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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das richterliche Urteil und die Phrase.

bemächtigen, welche auf die Zuhörer, und wenn uicht auf diese, doch auf die
Öffentlichkeit, vor welcher man redet, einen Eindruck zu machen geeignet er¬
scheinen. Eingeleitet wird die Parlamentsrede in der Regel mit einer o-rxtickio
d<MöV0lentig.<z, die dann auch öfters am Schlüsse wiederkehrt. Bei der Sach¬
erörterung aber will der Redner uicht allein als sachkundiger, sondern vor allem
auch als geistreicher Mann glänzen. Er schmückt also seine Rede, wo sich irgend
Gelegenheit dazu bietet, mit allerhand geistreichen Zuthaten. Auf diese Weise
hat die Phrase in unserm öffentlichen Leben eine nicht unbedeutende Herrschaft
gewonnen. Diese Übung ist dann seit der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des
Gerichtsverfahrens aus den Parlamenten auch in die Gerichtssäle übergegangen.
Der Anwalt, zumal wo er vor Geschwornen redet, aber auch in andern Sachen,
die das öffentliche Interesse in Anspruch nehmen, ist bemüht, durch oratorische
Künste jeder Art die Sache seines Klienten zu fördern. Und auch der Staats-
anwalt greift, sei es aus persönlicher Neigung, sei es, um den ihm gegenüber¬
stehenden Anwälten es gleich zu thun, oft zu diesen Mitteln. An dieser ganzen
Sachbehcmdlung ist nun, wenn sie auch den wahren Interessen der Justiz wenig
entspricht, nichts ab- und nichts zuzuthun; wir müssen sie als eine Folge be¬
stehender Einrichtungen hinnehmen. Widerspruch erheben aber müssen wir da¬
gegen, wenn nun auch der Richter sich von dieser Tendenz anstecken läßt und
sich berufen fühlt, sein Urteil in der beliebten Form oratvrischer Leistungen zu
geben. Möglichste Einfachheit in der Form und strengste Einhaltung innerhalb
der Grenzen dessen, was zur rechtlichen Beurteilung der Sache gehört, das ist
es, was dem richterlichen Urteil seine Würde giebt.

Leider finden wir in neuerer Zeit das Bewußtsein hiervon innerhalb unsers
Richterstandes im Schwinden begriffen. Erinnern wir uns des Urteils in dem
Prozesse Arnim. Es enthielt eine Einleitung, worin die Rede war von den
"vielen Richtern außerhalb des Gerichtshofes, die in dieser Sache sich berufen
gewähnt, ihr Urteil abzugeben," von den "hochgehenden Wogen der Leidenschaft,
die selbst bis an sonst unerreichbare Stellen mit ihrem Gischte hinansge-
schlagen" u. s. w. Es wurde von den Interessen gesprochen, welche sich an diesen
Prozeß knüpfen, dann aber gesagt, daß "alle diese Interessen für den Richter
nur die Staffage und Szenerie des Dramas bilden; während es seine schwere
Aufgabe sei, die nackte, trockne Handlung selbst, frei von allem Ausschmücke,
entkleidet von allem jenen interessevollen Beiwerk, unter sein kritisches Sezir-
messer zu bringen, unbekümmert um die Wunden, die seine Schnitte hervorrufen
möchten, als einziges Hilfsmittel in der Hand nur noch das Gesetz." Aus dein
wettern Verlaufe des Urteils wird wohl vielen noch in der Erinnerung sein, daß
darin unter anderm von Depeschen geredet wurde "über eine so brennende Frage,
daß sie auch durch die Wände des ungeöffneten Koffers hindurchleuchten mußten."

Aus einem vor zwei Jahren verhandelten Prozesse, der unter dem Namen
des Erpressungsprozesses des "Unabhängigen" viel besprochen wurde, ist uns noch


Das richterliche Urteil und die Phrase.

bemächtigen, welche auf die Zuhörer, und wenn uicht auf diese, doch auf die
Öffentlichkeit, vor welcher man redet, einen Eindruck zu machen geeignet er¬
scheinen. Eingeleitet wird die Parlamentsrede in der Regel mit einer o-rxtickio
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erörterung aber will der Redner uicht allein als sachkundiger, sondern vor allem
auch als geistreicher Mann glänzen. Er schmückt also seine Rede, wo sich irgend
Gelegenheit dazu bietet, mit allerhand geistreichen Zuthaten. Auf diese Weise
hat die Phrase in unserm öffentlichen Leben eine nicht unbedeutende Herrschaft
gewonnen. Diese Übung ist dann seit der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des
Gerichtsverfahrens aus den Parlamenten auch in die Gerichtssäle übergegangen.
Der Anwalt, zumal wo er vor Geschwornen redet, aber auch in andern Sachen,
die das öffentliche Interesse in Anspruch nehmen, ist bemüht, durch oratorische
Künste jeder Art die Sache seines Klienten zu fördern. Und auch der Staats-
anwalt greift, sei es aus persönlicher Neigung, sei es, um den ihm gegenüber¬
stehenden Anwälten es gleich zu thun, oft zu diesen Mitteln. An dieser ganzen
Sachbehcmdlung ist nun, wenn sie auch den wahren Interessen der Justiz wenig
entspricht, nichts ab- und nichts zuzuthun; wir müssen sie als eine Folge be¬
stehender Einrichtungen hinnehmen. Widerspruch erheben aber müssen wir da¬
gegen, wenn nun auch der Richter sich von dieser Tendenz anstecken läßt und
sich berufen fühlt, sein Urteil in der beliebten Form oratvrischer Leistungen zu
geben. Möglichste Einfachheit in der Form und strengste Einhaltung innerhalb
der Grenzen dessen, was zur rechtlichen Beurteilung der Sache gehört, das ist
es, was dem richterlichen Urteil seine Würde giebt.

