Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Heinrich Leuthold.

[Beginn Spaltensatz] Wohl, könnt früh schon der Befreier
Tod sich naht, wein -- Hölderlin
Oder Lenau gleich -- die Schleier
Sanfter Nacht den Geist umziehn! [Spaltenumbruch] Manchen, der -- noch jung an Jahren --
Jede Gunst des Glücks erfuhr,
Sah ich welk, mit grauen Haaren,
Und das Eine blieb ihm nur: [Ende Spaltensatz]
Auf ein Leben ohne Thaten
Tief beschämt zurückzuschaun,
Müd, enttäuscht, verkannt, verraten
Und entnervt vom Kuß der Frau".

Und doch hat auch ihm die Liebe die schönsten Lieder entlockt, wie er es in dem
vollendeten kleinen Gedichte "Hin!" selbst gesteht:


[Beginn Spaltensatz] Als der Sommersonne Gluten
Noch auf den Gefilden ruhten,
Fühlt' voll Poesie und Liebe
Ich den Busen überfluten. [Spaltenumbruch] Um die Mauer gelb und traurig
Seh ich nun die Rebe ranken;
Herbstwind weht durch mein Gemüte,
Und verwelkt sind die Gedanken. [Ende Spaltensatz]
Gieb mir jenes Meer von Wonne,
Gieb nilfs neue meine Lieder,
Süße Maid, o gieb mir eine
Jener Sommernächte wieder!

Derartiger extremen Gegensätze, zwischen denen sich sein Gemüt bewegte,
könnte man indes bei Leuthold ganze Reihen aufstellen, und wenn wir auch
viel auf Rechnung des lyrischen Naturells setzen müssen, welches der momen¬
tanen Empfindung leidenschaftlich ergeben ist, so läßt sich doch ein zerfahrenes,
jedes positiven Elementes entbehrendes Wesen nicht verkennen.

So hat es beispielsweise oft den Anschein, als liefe seine ganze Welt¬
anschauung auf nichts als das eintönig düstere vtmiws og.iüwwin viuriws
Humus. An einem Grabe stehend, reflektirt er:


Was Großes auch der Mensch empfinde,
Was er erstrebe, was er finde:
Sein Thun und Denken sind nur Rauch
Im Winde;
Der höchste Ruhm, was ist er auch?
Ein Hauch!

Und einem jungen Freunde ruft er zu: "Nimm dieses Leben nicht so ernst! Recht
spaßhaft ists im allgemeinen." Und schon im Jahre 1857 schreibt er ein
längeres Gedicht "Entsagung" mit dem Refrain: "Verlangend Herz, sei du dir
selbst genug!" Als ein "lachender Rhapsode" soll ein andrer Freund, der in
allzuhohen Stile sür die heutige Mode schreibt, Welt und Zeit begreifen lernen.
Und doch gab es auch für Leuthold Stunden, wo er (im "Wanderlied") schreiben
konnte:


Des Schönen hat die Welt so viel,
Hat eines für mich genug --

wo er im Vollgefühl des beseligenden Besitzes der dichterischen Begabung eine
" Spielmmmsweise" anstimmte:


Heinrich Leuthold.

[Beginn Spaltensatz] Wohl, könnt früh schon der Befreier
Tod sich naht, wein — Hölderlin
Oder Lenau gleich — die Schleier
Sanfter Nacht den Geist umziehn! [Spaltenumbruch] Manchen, der — noch jung an Jahren —
Jede Gunst des Glücks erfuhr,
Sah ich welk, mit grauen Haaren,
Und das Eine blieb ihm nur: [Ende Spaltensatz]
Auf ein Leben ohne Thaten
Tief beschämt zurückzuschaun,
Müd, enttäuscht, verkannt, verraten
Und entnervt vom Kuß der Frau«.

Und doch hat auch ihm die Liebe die schönsten Lieder entlockt, wie er es in dem
vollendeten kleinen Gedichte „Hin!" selbst gesteht:


[Beginn Spaltensatz] Als der Sommersonne Gluten
Noch auf den Gefilden ruhten,
Fühlt' voll Poesie und Liebe
Ich den Busen überfluten. [Spaltenumbruch] Um die Mauer gelb und traurig
Seh ich nun die Rebe ranken;
Herbstwind weht durch mein Gemüte,
Und verwelkt sind die Gedanken. [Ende Spaltensatz]
Gieb mir jenes Meer von Wonne,
Gieb nilfs neue meine Lieder,
Süße Maid, o gieb mir eine
Jener Sommernächte wieder!

