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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Nachtigal in Tunis.

festgemacht, nach Constantine geführt und warten die Entscheidung des Marschalls
Mac Mahon ab.

Der kriegerische Teil der Expedition war hiermit abgethan, die Steuer¬
eintreibung nahm ihren Fortgang. Sie vollzog sich in gewohnter Langsamkeit.
Der Winter, kälter als die frühern, machte sich im Lager doppelt fühlbar.

Furchtbarer Wind, Schnee, Hagel zwingen uns tagelang, in den Betten zu
bleiben, zerstöre" die Zelte, töten unsre Kameele und setzen das Leben unsrer
Pferde und vieler Kranken in Gefahr. Manche Nächte sterben uns dreißig bis
fünfzig Kameele, deren Konstitution in dieser Hinsicht äußerst delikat ist. Ihr
werdet euch wundern, zu hören, daß wir noch in diesem Monate Wärzj Schnee
und heftige Kälte haben. Das ist subtropisches Klima. Nichtsdestoweniger befinde
ich mich wohl, und während alles um mich hustet, blieb ich frei davon, mehr als
im vorigen Winter in Tunis.

Die wiedergewonnene Gesundheit hatte ihre Probe glänzend bestanden, und
als Basis weiterer Aussichten war vor der Hand wenigstens ein beträchtlicher
moralischer Erfolg errungen.

Wenn ich jemals versucht habe, mich nützlich zu machen und mehr als meine
stritte Pflicht zu thun, wenn ich jemals in meinen Bestrebungen reussirte, so ist
es während der jetzigen Expedition gewesen. Selbst ohne weitern Erfolg würde
ich niemals bedauern, so vielen Menschen von großem Nutzen und vielem Troste
gewesen zu sein. Wir hatten gerade während der Kriegszeit eine Reihe schwerer
Typhnsfälle im Lager, welche ohne meine Anwesenheit wahrscheinlich tötlichen Aus¬
gang gehabt hätten. Nicht als ob ich behaupten wollte, durch meine Medikamente
direkt lcbenrettend in dieser Krankheit helfen zu können, aber die beständige Mühe,
die ich mir gab, die Kranken vor Kälte zu schützen, ihnen Bouillon zu verschaffen
und sie zweckmäßig zu transportiren, ist von glücklichem. Erfolge gekrönt gewesen.
Ich verlor von zwanzig Erkrankten -- und man weiß, wie schwer der Typhus im
Elend des Lagerlebens aufzutreten pflegt -- nur zwei, von denen einer ein alter
Manu War. Die Soldaten wollen, wie ich höre, nach ihrer Rückkehr den Bey
bitten, mich ihnen zu lasten. Die Höherstehenden haben wenigstens bemerkt, daß
mir manches Gute gelungen ist und daß ich mich vor ihren kümmerlichen Gefechten
nicht fürchtete. Letzteres besonders hat mich sehr in ihrer Achtung befestigt, wie
denn physischer Mut auch bei zivilisirtcsten Nationen oft höher geschätzt wird als
edlere Tugenden.

Obwohl sich jedoch Nachtigal namhafter Resultate seiner Kunst erfreuen
durste, gab er doch schon damals wiederholt dem lebhaften Wunsche Ausdruck,
diesem Berufe einst entsagen zu können. Es war die zuweilen übertriebene
peinliche Gewissenhaftigkeit seiner Natur, die ihn an derselben keine rechte Be¬
friedigung finden ließ. Gelegentlich Mißerfolge, wie sie keinem Arzte erspart
bleiben, zehrten an seiner Gemütsruhe. Er nahm daher die Anstellung, welche
er als Lohn für seine Dienste hoffte, nur als Durchgangsstadinm an und eine
Beschäftigung andrer Art in Aussicht.

Wenn ich etwas vom Ackerbau verstünde, so würde ich mich jetzt diesem
widmen. Er ist die einzige naturgemäße Beschäftigung, welche den gebildeten
Menschen fernhält von Habsucht, Ehrsucht, alberner Unterwerfung unter das Urteil


Gustav Nachtigal in Tunis.

festgemacht, nach Constantine geführt und warten die Entscheidung des Marschalls
Mac Mahon ab.

