Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Alberto von Puttkamer. Aus dem einsamen Apfelbaum im engen Hausgarten macht sie sich, wie sie es Seht, was ich spielt!, blonde, fremde Frau, Alberto von Puttkamer. Aus dem einsamen Apfelbaum im engen Hausgarten macht sie sich, wie sie es Seht, was ich spielt!, blonde, fremde Frau, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196230"/> <fw type="header" place="top"> Alberto von Puttkamer.</fw><lb/> <p xml:id="ID_460" prev="#ID_459" next="#ID_461"> Aus dem einsamen Apfelbaum im engen Hausgarten macht sie sich, wie sie es<lb/> eben in einem alten, zerblätterten Buche gelesen hatte, die Weltesche, sie selbst<lb/> ist die Rome darunter, und nachts glaubt sie oft den Midgardwurm im Monden¬<lb/> licht am Apfelbaume zu sehen. Ihr lebhafter musikalischer Sinn steigert noch<lb/> ihre Sensibilität. Wie sie in dem oben zitirten Osterbild durch die Kirchenmusik<lb/> in Träume versenkt wird, so schreibt sie ein andermal ein Gedicht „Als ich<lb/> eine Tanzmelodie aus der Kinderzeit hörte," oder sie erzählt eine Geschichte von<lb/> einem jungen Paare, das ein süßes, enges Band verknüpft, ohne daß sie mit¬<lb/> einander noch je gesprochen haben: In Liedern nnr und in Tönen, da haben sie<lb/> alles gesagt. Musik scheint ihre Lieblingskunst zu fein und von den Komponisten,<lb/> was auch bezeichnend ist, der schwermütige Salonmann Chopin sie am meisten<lb/> zu interessiren. Sie widmet ihm ein Gedicht, dem sie in geistreicher Wahl die<lb/> ersten sehr charakteristischen Takte der Mazurka ox. 24 Ur. 4 voranstellt. In<lb/> einem reich ausgestattete» Gemach spielt der bleiche, schöne Mann der holden<lb/> Herrin des Hauses vor. Sie sind allein. Da fragt sie ihn, warum er denn<lb/> immer nur seine „Schmcrzensmelodien, den dunkeln Sehnsuchtsdrang, den Schwung<lb/> der Lust, das Lächeln goldnen Glücks, im eiteln Tanzesschritt, im Walzertakt,<lb/> im wilden Rhythmus der Mazurka" schreibe? Und Chopin erwiedert, die Hand<lb/> immer auf den Klaviertasten:</p><lb/> <quote> Seht, was ich spielt!, blonde, fremde Frau,<lb/> Ist nur dus Leben, wie es rast und ringt.<lb/> Der Tänzer, nennt „Gefühl" ihn, reißt euch hiu<lb/> Ju heißem Arm zum großen Lebenstanz.<lb/> Erst wiegt er euch gelind; der Fuß berührt<lb/> Deu schiveren Boden kaum; die Sehnsucht giebt<lb/> Euch guldue Flügelpaare, und das Glück<lb/> Fliegt wie ein Heller Schmetterling vorauf —<lb/> Doch plötzlich rast der Takt — das Leben spielt<lb/> In tollen Tönen auf; der Wirbel reißt<lb/> Euch hin, daß ihr ihm heiß eratmend folgt. . .<lb/> Ein andrer Tänzer, nennt ihn „Leidenschaft,"<lb/> Nennt ihn die „Liebe" oder wie ihr wollt,<lb/> Ergreift euch nun. Die Melodie wird heiß<lb/> Wie sein Umarmen, rastlos wie sein Schritt.<lb/> Hört ihr's in meinem Ton? sein Auge glüht,<lb/> Sein Mund lacht auf in übersel'gen Schrei —<lb/> Hört den Akkord und den! Das ist die Lust!<lb/> So ruft die Lust aus letztem Seelensgruud!<lb/> Ihr biegt euch ab — ihr werdet atemlos —<lb/> Euch stockt der Lebeuspuls vor Bangigkeit. . .<lb/> Der Tänzer „Leidenschaft" reißt weiter euch ^<lb/> Herauf, herab, durch duftend Gartenland,<lb/> In tief verschwiegnen Wald zu kurzer Rast,<lb/> Durch Fcstessäle, über Gräber hin,</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
Alberto von Puttkamer.
Aus dem einsamen Apfelbaum im engen Hausgarten macht sie sich, wie sie es
eben in einem alten, zerblätterten Buche gelesen hatte, die Weltesche, sie selbst
ist die Rome darunter, und nachts glaubt sie oft den Midgardwurm im Monden¬
licht am Apfelbaume zu sehen. Ihr lebhafter musikalischer Sinn steigert noch
ihre Sensibilität. Wie sie in dem oben zitirten Osterbild durch die Kirchenmusik
in Träume versenkt wird, so schreibt sie ein andermal ein Gedicht „Als ich
eine Tanzmelodie aus der Kinderzeit hörte," oder sie erzählt eine Geschichte von
einem jungen Paare, das ein süßes, enges Band verknüpft, ohne daß sie mit¬
einander noch je gesprochen haben: In Liedern nnr und in Tönen, da haben sie
alles gesagt. Musik scheint ihre Lieblingskunst zu fein und von den Komponisten,
was auch bezeichnend ist, der schwermütige Salonmann Chopin sie am meisten
zu interessiren. Sie widmet ihm ein Gedicht, dem sie in geistreicher Wahl die
ersten sehr charakteristischen Takte der Mazurka ox. 24 Ur. 4 voranstellt. In
einem reich ausgestattete» Gemach spielt der bleiche, schöne Mann der holden
Herrin des Hauses vor. Sie sind allein. Da fragt sie ihn, warum er denn
immer nur seine „Schmcrzensmelodien, den dunkeln Sehnsuchtsdrang, den Schwung
der Lust, das Lächeln goldnen Glücks, im eiteln Tanzesschritt, im Walzertakt,
im wilden Rhythmus der Mazurka" schreibe? Und Chopin erwiedert, die Hand
immer auf den Klaviertasten:
Seht, was ich spielt!, blonde, fremde Frau,
Ist nur dus Leben, wie es rast und ringt.
Der Tänzer, nennt „Gefühl" ihn, reißt euch hiu
Ju heißem Arm zum großen Lebenstanz.
Erst wiegt er euch gelind; der Fuß berührt
Deu schiveren Boden kaum; die Sehnsucht giebt
Euch guldue Flügelpaare, und das Glück
Fliegt wie ein Heller Schmetterling vorauf —
Doch plötzlich rast der Takt — das Leben spielt
In tollen Tönen auf; der Wirbel reißt
Euch hin, daß ihr ihm heiß eratmend folgt. . .
Ein andrer Tänzer, nennt ihn „Leidenschaft,"
Nennt ihn die „Liebe" oder wie ihr wollt,
Ergreift euch nun. Die Melodie wird heiß
Wie sein Umarmen, rastlos wie sein Schritt.
Hört ihr's in meinem Ton? sein Auge glüht,
Sein Mund lacht auf in übersel'gen Schrei —
Hört den Akkord und den! Das ist die Lust!
So ruft die Lust aus letztem Seelensgruud!
Ihr biegt euch ab — ihr werdet atemlos —
Euch stockt der Lebeuspuls vor Bangigkeit. . .
Der Tänzer „Leidenschaft" reißt weiter euch ^
Herauf, herab, durch duftend Gartenland,
In tief verschwiegnen Wald zu kurzer Rast,
Durch Fcstessäle, über Gräber hin,
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