Derartiger extremen Gegensätze, zwischen denen sich sein Gemüt bewegte,
könnte man indes bei Leuthold ganze Reihen aufstellen, und wenn wir auch
viel auf Rechnung des lyrischen Naturells setzen müssen, welches der momen¬
tanen Empfindung leidenschaftlich ergeben ist, so läßt sich doch ein zerfahrenes,
jedes positiven Elementes entbehrendes Wesen nicht verkennen.

So hat es beispielsweise oft den Anschein, als liefe seine ganze Welt¬
anschauung auf nichts als das eintönig düstere vtmiws og.iüwwin viuriws
Humus. An einem Grabe stehend, reflektirt er:


Was Großes auch der Mensch empfinde,
Was er erstrebe, was er finde:
Sein Thun und Denken sind nur Rauch
Im Winde;
Der höchste Ruhm, was ist er auch?
Ein Hauch!

Und einem jungen Freunde ruft er zu: „Nimm dieses Leben nicht so ernst! Recht
spaßhaft ists im allgemeinen." Und schon im Jahre 1857 schreibt er ein
längeres Gedicht „Entsagung" mit dem Refrain: „Verlangend Herz, sei du dir
selbst genug!" Als ein „lachender Rhapsode" soll ein andrer Freund, der in
allzuhohen Stile sür die heutige Mode schreibt, Welt und Zeit begreifen lernen.
Und doch gab es auch für Leuthold Stunden, wo er (im „Wanderlied") schreiben
konnte:


