Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

für die deutsche Natioiialhauptstadt hier zu suchen und zu finden. Es giebt
nun einmal keine Stadt, die auch nur annähernd mit ähnlichem Rechte die Be¬
fähigung zur Reichs- und Vvlkshciuptstndt geltendmachen könnte. Die einzige
Stadt, welche überhaupt ohne Lächerlichkeit außer Berlin noch einen Anspruch
hierauf erheben könnte, wäre Hamburg, und gerade hier würden doch offenbar
schon die negativen Gründe (selbst ohne die positiv für Berlin sprechenden) zur
Beseitigung dieses Anspruches ausreichen. Man vergesse endlich nicht, daß der
Vorwürfe zunächst nicht das ganze Deutschtum, sondern nnr dasjenige der um¬
liegenden Landschaften widerzuspiegeln, jede Stadt ohne Ausnahme trifft, und
zwar musvmehr, je kleiner sie ist; auf Berlin, die Millionenstadt, mit ihren
laufenden von Bewohnern aus jeder kleinsten und entlegensten deutschen Land¬
schaft, findet dieser Punkt jedenfalls die verhältnismäßig schwächste Anwendung,
Keine deutsche Stadt ist in gleichem oder auch nur halbwegs ähnlichem Maße
wie Berlin eine energisch ausgeprägte Individualität für sich,-und ebeu darum
kann keine dieser Stadt den Anspruch, die notwendige Hauptstadt des deutschen
Reiches zu sein, streitig machen.

Also Berlin bleibt Hauptstadt, und es wird auch noch auf vielen Gebieten
Hauptstadt werde", auf denen es dies noch nicht ist. Dann danert aber auch
das Wachstum Berlins noch längere Zeit mindestens in dem bisherigen Ver¬
hältnisse fort. Man könnte ja mit gutem Rechte sagen, daß dieses Verhältnis
sogar ein stetig wachsendes sein müsse, da eine nach Prozenten der Bevölkerung
fortschreitende Vermehrung eine stetige Erhöhung der Personenzahl bedingt,
um welche die Bevölkerung sich jährlich vermehrt, und da auch die prozentuale
Zunahme eher eine Tendenz haben wird, größer als kleiner zu werde"; aber
es mag hiervon abgesehen und die gegenwärtige jährliche Zunahme um etwa
4V 000 Seelen als für die nächste Zeit maßgebend betrachtet werden. Selbst
bei dieser mäßigen Berechnung wird Berlin im Jahre 1890 die Bevölkerungs¬
zahl von 1'/.. Millionen erreichen; in das zwanzigste Jahrhundert wird es,
daran zweifelt wohl niemand im Ernste, als Zweimillioueustadt eintreten. Es
müßten schon außerordentliche Katastrophen sich ereignen, um diese Entwicklung
merkbar zu beeinflussen, aufzuhalten oder gar zurückzudrängen, und die Wahr¬
scheinlichkeit spricht unsers Ernchteus dafür, daß die Dinge, die sich bis dahin
ereignen mögen, das Wachstum der Stadt eher noch beschleunigen werden. Ein
großer Krieg z. B, wenn er nur nicht infolge feindlicher Besetzung und etwaiger
Folgen hiervon die Stadt Berlin in unmittelbare Mitleidenschaft zieht (was
wir doch als unwahrscheinlich zu betrachten berechtigt sind), wird voraussichtlich
eine Menge weiterer industrieller und kommerzieller Thätigkeit in Berlin kon-
zentriren, und die Menge der in Berlin installirten Behörden wird durch einen
solchen auch schwerlich geringer werden. Dazu kommt, daß jedes erhebliche
Fortschreiten Berlins ja notwendig zur Einverleibung menschenwimmelnder Ort¬
schaften in die Hauptstadt führt. Charlottenburg allein, über das ja längst


für die deutsche Natioiialhauptstadt hier zu suchen und zu finden. Es giebt
