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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Nachtigal in Tunis.

ich war in aufreibender Thätigkeit mit Kugelausschneiden, Arterienunterbinden
und Verbinden beschäftigt. Mit aufgehender Sonne hatten wir den das Lager
beherrschenden Hügel besetzt und verlegten das Schlachtfeld weiter hinaus. Es war
dies ein letzter Versuch des Feindes, das Terrain zu behaupten, denn das Schlacht¬
feld liegt keine zwei Meilen von der französischen Grenze; der Rebell und seine Leute
bekundeten also eine ungewöhnliche Hartnäckigkeit. In der Vorahnung dessen hatte
General Rnstan an den Thronfolger, der auf seinem Wege nach dem Dattellaudc
in einiger Entfernung vorbeipassirte, geschrieben, und dieser traf glücklicherweise
mit 2000 Djallons gerade im Momente des heißesten Gefechtes ein und schlug mit
unsern Truppen vereint die Insurgenten völlig aufs Haupt. Wir ermordeten an
diesem Tage über 500 Mann und verloren nur zehn, von denen fünf unter meiner
Behandlung ihr Leben aushauchten. Die übrigen Verwundeten genasen, ohne
daß ich behaupten möchte, es sei dies durch meine Hilfe geschehen. Um Mittag
war die Sache soweit entschieden, daß wir mit dem ganzen Lager nachrücken
konnten. Ich werde diesen Marsch nie vergessen mit seinen schmerzlichen Ein¬
drücken, seinen schaudervollen Szenen. Durch Blutlachen und zwischen Leichen
zogen wir etwa eine Meile weiter, um unsern erschöpften Körpern Ruhe zu gönnen.
Fast alle zehn bis zwanzig Schritte verlegten einige Tote den Weg oder krümmten
sich Schiververwundete in Todesschmerzen. Viele genossen als trauriges End¬
schauspiel ihres ruhmlosen Lebens den schmerzlichen Anblick ihres gefallenen Bruders
oder Freundes, dem einer den Kopf als Siegeszeichen abschnitt. Ich bin wohl
zwanzigmal vom Pferde gestiegen, um die uoch Lebende" zu untersuchen, ihnen
ein wenig Wasser zu verschaffen, doch ohne jemals etwas für sie thun zu können.
Niemand bekümmert sich um sie. Und sie selbst finden dies ganz in der Ordnung,
Wohl wissend, daß sie es mit den gefallenen Feinden nicht besser machen würden.
Allen Toten, Verwundeten, Gefangnen werden von den Siegern sofort die Kleider
geraubt, bis auf ein Stück Hemd oder Leinen, das die sehr weit getriebene Scham-
haftigkeit der Araber nicht zu nehmen gestattet. Denkt euch die Verwundeten ohne
alles Labsal, ohne Hilfe, ohne Lager, ohne Kleidung, ausgesetzt einer Kälte von
zwei bis sechs Grad! Noch nach Tagen, als ich die Ruinen von Haidra besuchte,
fand ich in ihren Schlupfwinkeln Halbverhungerte, Verwundete, die dort, um der
Gefangenschaft und den Mißhandlungen der Sieger zu entgehen, Schutz suchten.
Denn Gefangne genießen gewohnheitsgemäß die schlechteste Behandlung. Jeder
Vorübergehende schimpft sie, schlägt sie, stößt sie, sodaß ich manchmal mit Gewalt
einen vorübergeführten Gefangnen seinen Peinigern zu entreißen suchte.

Indessen verfolgten die dem Lager des Thronfolgers angehörigen Hilfsreiter
den flüchtigen Feind gegen Süden hin. Sie waren am Tage vorher mit Sonnen¬
untergang von ihrem Lager aufgebrochen, die ganze Nacht auf dem Pferde ge¬
wesen, am Morgen in den Kampf gegangen, alles ohne Nahrung für sich und ihre
Tiere. Sie kämpften den halben Tag durch und begaben sich dann ohne alle Rast
oder Erquickung auf die Verfolgung, etwa acht bis zehn Stunden weit. Weder
Roß noch Reiter in unsern Ländern sind einer solchen Entsagung fähig. Der
Araber ist wirklich der beste Reiter der Welt, wie der Kabyle der beste Schütze
ist. Und dies konnte auch eine Revolution in einem Lande von nicht zwei Mil¬
lionen Einwohnern so bedenklich machen, daß jeder von fünfzehn Jahren bis zu
siebzig Soldat ist, der eine besser als Reiter und im Gesamtkampf, der andre besser
einzeln im Guerillakrieg der Gebirge. In der Höhe von Tebessa endlich ging
Ben Grhdahum über die algerische Grenze, von den Franzosen, als dem tunesischen
Gouvernement nicht gerade freundlich gesinnt, Schutz hoffend. Diese haben ihn


Gustav Nachtigal in Tunis.