Des Schönen hat die Welt so viel,
Hat eines für mich genug —

wo er im Vollgefühl des beseligenden Besitzes der dichterischen Begabung eine
„ Spielmmmsweise" anstimmte:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196328"/>
          <fw type="header" place="top"> Heinrich Leuthold.</fw><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_24" type="poem">
              <l><cb type="start"/>
Wohl, könnt früh schon der Befreier<lb/>
Tod sich naht, wein &#x2014; Hölderlin<lb/>
Oder Lenau gleich &#x2014; die Schleier<lb/>
Sanfter Nacht den Geist umziehn! <cb/>
Manchen, der &#x2014; noch jung an Jahren &#x2014;<lb/>
Jede Gunst des Glücks erfuhr,<lb/>
Sah ich welk, mit grauen Haaren,<lb/>
Und das Eine blieb ihm nur: <cb type="end"/><lb/><lb/>
Auf ein Leben ohne Thaten<lb/>
Tief beschämt zurückzuschaun,<lb/>
Müd, enttäuscht, verkannt, verraten<lb/>
Und entnervt vom Kuß der Frau«. </l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_844"> Und doch hat auch ihm die Liebe die schönsten Lieder entlockt, wie er es in dem<lb/>
vollendeten kleinen Gedichte &#x201E;Hin!" selbst gesteht:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_25" type="poem">
              <l><cb type="start"/>
Als der Sommersonne Gluten<lb/>
Noch auf den Gefilden ruhten,<lb/>
Fühlt' voll Poesie und Liebe<lb/>
Ich den Busen überfluten. <cb/>
Um die Mauer gelb und traurig<lb/>
Seh ich nun die Rebe ranken;<lb/>
Herbstwind weht durch mein Gemüte,<lb/>
Und verwelkt sind die Gedanken. <cb type="end"/><lb/><lb/><lb/><lb/>
Gieb mir jenes Meer von Wonne,<lb/>
Gieb nilfs neue meine Lieder,<lb/>
Süße Maid, o gieb mir eine<lb/>
Jener Sommernächte wieder! </l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_845"> Derartiger extremen Gegensätze, zwischen denen sich sein Gemüt bewegte,<lb/>
könnte man indes bei Leuthold ganze Reihen aufstellen, und wenn wir auch<lb/>
viel auf Rechnung des lyrischen Naturells setzen müssen, welches der momen¬<lb/>
tanen Empfindung leidenschaftlich ergeben ist, so läßt sich doch ein zerfahrenes,<lb/>
jedes positiven Elementes entbehrendes Wesen nicht verkennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846"> So hat es beispielsweise oft den Anschein, als liefe seine ganze Welt¬<lb/>
anschauung auf nichts als das eintönig düstere vtmiws og.iüwwin viuriws<lb/>
Humus.  An einem Grabe stehend, reflektirt er:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_26" type="poem">
              <l> Was Großes auch der Mensch empfinde,<lb/>
Was er erstrebe, was er finde:<lb/>
Sein Thun und Denken sind nur Rauch<lb/>
Im Winde;<lb/>
Der höchste Ruhm, was ist er auch?<lb/>
Ein Hauch!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_847"> Und einem jungen Freunde ruft er zu: &#x201E;Nimm dieses Leben nicht so ernst! Recht<lb/>
spaßhaft ists im allgemeinen." Und schon im Jahre 1857 schreibt er ein<lb/>
längeres Gedicht &#x201E;Entsagung" mit dem Refrain: &#x201E;Verlangend Herz, sei du dir<lb/>
selbst genug!" Als ein &#x201E;lachender Rhapsode" soll ein andrer Freund, der in<lb/>
allzuhohen Stile sür die heutige Mode schreibt, Welt und Zeit begreifen lernen.<lb/>
Und doch gab es auch für Leuthold Stunden, wo er (im &#x201E;Wanderlied") schreiben<lb/>
konnte:</p><lb/>
          <quote> Des Schönen hat die Welt so viel,<lb/>
Hat eines für mich genug &#x2014;</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_848"> wo er im Vollgefühl des beseligenden Besitzes der dichterischen Begabung eine<lb/>
&#x201E; Spielmmmsweise" anstimmte:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Heinrich Leuthold. Wohl, könnt früh schon der Befreier Tod sich naht, wein — Hölderlin Oder Lenau gleich — die Schleier Sanfter Nacht den Geist umziehn! Manchen, der — noch jung an Jahren — Jede Gunst des Glücks erfuhr, Sah ich welk, mit grauen Haaren, Und das Eine blieb ihm nur: Auf ein Leben ohne Thaten Tief beschämt zurückzuschaun, Müd, enttäuscht, verkannt, verraten Und entnervt vom Kuß der Frau«. Und doch hat auch ihm die Liebe die schönsten Lieder entlockt, wie er es in dem vollendeten kleinen Gedichte „Hin!" selbst gesteht: Als der Sommersonne Gluten Noch auf den Gefilden ruhten, Fühlt' voll Poesie und Liebe Ich den Busen überfluten. Um die Mauer gelb und traurig Seh ich nun die Rebe ranken; Herbstwind weht durch mein Gemüte, Und verwelkt sind die Gedanken. Gieb mir jenes Meer von Wonne, Gieb nilfs neue meine Lieder, Süße Maid, o gieb mir eine Jener Sommernächte wieder! Derartiger extremen Gegensätze, zwischen denen sich sein Gemüt bewegte, könnte man indes bei Leuthold ganze Reihen aufstellen, und wenn wir auch viel auf Rechnung des lyrischen Naturells setzen müssen, welches der momen¬ tanen Empfindung leidenschaftlich ergeben ist, so läßt sich doch ein zerfahrenes, jedes positiven Elementes entbehrendes Wesen nicht verkennen. So hat es beispielsweise oft den Anschein, als liefe seine ganze Welt¬ anschauung auf nichts als das eintönig düstere vtmiws og.iüwwin viuriws Humus. An einem Grabe stehend, reflektirt er: Was Großes auch der Mensch empfinde, Was er erstrebe, was er finde: Sein Thun und Denken sind nur Rauch Im Winde; Der höchste Ruhm, was ist er auch? Ein Hauch! Und einem jungen Freunde ruft er zu: „Nimm dieses Leben nicht so ernst! Recht spaßhaft ists im allgemeinen." Und schon im Jahre 1857 schreibt er ein längeres Gedicht „Entsagung" mit dem Refrain: „Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!" Als ein „lachender Rhapsode" soll ein andrer Freund, der in allzuhohen Stile sür die heutige Mode schreibt, Welt und Zeit begreifen lernen. Und doch gab es auch für Leuthold Stunden, wo er (im „Wanderlied") schreiben konnte: Des Schönen hat die Welt so viel, Hat eines für mich genug — wo er im Vollgefühl des beseligenden Besitzes der dichterischen Begabung eine „ Spielmmmsweise" anstimmte:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/228>, abgerufen am 24.11.2024.