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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine jX'rle,

schwerem Gange, dem Ansehen nach aus einer Umgangssphäre, in welcher das
"Geh zum Henker!" nicht als Unziemlichkeit galt.

Er ließ sich ein Glas !Ma vitü. geben und setzte sich damit in eine dunkle
Ecke, ohne es anzurühren.

Der Mann in der herzoglichen Livree hatte, als Beppo gegangen war,
aufstehen und ihm folgen wollen, war aber beim Erblicken des Eingetretenen
sitzen geblieben und gab sich jetzt das Ansehen eines Mannes, der in behag¬
licher Sorglosigkeit eine Stunde dienstfreien Feierns genießt.

Auch als die übrigen Gäste sich nach und nach entfernt hatten, behielt er
diese Miene bei und fand sogar, als der Seemann aufstand und sich ihm
näherte, für schicklich, nicht von seinem Herantreten Notiz zu nehmen.

Habt Ihr mich wirklich nicht erkannt, Antonio Maria? sprach ihn jeuer
in herablassender Weise an, diesmal nicht den Mann aus besserer Lebensstel¬
lung verleugnend.

Der Angesprochene flog von seinem Sitze auf. (^vino irmi! rief er, ist's
möglich? Signor Vitaliano? Wie hätte Euch irgend jemand erkennen können!
Enstachio, wendete er sich an den schmunzelnd von seinem Schenktische aus zu¬
hörenden Wirt, sagt, ist es möglich, daß irgendwer in diesem unflätigen Kerl
-- verzeiht, Signor Vitaliano --, aber sagt selbst, Eustachio, ist Signor
Vitaliano in dieser Figur und unter dieser braunroten Schminke wieder zu er¬
kennen?

Der Wirt verneinte.

Geht schlafen, befahl der Verkleidete und fingerte in seiner Tasche nach
den Schlüsseln, welche er immer für einige der Mantnaner Weinsäufer bei sich
führte. Dann, als der Wirt nach Abschließen der Hausthür und Aufstellen
einer zweiten Foglietta goldig blinkenden Weins samt feingeschliffenen Glase
mit unterthänigen Verneigen und dem Nachtgruße der geheimen Sbirrein Sant
Auselmo behüte Euch! sich zurückgezogen hatte, lüftete Vitaliano -- denn der
berüchtigte Auskundschafter des Herzogs war es allerdings -- die grobe, blane
tellerartige Seemannsmütze, warf sie samt der darunter sitzenden blonden Per¬
rücke auf den Tisch und fuhr mit der flachen Hand über Stirn und Glatze.
luMicv tun;! stöhnte er und ließ sich an der Seite des noch immer stehenden
herzoglichen Dieners nieder. Setzt Euch noch einen Augenblick! Welche Placke¬
reien! Und warum-- zive l'-imor al vio, warum sage ich unserm Herrn nicht:
Sucht Euch endlich einen andern. Mit sechzig Jahren sehnt sich Vitaliano nach
Ruhe.

Ihr seid noch ein Jüngling an Kräften, Signor superiore, protestirte
der Lakai, indem er sich mit respektvoller Miene setzte.

.Vn/i! Im Gegenteil! Zu Lichtmeß Anno 1S52 ward ich geboren.
Rechnet ans.

Die Jahre machen's nicht, Signor Vitaliano. Dem einen gaben seine


Um eine jX'rle,

schwerem Gange, dem Ansehen nach aus einer Umgangssphäre, in welcher das
„Geh zum Henker!" nicht als Unziemlichkeit galt.

Er ließ sich ein Glas !Ma vitü. geben und setzte sich damit in eine dunkle
Ecke, ohne es anzurühren.

Der Mann in der herzoglichen Livree hatte, als Beppo gegangen war,
aufstehen und ihm folgen wollen, war aber beim Erblicken des Eingetretenen
sitzen geblieben und gab sich jetzt das Ansehen eines Mannes, der in behag¬
licher Sorglosigkeit eine Stunde dienstfreien Feierns genießt.

Auch als die übrigen Gäste sich nach und nach entfernt hatten, behielt er
diese Miene bei und fand sogar, als der Seemann aufstand und sich ihm
näherte, für schicklich, nicht von seinem Herantreten Notiz zu nehmen.

Habt Ihr mich wirklich nicht erkannt, Antonio Maria? sprach ihn jeuer
in herablassender Weise an, diesmal nicht den Mann aus besserer Lebensstel¬
lung verleugnend.

Der Angesprochene flog von seinem Sitze auf. (^vino irmi! rief er, ist's
möglich? Signor Vitaliano? Wie hätte Euch irgend jemand erkennen können!
Enstachio, wendete er sich an den schmunzelnd von seinem Schenktische aus zu¬
hörenden Wirt, sagt, ist es möglich, daß irgendwer in diesem unflätigen Kerl
— verzeiht, Signor Vitaliano —, aber sagt selbst, Eustachio, ist Signor
Vitaliano in dieser Figur und unter dieser braunroten Schminke wieder zu er¬
kennen?

