm davon und ich das Nachsehen. Bleiben wir
daher im Lande, wo genug zu schaffen ist. Auch fehlt es mir hier am Orte
durchaus nicht an dankbaren Zuhörern. Die alten Fichten nicken zu meinen
Reden verständnisinnig, falls gerade der Wind geht, und wenn ich meinen neuen
Freunden in der Schenke auseinandersetze, daß künftig alle Steuern vom großen
Grundbesitze getragen werden sollen, so sprechen sie schmunzelnd: „Sell wär'
scho recht." Aber ihr Gesichtskreis ist doch zu eng, ihre politische Bildung zu
lückenhaft. Neulich erzählte ich ihnen, wie oft Richter schon das Vaterland ge¬
rettet hat: da schlugen sie ein lautes Gelächter auf und schrieen, das habe er
nicht gethan. Die Ärmsten dachten dabei an ihren Dorfrichtcr, der am andern
Tische die Amtssorgcn mit sauerm Wein hinabznschwcmmen bemüht war; einen
andern Richter behaupteten sie nicht zu kennen. Einer aber, ein Ketzer, wie die
andern mir zuraunten, erinnerte sich, etwas vom Buch der Richter gehört zu
haben. Ich glaubte dann ihrem Verständnis näher z» kommen, indem ich fragte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/282>, abgerufen am 25.11.2024.