Der kriegerische Teil der Expedition war hiermit abgethan, die Steuer¬
eintreibung nahm ihren Fortgang. Sie vollzog sich in gewohnter Langsamkeit.
Der Winter, kälter als die frühern, machte sich im Lager doppelt fühlbar.

Furchtbarer Wind, Schnee, Hagel zwingen uns tagelang, in den Betten zu
bleiben, zerstöre» die Zelte, töten unsre Kameele und setzen das Leben unsrer
Pferde und vieler Kranken in Gefahr. Manche Nächte sterben uns dreißig bis
fünfzig Kameele, deren Konstitution in dieser Hinsicht äußerst delikat ist. Ihr
werdet euch wundern, zu hören, daß wir noch in diesem Monate Wärzj Schnee
und heftige Kälte haben. Das ist subtropisches Klima. Nichtsdestoweniger befinde
ich mich wohl, und während alles um mich hustet, blieb ich frei davon, mehr als
im vorigen Winter in Tunis.

Die wiedergewonnene Gesundheit hatte ihre Probe glänzend bestanden, und
als Basis weiterer Aussichten war vor der Hand wenigstens ein beträchtlicher
moralischer Erfolg errungen.

Wenn ich jemals versucht habe, mich nützlich zu machen und mehr als meine
stritte Pflicht zu thun, wenn ich jemals in meinen Bestrebungen reussirte, so ist
es während der jetzigen Expedition gewesen. Selbst ohne weitern Erfolg würde
ich niemals bedauern, so vielen Menschen von großem Nutzen und vielem Troste
gewesen zu sein. Wir hatten gerade während der Kriegszeit eine Reihe schwerer
Typhnsfälle im Lager, welche ohne meine Anwesenheit wahrscheinlich tötlichen Aus¬
gang gehabt hätten. Nicht als ob ich behaupten wollte, durch meine Medikamente
direkt lcbenrettend in dieser Krankheit helfen zu können, aber die beständige Mühe,
die ich mir gab, die Kranken vor Kälte zu schützen, ihnen Bouillon zu verschaffen
und sie zweckmäßig zu transportiren, ist von glücklichem. Erfolge gekrönt gewesen.
Ich verlor von zwanzig Erkrankten — und man weiß, wie schwer der Typhus im
Elend des Lagerlebens aufzutreten pflegt — nur zwei, von denen einer ein alter
Manu War. Die Soldaten wollen, wie ich höre, nach ihrer Rückkehr den Bey
bitten, mich ihnen zu lasten. Die Höherstehenden haben wenigstens bemerkt, daß
mir manches Gute gelungen ist und daß ich mich vor ihren kümmerlichen Gefechten
nicht fürchtete. Letzteres besonders hat mich sehr in ihrer Achtung befestigt, wie
denn physischer Mut auch bei zivilisirtcsten Nationen oft höher geschätzt wird als
edlere Tugenden.

Obwohl sich jedoch Nachtigal namhafter Resultate seiner Kunst erfreuen
durste, gab er doch schon damals wiederholt dem lebhaften Wunsche Ausdruck,
diesem Berufe einst entsagen zu können. Es war die zuweilen übertriebene
peinliche Gewissenhaftigkeit seiner Natur, die ihn an derselben keine rechte Be¬
friedigung finden ließ. Gelegentlich Mißerfolge, wie sie keinem Arzte erspart
bleiben, zehrten an seiner Gemütsruhe. Er nahm daher die Anstellung, welche
er als Lohn für seine Dienste hoffte, nur als Durchgangsstadinm an und eine
Beschäftigung andrer Art in Aussicht.

