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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das richterliche Urteil und die Phrase.

erinnerlich, daß (nach Zeitungsberichten) das Urteil sagte: "Die Handlungsweise
der Angeklagten ist eine so unerhörte, daß man sie kaum für glaublich hält,
wenn sie nicht durch die dreitägige Verhandlung bestätigt worden wäre. Nach¬
dem die Gesetzgebung schon lauge den mittelalterlichen Schandpfahl abgeschafft
hat, haben die Angeklagten einen modernen Preß - Schandpfahl konstruirt, an
welchen zahlungsfähige Menschen gestellt wurden" u. s. w.

Auch das jüngst veröffentlichte Urteil huldigt dieser Richtung. Es ent¬
hält zuvörderst wieder eine Einleitung, ganz in dem oratorischen Stile des
Arnim-Prozesses. Der Vorsitzende entschuldigt sich, daß er wegen körperlicher
Indisposition nicht mit ganz klarer Stimme pnblizire. Er entschuldigt sich,
daß er mir einen "Überblick der Gründe" gebe, indem er darauf hinweist, daß
das Gesetz ihn nur zur Mitteilung des Wesentlichen verpflichte. (Beiläufig be¬
merkt, ist dieser Überblick sehr ausführlich ausgefallen.) Dann wird der Prozeß
als ein Partei- und Teudenzprozeß bezeichnet, bei dem, wie die Richter voraus -
gesehen, die Wogen der Leidenschaft und Leidenschaftlichkeit hochgegangen seien.
An den sittlichen Wert eines politischen Gegners habe die scharf eingehende
und scharf einschneidende Sonde gelegt werden müssen. Unbeirrt von Leiden¬
schaft und Leidenschaftlichkeit, unbeirrt von dem, was das Parteitreiben da draußen
verlangte, sei es Aufgabe des Gerichts gewesen, aus der förmlichen Mosaik von
Beweisen das Rechte herauszufinden, die Spreu von dem Weizen zu sondern
und auszuscheiden. Das Ergebnis dieser Ausscheidung solle jetzt nach einer
gewissenhaften, eingehenden, nahezu achtstündigen Beratung publizirt werden.
Auch am Schluß verfällt das Urteil wieder in diesen Ton. Es wird gesagt,
daß das Gericht nach eingehendster Erwägung, nach vielfach streitenden Für
und Wider schließlich zu der Auffassung gelangt sei, daß der Angeklagte nicht
zu einer Geld-, sondern zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen sei. Aber der
Gerichtshof sei dabei weit unter das beantragte Strafmaß herabgegangen. Der
Angeklagte werde einsehen, daß sie, die Richter, ihn nicht zu hart bestrafen wollen,
und er werde dem Gerichtshöfe das Zeugnis nicht versagen, daß alles, was
irgend nur mit Recht zu seinen Gunsten in die Wagschale geworfen werden
konnte, reiflich und reichlich von ihnen erwogen worden sei. Schließlich wird
im Namen des Gerichtshofes die Hoffnung ausgesprochen, daß diese Konflikte
mit dem Strafgesetze im Leben des Angeklagten die letzten seien. Aus dem
übrigen Inhalte des Urteils wollen wir -- andrer schönredenden Wendungen
nicht zu gedenken -- nur hervorheben, daß von "dem Falle der gewissermaßen
aus demi Grabe leider wieder erstandenen Esther Solymossi" geredet wird, was
einigermaßen an die aus dem Koffer durchleuchtenden Depeschen des Falles
Arnim erinnert.

Wir sind der Ansicht, daß alle solche Auslassungen eines Gerichts -- denn
in dessen Namen redet doch der Vorsitzende vom Übel sind. Das Gericht
braucht das, was es thut, nicht zu rechtfertigen, wenn es nur das Rechte thut.


Grenzboten III. 1835. 2
Das richterliche Urteil und die Phrase.

erinnerlich, daß (nach Zeitungsberichten) das Urteil sagte: „Die Handlungsweise
der Angeklagten ist eine so unerhörte, daß man sie kaum für glaublich hält,
wenn sie nicht durch die dreitägige Verhandlung bestätigt worden wäre. Nach¬
dem die Gesetzgebung schon lauge den mittelalterlichen Schandpfahl abgeschafft
hat, haben die Angeklagten einen modernen Preß - Schandpfahl konstruirt, an
welchen zahlungsfähige Menschen gestellt wurden" u. s. w.