nun einmal keine Stadt, die auch nur annähernd mit ähnlichem Rechte die Be¬
fähigung zur Reichs- und Vvlkshciuptstndt geltendmachen könnte. Die einzige
Stadt, welche überhaupt ohne Lächerlichkeit außer Berlin noch einen Anspruch
hierauf erheben könnte, wäre Hamburg, und gerade hier würden doch offenbar
schon die negativen Gründe (selbst ohne die positiv für Berlin sprechenden) zur
Beseitigung dieses Anspruches ausreichen. Man vergesse endlich nicht, daß der
Vorwürfe zunächst nicht das ganze Deutschtum, sondern nnr dasjenige der um¬
liegenden Landschaften widerzuspiegeln, jede Stadt ohne Ausnahme trifft, und
zwar musvmehr, je kleiner sie ist; auf Berlin, die Millionenstadt, mit ihren
laufenden von Bewohnern aus jeder kleinsten und entlegensten deutschen Land¬
schaft, findet dieser Punkt jedenfalls die verhältnismäßig schwächste Anwendung,
Keine deutsche Stadt ist in gleichem oder auch nur halbwegs ähnlichem Maße
wie Berlin eine energisch ausgeprägte Individualität für sich,-und ebeu darum
kann keine dieser Stadt den Anspruch, die notwendige Hauptstadt des deutschen
Reiches zu sein, streitig machen.

Also Berlin bleibt Hauptstadt, und es wird auch noch auf vielen Gebieten
Hauptstadt werde«, auf denen es dies noch nicht ist. Dann danert aber auch
das Wachstum Berlins noch längere Zeit mindestens in dem bisherigen Ver¬
hältnisse fort. Man könnte ja mit gutem Rechte sagen, daß dieses Verhältnis
sogar ein stetig wachsendes sein müsse, da eine nach Prozenten der Bevölkerung
fortschreitende Vermehrung eine stetige Erhöhung der Personenzahl bedingt,
um welche die Bevölkerung sich jährlich vermehrt, und da auch die prozentuale
Zunahme eher eine Tendenz haben wird, größer als kleiner zu werde»; aber
es mag hiervon abgesehen und die gegenwärtige jährliche Zunahme um etwa
4V 000 Seelen als für die nächste Zeit maßgebend betrachtet werden. Selbst
bei dieser mäßigen Berechnung wird Berlin im Jahre 1890 die Bevölkerungs¬
zahl von 1'/.. Millionen erreichen; in das zwanzigste Jahrhundert wird es,
daran zweifelt wohl niemand im Ernste, als Zweimillioueustadt eintreten. Es
müßten schon außerordentliche Katastrophen sich ereignen, um diese Entwicklung
merkbar zu beeinflussen, aufzuhalten oder gar zurückzudrängen, und die Wahr¬
scheinlichkeit spricht unsers Ernchteus dafür, daß die Dinge, die sich bis dahin
ereignen mögen, das Wachstum der Stadt eher noch beschleunigen werden. Ein
großer Krieg z. B, wenn er nur nicht infolge feindlicher Besetzung und etwaiger
Folgen hiervon die Stadt Berlin in unmittelbare Mitleidenschaft zieht (was
wir doch als unwahrscheinlich zu betrachten berechtigt sind), wird voraussichtlich
eine Menge weiterer industrieller und kommerzieller Thätigkeit in Berlin kon-
zentriren, und die Menge der in Berlin installirten Behörden wird durch einen
solchen auch schwerlich geringer werden. Dazu kommt, daß jedes erhebliche
Fortschreiten Berlins ja notwendig zur Einverleibung menschenwimmelnder Ort¬
schaften in die Hauptstadt führt. Charlottenburg allein, über das ja längst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196312"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_807" prev="#ID_806"> für die deutsche Natioiialhauptstadt hier zu suchen und zu finden. Es giebt<lb/>