Leider finden wir in neuerer Zeit das Bewußtsein hiervon innerhalb unsers
Richterstandes im Schwinden begriffen. Erinnern wir uns des Urteils in dem
Prozesse Arnim. Es enthielt eine Einleitung, worin die Rede war von den
„vielen Richtern außerhalb des Gerichtshofes, die in dieser Sache sich berufen
gewähnt, ihr Urteil abzugeben," von den „hochgehenden Wogen der Leidenschaft,
die selbst bis an sonst unerreichbare Stellen mit ihrem Gischte hinansge-
schlagen" u. s. w. Es wurde von den Interessen gesprochen, welche sich an diesen
Prozeß knüpfen, dann aber gesagt, daß „alle diese Interessen für den Richter
nur die Staffage und Szenerie des Dramas bilden; während es seine schwere
Aufgabe sei, die nackte, trockne Handlung selbst, frei von allem Ausschmücke,
entkleidet von allem jenen interessevollen Beiwerk, unter sein kritisches Sezir-
messer zu bringen, unbekümmert um die Wunden, die seine Schnitte hervorrufen
möchten, als einziges Hilfsmittel in der Hand nur noch das Gesetz." Aus dein
wettern Verlaufe des Urteils wird wohl vielen noch in der Erinnerung sein, daß
darin unter anderm von Depeschen geredet wurde „über eine so brennende Frage,
daß sie auch durch die Wände des ungeöffneten Koffers hindurchleuchten mußten."

Aus einem vor zwei Jahren verhandelten Prozesse, der unter dem Namen
des Erpressungsprozesses des „Unabhängigen" viel besprochen wurde, ist uns noch


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[0016] Das richterliche Urteil und die Phrase. bemächtigen, welche auf die Zuhörer, und wenn uicht auf diese, doch auf die Öffentlichkeit, vor welcher man redet, einen Eindruck zu machen geeignet er¬ scheinen. Eingeleitet wird die Parlamentsrede in der Regel mit einer o-rxtickio d<MöV0lentig.<z, die dann auch öfters am Schlüsse wiederkehrt. Bei der Sach¬ erörterung aber will der Redner uicht allein als sachkundiger, sondern vor allem auch als geistreicher Mann glänzen. Er schmückt also seine Rede, wo sich irgend Gelegenheit dazu bietet, mit allerhand geistreichen Zuthaten. Auf diese Weise hat die Phrase in unserm öffentlichen Leben eine nicht unbedeutende Herrschaft gewonnen. Diese Übung ist dann seit der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens aus den Parlamenten auch in die Gerichtssäle übergegangen. Der Anwalt, zumal wo er vor Geschwornen redet, aber auch in andern Sachen, die das öffentliche Interesse in Anspruch nehmen, ist bemüht, durch oratorische Künste jeder Art die Sache seines Klienten zu fördern. Und auch der Staats- anwalt greift, sei es aus persönlicher Neigung, sei es, um den ihm gegenüber¬ stehenden Anwälten es gleich zu thun, oft zu diesen Mitteln. An dieser ganzen Sachbehcmdlung ist nun, wenn sie auch den wahren Interessen der Justiz wenig entspricht, nichts ab- und nichts zuzuthun; wir müssen sie als eine Folge be¬ stehender Einrichtungen hinnehmen. Widerspruch erheben aber müssen wir da¬ gegen, wenn nun auch der Richter sich von dieser Tendenz anstecken läßt und sich berufen fühlt, sein Urteil in der beliebten Form oratvrischer Leistungen zu geben. Möglichste Einfachheit in der Form und strengste Einhaltung innerhalb der Grenzen dessen, was zur rechtlichen Beurteilung der Sache gehört, das ist es, was dem richterlichen Urteil seine Würde giebt. Leider finden wir in neuerer Zeit das Bewußtsein hiervon innerhalb unsers Richterstandes im Schwinden begriffen. Erinnern wir uns des Urteils in dem Prozesse Arnim. Es enthielt eine Einleitung, worin die Rede war von den „vielen Richtern außerhalb des Gerichtshofes, die in dieser Sache sich berufen gewähnt, ihr Urteil abzugeben," von den „hochgehenden Wogen der Leidenschaft, die selbst bis an sonst unerreichbare Stellen mit ihrem Gischte hinansge- schlagen" u. s. w. Es wurde von den Interessen gesprochen, welche sich an diesen Prozeß knüpfen, dann aber gesagt, daß „alle diese Interessen für den Richter nur die Staffage und Szenerie des Dramas bilden; während es seine schwere Aufgabe sei, die nackte, trockne Handlung selbst, frei von allem Ausschmücke, entkleidet von allem jenen interessevollen Beiwerk, unter sein kritisches Sezir- messer zu bringen, unbekümmert um die Wunden, die seine Schnitte hervorrufen möchten, als einziges Hilfsmittel in der Hand nur noch das Gesetz." Aus dein wettern Verlaufe des Urteils wird wohl vielen noch in der Erinnerung sein, daß darin unter anderm von Depeschen geredet wurde „über eine so brennende Frage, daß sie auch durch die Wände des ungeöffneten Koffers hindurchleuchten mußten." Aus einem vor zwei Jahren verhandelten Prozesse, der unter dem Namen des Erpressungsprozesses des „Unabhängigen" viel besprochen wurde, ist uns noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/16>, abgerufen am 27.07.2024.