Wenn ich etwas vom Ackerbau verstünde, so würde ich mich jetzt diesem
widmen. Er ist die einzige naturgemäße Beschäftigung, welche den gebildeten
Menschen fernhält von Habsucht, Ehrsucht, alberner Unterwerfung unter das Urteil


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[0123] Gustav Nachtigal in Tunis. festgemacht, nach Constantine geführt und warten die Entscheidung des Marschalls Mac Mahon ab. Der kriegerische Teil der Expedition war hiermit abgethan, die Steuer¬ eintreibung nahm ihren Fortgang. Sie vollzog sich in gewohnter Langsamkeit. Der Winter, kälter als die frühern, machte sich im Lager doppelt fühlbar. Furchtbarer Wind, Schnee, Hagel zwingen uns tagelang, in den Betten zu bleiben, zerstöre» die Zelte, töten unsre Kameele und setzen das Leben unsrer Pferde und vieler Kranken in Gefahr. Manche Nächte sterben uns dreißig bis fünfzig Kameele, deren Konstitution in dieser Hinsicht äußerst delikat ist. Ihr werdet euch wundern, zu hören, daß wir noch in diesem Monate Wärzj Schnee und heftige Kälte haben. Das ist subtropisches Klima. Nichtsdestoweniger befinde ich mich wohl, und während alles um mich hustet, blieb ich frei davon, mehr als im vorigen Winter in Tunis. Die wiedergewonnene Gesundheit hatte ihre Probe glänzend bestanden, und als Basis weiterer Aussichten war vor der Hand wenigstens ein beträchtlicher moralischer Erfolg errungen. Wenn ich jemals versucht habe, mich nützlich zu machen und mehr als meine stritte Pflicht zu thun, wenn ich jemals in meinen Bestrebungen reussirte, so ist es während der jetzigen Expedition gewesen. Selbst ohne weitern Erfolg würde ich niemals bedauern, so vielen Menschen von großem Nutzen und vielem Troste gewesen zu sein. Wir hatten gerade während der Kriegszeit eine Reihe schwerer Typhnsfälle im Lager, welche ohne meine Anwesenheit wahrscheinlich tötlichen Aus¬ gang gehabt hätten. Nicht als ob ich behaupten wollte, durch meine Medikamente direkt lcbenrettend in dieser Krankheit helfen zu können, aber die beständige Mühe, die ich mir gab, die Kranken vor Kälte zu schützen, ihnen Bouillon zu verschaffen und sie zweckmäßig zu transportiren, ist von glücklichem. Erfolge gekrönt gewesen. Ich verlor von zwanzig Erkrankten — und man weiß, wie schwer der Typhus im Elend des Lagerlebens aufzutreten pflegt — nur zwei, von denen einer ein alter Manu War. Die Soldaten wollen, wie ich höre, nach ihrer Rückkehr den Bey bitten, mich ihnen zu lasten. Die Höherstehenden haben wenigstens bemerkt, daß mir manches Gute gelungen ist und daß ich mich vor ihren kümmerlichen Gefechten nicht fürchtete. Letzteres besonders hat mich sehr in ihrer Achtung befestigt, wie denn physischer Mut auch bei zivilisirtcsten Nationen oft höher geschätzt wird als edlere Tugenden. Obwohl sich jedoch Nachtigal namhafter Resultate seiner Kunst erfreuen durste, gab er doch schon damals wiederholt dem lebhaften Wunsche Ausdruck, diesem Berufe einst entsagen zu können. Es war die zuweilen übertriebene peinliche Gewissenhaftigkeit seiner Natur, die ihn an derselben keine rechte Be¬ friedigung finden ließ. Gelegentlich Mißerfolge, wie sie keinem Arzte erspart bleiben, zehrten an seiner Gemütsruhe. Er nahm daher die Anstellung, welche er als Lohn für seine Dienste hoffte, nur als Durchgangsstadinm an und eine Beschäftigung andrer Art in Aussicht. Wenn ich etwas vom Ackerbau verstünde, so würde ich mich jetzt diesem widmen. Er ist die einzige naturgemäße Beschäftigung, welche den gebildeten Menschen fernhält von Habsucht, Ehrsucht, alberner Unterwerfung unter das Urteil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/123>, abgerufen am 24.11.2024.