nun einmal keine Stadt, die auch nur annähernd mit ähnlichem Rechte die Be¬<lb/>
fähigung zur Reichs- und Vvlkshciuptstndt geltendmachen könnte. Die einzige<lb/>
Stadt, welche überhaupt ohne Lächerlichkeit außer Berlin noch einen Anspruch<lb/>
hierauf erheben könnte, wäre Hamburg, und gerade hier würden doch offenbar<lb/>
schon die negativen Gründe (selbst ohne die positiv für Berlin sprechenden) zur<lb/>
Beseitigung dieses Anspruches ausreichen. Man vergesse endlich nicht, daß der<lb/>
Vorwürfe zunächst nicht das ganze Deutschtum, sondern nnr dasjenige der um¬<lb/>
liegenden Landschaften widerzuspiegeln, jede Stadt ohne Ausnahme trifft, und<lb/>
zwar musvmehr, je kleiner sie ist; auf Berlin, die Millionenstadt, mit ihren<lb/>
laufenden von Bewohnern aus jeder kleinsten und entlegensten deutschen Land¬<lb/>
schaft, findet dieser Punkt jedenfalls die verhältnismäßig schwächste Anwendung,<lb/>
Keine deutsche Stadt ist in gleichem oder auch nur halbwegs ähnlichem Maße<lb/>
wie Berlin eine energisch ausgeprägte Individualität für sich,-und ebeu darum<lb/>
kann keine dieser Stadt den Anspruch, die notwendige Hauptstadt des deutschen<lb/>
Reiches zu sein, streitig machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_808" next="#ID_809"> Also Berlin bleibt Hauptstadt, und es wird auch noch auf vielen Gebieten<lb/>
Hauptstadt werde«, auf denen es dies noch nicht ist. Dann danert aber auch<lb/>
das Wachstum Berlins noch längere Zeit mindestens in dem bisherigen Ver¬<lb/>
hältnisse fort. Man könnte ja mit gutem Rechte sagen, daß dieses Verhältnis<lb/>
sogar ein stetig wachsendes sein müsse, da eine nach Prozenten der Bevölkerung<lb/>
fortschreitende Vermehrung eine stetige Erhöhung der Personenzahl bedingt,<lb/>
um welche die Bevölkerung sich jährlich vermehrt, und da auch die prozentuale<lb/>
Zunahme eher eine Tendenz haben wird, größer als kleiner zu werde»; aber<lb/>
es mag hiervon abgesehen und die gegenwärtige jährliche Zunahme um etwa<lb/>
4V 000 Seelen als für die nächste Zeit maßgebend betrachtet werden. Selbst<lb/>
bei dieser mäßigen Berechnung wird Berlin im Jahre 1890 die Bevölkerungs¬<lb/>
zahl von 1'/.. Millionen erreichen; in das zwanzigste Jahrhundert wird es,<lb/>
daran zweifelt wohl niemand im Ernste, als Zweimillioueustadt eintreten. Es<lb/>
müßten schon außerordentliche Katastrophen sich ereignen, um diese Entwicklung<lb/>
merkbar zu beeinflussen, aufzuhalten oder gar zurückzudrängen, und die Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit spricht unsers Ernchteus dafür, daß die Dinge, die sich bis dahin<lb/>
ereignen mögen, das Wachstum der Stadt eher noch beschleunigen werden. Ein<lb/>
großer Krieg z. B, wenn er nur nicht infolge feindlicher Besetzung und etwaiger<lb/>
Folgen hiervon die Stadt Berlin in unmittelbare Mitleidenschaft zieht (was<lb/>
wir doch als unwahrscheinlich zu betrachten berechtigt sind), wird voraussichtlich<lb/>
eine Menge weiterer industrieller und kommerzieller Thätigkeit in Berlin kon-<lb/>
zentriren, und die Menge der in Berlin installirten Behörden wird durch einen<lb/>
solchen auch schwerlich geringer werden. Dazu kommt, daß jedes erhebliche<lb/>
Fortschreiten Berlins ja notwendig zur Einverleibung menschenwimmelnder Ort¬<lb/>
