Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Alberta von Puttkamor. Christus in Begleitung seiner Jünger in Jerusalem einzieht und die Häscher
Nicht minder kritisch ist das Versälle" der Dichterin gegen ihre nächste
Und das Mädchen gedieh, daß sie es selbst kaum wieder erkannte, denn:
So trotzig sie sich aber auch, um ihren eignen Ausdruck zu gebrauchen,
Grenzboten III. 1386. 16
Alberta von Puttkamor. Christus in Begleitung seiner Jünger in Jerusalem einzieht und die Häscher
Nicht minder kritisch ist das Versälle» der Dichterin gegen ihre nächste
Und das Mädchen gedieh, daß sie es selbst kaum wieder erkannte, denn:
So trotzig sie sich aber auch, um ihren eignen Ausdruck zu gebrauchen,
Grenzboten III. 1386. 16
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196229"/> <fw type="header" place="top"> Alberta von Puttkamor.</fw><lb/> <p xml:id="ID_456" prev="#ID_455"> Christus in Begleitung seiner Jünger in Jerusalem einzieht und die Häscher<lb/> den „sanften Gott" gefangen nehmen. Daran knüpft sie die Reflexion:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l> Wohl gingen mehr denn tausend Jahr blutarm,<lb/> Seitdem das Gottcsblut für sie entrann,<lb/> Doch, dünkt's mich, steht sie sdie Weites in derselben Schuld<lb/> Noch heute vor dem Manne der Geduld,<lb/> Sie schlagt noch heut das Herrliche an's Kreuz,<lb/> Sie häuft noch heut mit fürchterlichem Geiz<lb/> Die Silberlinge lächelnd zum Verrat,<lb/> Und siegelt wohl mit Küssen gar die That.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Nicht minder kritisch ist das Versälle» der Dichterin gegen ihre nächste<lb/> Umgebung. Die Luft des Salons, in der sie aufgewachsen ist und die immer¬<lb/> hin, vielleicht ihr unbewußt, durch alle ihre Verse streicht, diese Luft erklärt sie<lb/> für ein Hindernis gesunden Gedeihens. In dem hübschen Gedicht „Gerettet"<lb/> erzählt sie, wie sie einst eine „blasse, kuvspenjuuge Blume" in einem prunkhaft<lb/> weiten Saale, mit breiten Würzelein in einer engen Schale, fand, die frische<lb/> Erde lag spärlich drüber in dem kostbaren Gefäß, das sie umschloß: Ein golden<lb/> Haus! und doch im Martertume. Da nahm sie die welkende Blüte mit sich<lb/> und löste sie aus dem dumpfen Zauberkreise. Dann fährt sie fort:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_6" type="poem"> <l> So fand ich einst anch eine Menschenblute<lb/> Und trat zu ihr in liebesstillcr Weise.</l> <l> Wie sie in ungcwcckter Kraft erglühte,<lb/> Sehnsucht nach Sonne in dem kleinen Herzen,<lb/> Wie sie sich angstvoll aus der Sphäre mühte,</l> <l> Die nichts ihr gab, als falsche Glut von Kerzen<lb/> Und sie umschmeichelte mit schwülem Duft?<lb/> Und wie sie endlich matt ward von den Schmerzen,</l> <l> Da trug ich sie in lcnzesgoldne Luft,<lb/> Und löste ihres Daseins Wurzeln sacht<lb/> Aus jener gleißenden, doch engen Kluft.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> Und das Mädchen gedieh, daß sie es selbst kaum wieder erkannte, denn:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l> Ein wundervoller Trieb vom Lebensbaum<lb/> — Dies Eine fühlt ich überwältigt nur —<lb/> Ward so zurückvcfreit aus engem Raum<lb/> Und falschem Prunk zur glücklichsten Natur!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_459" next="#ID_460"> So trotzig sie sich aber auch, um ihren eignen Ausdruck zu gebrauchen,<lb/> gegen die Außenwelt verhält, so empfänglich ist sie für alle Eindrücke, die von<lb/> dieser kommen — eine Empfänglichkeit, die sich bis zur Nervosität steigert. Sie<lb/> schildert sich als ein frühreifes Kind mit einer lebhaften Phantasie begabt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <l> Ich weiß, ick war ein ängstig einsam Kind<lb/> Mit sonderbaren heimatlosen Augen.<lb/> Die mochten wenig wohl zum Fröhlichsein,<lb/> Und desto mehr zu Traum und Thränen taugen.</l> </lg> </quote><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1386. 16</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
Alberta von Puttkamor.
Christus in Begleitung seiner Jünger in Jerusalem einzieht und die Häscher
den „sanften Gott" gefangen nehmen. Daran knüpft sie die Reflexion:
Wohl gingen mehr denn tausend Jahr blutarm,
Seitdem das Gottcsblut für sie entrann,
Doch, dünkt's mich, steht sie sdie Weites in derselben Schuld
Noch heute vor dem Manne der Geduld,
Sie schlagt noch heut das Herrliche an's Kreuz,
Sie häuft noch heut mit fürchterlichem Geiz
Die Silberlinge lächelnd zum Verrat,
Und siegelt wohl mit Küssen gar die That.
Nicht minder kritisch ist das Versälle» der Dichterin gegen ihre nächste
Umgebung. Die Luft des Salons, in der sie aufgewachsen ist und die immer¬
hin, vielleicht ihr unbewußt, durch alle ihre Verse streicht, diese Luft erklärt sie
für ein Hindernis gesunden Gedeihens. In dem hübschen Gedicht „Gerettet"
erzählt sie, wie sie einst eine „blasse, kuvspenjuuge Blume" in einem prunkhaft
weiten Saale, mit breiten Würzelein in einer engen Schale, fand, die frische
Erde lag spärlich drüber in dem kostbaren Gefäß, das sie umschloß: Ein golden
Haus! und doch im Martertume. Da nahm sie die welkende Blüte mit sich
und löste sie aus dem dumpfen Zauberkreise. Dann fährt sie fort:
So fand ich einst anch eine Menschenblute
Und trat zu ihr in liebesstillcr Weise. Wie sie in ungcwcckter Kraft erglühte,
Sehnsucht nach Sonne in dem kleinen Herzen,
Wie sie sich angstvoll aus der Sphäre mühte, Die nichts ihr gab, als falsche Glut von Kerzen
Und sie umschmeichelte mit schwülem Duft?
Und wie sie endlich matt ward von den Schmerzen, Da trug ich sie in lcnzesgoldne Luft,
Und löste ihres Daseins Wurzeln sacht
Aus jener gleißenden, doch engen Kluft.
Und das Mädchen gedieh, daß sie es selbst kaum wieder erkannte, denn:
Ein wundervoller Trieb vom Lebensbaum
— Dies Eine fühlt ich überwältigt nur —
Ward so zurückvcfreit aus engem Raum
Und falschem Prunk zur glücklichsten Natur!
So trotzig sie sich aber auch, um ihren eignen Ausdruck zu gebrauchen,
gegen die Außenwelt verhält, so empfänglich ist sie für alle Eindrücke, die von
dieser kommen — eine Empfänglichkeit, die sich bis zur Nervosität steigert. Sie
schildert sich als ein frühreifes Kind mit einer lebhaften Phantasie begabt:
Ich weiß, ick war ein ängstig einsam Kind
Mit sonderbaren heimatlosen Augen.
Die mochten wenig wohl zum Fröhlichsein,
Und desto mehr zu Traum und Thränen taugen.
Grenzboten III. 1386. 16
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