Auch das jüngst veröffentlichte Urteil huldigt dieser Richtung. Es ent¬
hält zuvörderst wieder eine Einleitung, ganz in dem oratorischen Stile des
Arnim-Prozesses. Der Vorsitzende entschuldigt sich, daß er wegen körperlicher
Indisposition nicht mit ganz klarer Stimme pnblizire. Er entschuldigt sich,
daß er mir einen „Überblick der Gründe" gebe, indem er darauf hinweist, daß
das Gesetz ihn nur zur Mitteilung des Wesentlichen verpflichte. (Beiläufig be¬
merkt, ist dieser Überblick sehr ausführlich ausgefallen.) Dann wird der Prozeß
als ein Partei- und Teudenzprozeß bezeichnet, bei dem, wie die Richter voraus -
gesehen, die Wogen der Leidenschaft und Leidenschaftlichkeit hochgegangen seien.
An den sittlichen Wert eines politischen Gegners habe die scharf eingehende
und scharf einschneidende Sonde gelegt werden müssen. Unbeirrt von Leiden¬
schaft und Leidenschaftlichkeit, unbeirrt von dem, was das Parteitreiben da draußen
verlangte, sei es Aufgabe des Gerichts gewesen, aus der förmlichen Mosaik von
Beweisen das Rechte herauszufinden, die Spreu von dem Weizen zu sondern
und auszuscheiden. Das Ergebnis dieser Ausscheidung solle jetzt nach einer
gewissenhaften, eingehenden, nahezu achtstündigen Beratung publizirt werden.
Auch am Schluß verfällt das Urteil wieder in diesen Ton. Es wird gesagt,
daß das Gericht nach eingehendster Erwägung, nach vielfach streitenden Für
und Wider schließlich zu der Auffassung gelangt sei, daß der Angeklagte nicht
zu einer Geld-, sondern zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen sei. Aber der
Gerichtshof sei dabei weit unter das beantragte Strafmaß herabgegangen. Der
Angeklagte werde einsehen, daß sie, die Richter, ihn nicht zu hart bestrafen wollen,
und er werde dem Gerichtshöfe das Zeugnis nicht versagen, daß alles, was
irgend nur mit Recht zu seinen Gunsten in die Wagschale geworfen werden
konnte, reiflich und reichlich von ihnen erwogen worden sei. Schließlich wird
im Namen des Gerichtshofes die Hoffnung ausgesprochen, daß diese Konflikte
mit dem Strafgesetze im Leben des Angeklagten die letzten seien. Aus dem
übrigen Inhalte des Urteils wollen wir — andrer schönredenden Wendungen
nicht zu gedenken — nur hervorheben, daß von „dem Falle der gewissermaßen
aus demi Grabe leider wieder erstandenen Esther Solymossi" geredet wird, was
einigermaßen an die aus dem Koffer durchleuchtenden Depeschen des Falles
Arnim erinnert.

Wir sind der Ansicht, daß alle solche Auslassungen eines Gerichts — denn
in dessen Namen redet doch der Vorsitzende vom Übel sind. Das Gericht
braucht das, was es thut, nicht zu rechtfertigen, wenn es nur das Rechte thut.


Grenzboten III. 1835. 2
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[0017] Das richterliche Urteil und die Phrase. erinnerlich, daß (nach Zeitungsberichten) das Urteil sagte: „Die Handlungsweise der Angeklagten ist eine so unerhörte, daß man sie kaum für glaublich hält, wenn sie nicht durch die dreitägige Verhandlung bestätigt worden wäre. Nach¬ dem die Gesetzgebung schon lauge den mittelalterlichen Schandpfahl abgeschafft hat, haben die Angeklagten einen modernen Preß - Schandpfahl konstruirt, an welchen zahlungsfähige Menschen gestellt wurden" u. s. w. Auch das jüngst veröffentlichte Urteil huldigt dieser Richtung. Es ent¬ hält zuvörderst wieder eine Einleitung, ganz in dem oratorischen Stile des Arnim-Prozesses. Der Vorsitzende entschuldigt sich, daß er wegen körperlicher Indisposition nicht mit ganz klarer Stimme pnblizire. Er entschuldigt sich, daß er mir einen „Überblick der Gründe" gebe, indem er darauf hinweist, daß das Gesetz ihn nur zur Mitteilung des Wesentlichen verpflichte. (Beiläufig be¬ merkt, ist dieser Überblick sehr ausführlich ausgefallen.) Dann wird der Prozeß als ein Partei- und Teudenzprozeß bezeichnet, bei dem, wie die Richter voraus - gesehen, die Wogen der Leidenschaft und Leidenschaftlichkeit hochgegangen seien. An den sittlichen Wert eines politischen Gegners habe die scharf eingehende und scharf einschneidende Sonde gelegt werden müssen. Unbeirrt von Leiden¬ schaft und Leidenschaftlichkeit, unbeirrt von dem, was das Parteitreiben da draußen verlangte, sei es Aufgabe des Gerichts gewesen, aus der förmlichen Mosaik von Beweisen das Rechte herauszufinden, die Spreu von dem Weizen zu sondern und auszuscheiden. Das Ergebnis dieser Ausscheidung solle jetzt nach einer gewissenhaften, eingehenden, nahezu achtstündigen Beratung publizirt werden. Auch am Schluß verfällt das Urteil wieder in diesen Ton. Es wird gesagt, daß das Gericht nach eingehendster Erwägung, nach vielfach streitenden Für und Wider schließlich zu der Auffassung gelangt sei, daß der Angeklagte nicht zu einer Geld-, sondern zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen sei. Aber der Gerichtshof sei dabei weit unter das beantragte Strafmaß herabgegangen. Der Angeklagte werde einsehen, daß sie, die Richter, ihn nicht zu hart bestrafen wollen, und er werde dem Gerichtshöfe das Zeugnis nicht versagen, daß alles, was irgend nur mit Recht zu seinen Gunsten in die Wagschale geworfen werden konnte, reiflich und reichlich von ihnen erwogen worden sei. Schließlich wird im Namen des Gerichtshofes die Hoffnung ausgesprochen, daß diese Konflikte mit dem Strafgesetze im Leben des Angeklagten die letzten seien. Aus dem übrigen Inhalte des Urteils wollen wir — andrer schönredenden Wendungen nicht zu gedenken — nur hervorheben, daß von „dem Falle der gewissermaßen aus demi Grabe leider wieder erstandenen Esther Solymossi" geredet wird, was einigermaßen an die aus dem Koffer durchleuchtenden Depeschen des Falles Arnim erinnert. Wir sind der Ansicht, daß alle solche Auslassungen eines Gerichts — denn in dessen Namen redet doch der Vorsitzende vom Übel sind. Das Gericht braucht das, was es thut, nicht zu rechtfertigen, wenn es nur das Rechte thut. Grenzboten III. 1835. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/17>, abgerufen am 28.07.2024.