schaften in die Hauptstadt führt.  Charlottenburg allein, über das ja längst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] für die deutsche Natioiialhauptstadt hier zu suchen und zu finden. Es giebt nun einmal keine Stadt, die auch nur annähernd mit ähnlichem Rechte die Be¬ fähigung zur Reichs- und Vvlkshciuptstndt geltendmachen könnte. Die einzige Stadt, welche überhaupt ohne Lächerlichkeit außer Berlin noch einen Anspruch hierauf erheben könnte, wäre Hamburg, und gerade hier würden doch offenbar schon die negativen Gründe (selbst ohne die positiv für Berlin sprechenden) zur Beseitigung dieses Anspruches ausreichen. Man vergesse endlich nicht, daß der Vorwürfe zunächst nicht das ganze Deutschtum, sondern nnr dasjenige der um¬ liegenden Landschaften widerzuspiegeln, jede Stadt ohne Ausnahme trifft, und zwar musvmehr, je kleiner sie ist; auf Berlin, die Millionenstadt, mit ihren laufenden von Bewohnern aus jeder kleinsten und entlegensten deutschen Land¬ schaft, findet dieser Punkt jedenfalls die verhältnismäßig schwächste Anwendung, Keine deutsche Stadt ist in gleichem oder auch nur halbwegs ähnlichem Maße wie Berlin eine energisch ausgeprägte Individualität für sich,-und ebeu darum kann keine dieser Stadt den Anspruch, die notwendige Hauptstadt des deutschen Reiches zu sein, streitig machen. Also Berlin bleibt Hauptstadt, und es wird auch noch auf vielen Gebieten Hauptstadt werde«, auf denen es dies noch nicht ist. Dann danert aber auch das Wachstum Berlins noch längere Zeit mindestens in dem bisherigen Ver¬ hältnisse fort. Man könnte ja mit gutem Rechte sagen, daß dieses Verhältnis sogar ein stetig wachsendes sein müsse, da eine nach Prozenten der Bevölkerung fortschreitende Vermehrung eine stetige Erhöhung der Personenzahl bedingt, um welche die Bevölkerung sich jährlich vermehrt, und da auch die prozentuale Zunahme eher eine Tendenz haben wird, größer als kleiner zu werde»; aber es mag hiervon abgesehen und die gegenwärtige jährliche Zunahme um etwa 4V 000 Seelen als für die nächste Zeit maßgebend betrachtet werden. Selbst bei dieser mäßigen Berechnung wird Berlin im Jahre 1890 die Bevölkerungs¬ zahl von 1'/.. Millionen erreichen; in das zwanzigste Jahrhundert wird es, daran zweifelt wohl niemand im Ernste, als Zweimillioueustadt eintreten. Es müßten schon außerordentliche Katastrophen sich ereignen, um diese Entwicklung merkbar zu beeinflussen, aufzuhalten oder gar zurückzudrängen, und die Wahr¬ scheinlichkeit spricht unsers Ernchteus dafür, daß die Dinge, die sich bis dahin ereignen mögen, das Wachstum der Stadt eher noch beschleunigen werden. Ein großer Krieg z. B, wenn er nur nicht infolge feindlicher Besetzung und etwaiger Folgen hiervon die Stadt Berlin in unmittelbare Mitleidenschaft zieht (was wir doch als unwahrscheinlich zu betrachten berechtigt sind), wird voraussichtlich eine Menge weiterer industrieller und kommerzieller Thätigkeit in Berlin kon- zentriren, und die Menge der in Berlin installirten Behörden wird durch einen solchen auch schwerlich geringer werden. Dazu kommt, daß jedes erhebliche Fortschreiten Berlins ja notwendig zur Einverleibung menschenwimmelnder Ort¬ schaften in die Hauptstadt führt. Charlottenburg allein, über das ja längst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/212>, abgerufen am 24.11.2024.