ich war in aufreibender Thätigkeit mit Kugelausschneiden, Arterienunterbinden
und Verbinden beschäftigt. Mit aufgehender Sonne hatten wir den das Lager
beherrschenden Hügel besetzt und verlegten das Schlachtfeld weiter hinaus. Es war
dies ein letzter Versuch des Feindes, das Terrain zu behaupten, denn das Schlacht¬
feld liegt keine zwei Meilen von der französischen Grenze; der Rebell und seine Leute
bekundeten also eine ungewöhnliche Hartnäckigkeit. In der Vorahnung dessen hatte
General Rnstan an den Thronfolger, der auf seinem Wege nach dem Dattellaudc
in einiger Entfernung vorbeipassirte, geschrieben, und dieser traf glücklicherweise
mit 2000 Djallons gerade im Momente des heißesten Gefechtes ein und schlug mit
unsern Truppen vereint die Insurgenten völlig aufs Haupt. Wir ermordeten an
diesem Tage über 500 Mann und verloren nur zehn, von denen fünf unter meiner
Behandlung ihr Leben aushauchten. Die übrigen Verwundeten genasen, ohne
daß ich behaupten möchte, es sei dies durch meine Hilfe geschehen. Um Mittag
war die Sache soweit entschieden, daß wir mit dem ganzen Lager nachrücken
konnten. Ich werde diesen Marsch nie vergessen mit seinen schmerzlichen Ein¬
drücken, seinen schaudervollen Szenen. Durch Blutlachen und zwischen Leichen
zogen wir etwa eine Meile weiter, um unsern erschöpften Körpern Ruhe zu gönnen.
Fast alle zehn bis zwanzig Schritte verlegten einige Tote den Weg oder krümmten
sich Schiververwundete in Todesschmerzen. Viele genossen als trauriges End¬
schauspiel ihres ruhmlosen Lebens den schmerzlichen Anblick ihres gefallenen Bruders
oder Freundes, dem einer den Kopf als Siegeszeichen abschnitt. Ich bin wohl
zwanzigmal vom Pferde gestiegen, um die uoch Lebende» zu untersuchen, ihnen
ein wenig Wasser zu verschaffen, doch ohne jemals etwas für sie thun zu können.
Niemand bekümmert sich um sie. Und sie selbst finden dies ganz in der Ordnung,
Wohl wissend, daß sie es mit den gefallenen Feinden nicht besser machen würden.
Allen Toten, Verwundeten, Gefangnen werden von den Siegern sofort die Kleider
geraubt, bis auf ein Stück Hemd oder Leinen, das die sehr weit getriebene Scham-
haftigkeit der Araber nicht zu nehmen gestattet. Denkt euch die Verwundeten ohne
alles Labsal, ohne Hilfe, ohne Lager, ohne Kleidung, ausgesetzt einer Kälte von
zwei bis sechs Grad! Noch nach Tagen, als ich die Ruinen von Haidra besuchte,
fand ich in ihren Schlupfwinkeln Halbverhungerte, Verwundete, die dort, um der
Gefangenschaft und den Mißhandlungen der Sieger zu entgehen, Schutz suchten.
Denn Gefangne genießen gewohnheitsgemäß die schlechteste Behandlung. Jeder
Vorübergehende schimpft sie, schlägt sie, stößt sie, sodaß ich manchmal mit Gewalt
einen vorübergeführten Gefangnen seinen Peinigern zu entreißen suchte.

Indessen verfolgten die dem Lager des Thronfolgers angehörigen Hilfsreiter
den flüchtigen Feind gegen Süden hin. Sie waren am Tage vorher mit Sonnen¬
untergang von ihrem Lager aufgebrochen, die ganze Nacht auf dem Pferde ge¬
wesen, am Morgen in den Kampf gegangen, alles ohne Nahrung für sich und ihre
Tiere. Sie kämpften den halben Tag durch und begaben sich dann ohne alle Rast
oder Erquickung auf die Verfolgung, etwa acht bis zehn Stunden weit. Weder
Roß noch Reiter in unsern Ländern sind einer solchen Entsagung fähig. Der
Araber ist wirklich der beste Reiter der Welt, wie der Kabyle der beste Schütze
ist. Und dies konnte auch eine Revolution in einem Lande von nicht zwei Mil¬
lionen Einwohnern so bedenklich machen, daß jeder von fünfzehn Jahren bis zu
siebzig Soldat ist, der eine besser als Reiter und im Gesamtkampf, der andre besser
einzeln im Guerillakrieg der Gebirge. In der Höhe von Tebessa endlich ging
Ben Grhdahum über die algerische Grenze, von den Franzosen, als dem tunesischen
Gouvernement nicht gerade freundlich gesinnt, Schutz hoffend. Diese haben ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/122>, abgerufen am 24.11.2024.