Der Wirt verneinte.

Geht schlafen, befahl der Verkleidete und fingerte in seiner Tasche nach
den Schlüsseln, welche er immer für einige der Mantnaner Weinsäufer bei sich
führte. Dann, als der Wirt nach Abschließen der Hausthür und Aufstellen
einer zweiten Foglietta goldig blinkenden Weins samt feingeschliffenen Glase
mit unterthänigen Verneigen und dem Nachtgruße der geheimen Sbirrein Sant
Auselmo behüte Euch! sich zurückgezogen hatte, lüftete Vitaliano — denn der
berüchtigte Auskundschafter des Herzogs war es allerdings — die grobe, blane
tellerartige Seemannsmütze, warf sie samt der darunter sitzenden blonden Per¬
rücke auf den Tisch und fuhr mit der flachen Hand über Stirn und Glatze.
luMicv tun;! stöhnte er und ließ sich an der Seite des noch immer stehenden
herzoglichen Dieners nieder. Setzt Euch noch einen Augenblick! Welche Placke¬
reien! Und warum— zive l'-imor al vio, warum sage ich unserm Herrn nicht:
Sucht Euch endlich einen andern. Mit sechzig Jahren sehnt sich Vitaliano nach
Ruhe.

Ihr seid noch ein Jüngling an Kräften, Signor superiore, protestirte
der Lakai, indem er sich mit respektvoller Miene setzte.

.Vn/i! Im Gegenteil! Zu Lichtmeß Anno 1S52 ward ich geboren.
Rechnet ans.

Die Jahre machen's nicht, Signor Vitaliano. Dem einen gaben seine


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[0099] Um eine jX'rle, schwerem Gange, dem Ansehen nach aus einer Umgangssphäre, in welcher das „Geh zum Henker!" nicht als Unziemlichkeit galt. Er ließ sich ein Glas !Ma vitü. geben und setzte sich damit in eine dunkle Ecke, ohne es anzurühren. Der Mann in der herzoglichen Livree hatte, als Beppo gegangen war, aufstehen und ihm folgen wollen, war aber beim Erblicken des Eingetretenen sitzen geblieben und gab sich jetzt das Ansehen eines Mannes, der in behag¬ licher Sorglosigkeit eine Stunde dienstfreien Feierns genießt. Auch als die übrigen Gäste sich nach und nach entfernt hatten, behielt er diese Miene bei und fand sogar, als der Seemann aufstand und sich ihm näherte, für schicklich, nicht von seinem Herantreten Notiz zu nehmen. Habt Ihr mich wirklich nicht erkannt, Antonio Maria? sprach ihn jeuer in herablassender Weise an, diesmal nicht den Mann aus besserer Lebensstel¬ lung verleugnend. Der Angesprochene flog von seinem Sitze auf. (^vino irmi! rief er, ist's möglich? Signor Vitaliano? Wie hätte Euch irgend jemand erkennen können! Enstachio, wendete er sich an den schmunzelnd von seinem Schenktische aus zu¬ hörenden Wirt, sagt, ist es möglich, daß irgendwer in diesem unflätigen Kerl — verzeiht, Signor Vitaliano —, aber sagt selbst, Eustachio, ist Signor Vitaliano in dieser Figur und unter dieser braunroten Schminke wieder zu er¬ kennen? Der Wirt verneinte. Geht schlafen, befahl der Verkleidete und fingerte in seiner Tasche nach den Schlüsseln, welche er immer für einige der Mantnaner Weinsäufer bei sich führte. Dann, als der Wirt nach Abschließen der Hausthür und Aufstellen einer zweiten Foglietta goldig blinkenden Weins samt feingeschliffenen Glase mit unterthänigen Verneigen und dem Nachtgruße der geheimen Sbirrein Sant Auselmo behüte Euch! sich zurückgezogen hatte, lüftete Vitaliano — denn der berüchtigte Auskundschafter des Herzogs war es allerdings — die grobe, blane tellerartige Seemannsmütze, warf sie samt der darunter sitzenden blonden Per¬ rücke auf den Tisch und fuhr mit der flachen Hand über Stirn und Glatze. luMicv tun;! stöhnte er und ließ sich an der Seite des noch immer stehenden herzoglichen Dieners nieder. Setzt Euch noch einen Augenblick! Welche Placke¬ reien! Und warum— zive l'-imor al vio, warum sage ich unserm Herrn nicht: Sucht Euch endlich einen andern. Mit sechzig Jahren sehnt sich Vitaliano nach Ruhe. Ihr seid noch ein Jüngling an Kräften, Signor superiore, protestirte der Lakai, indem er sich mit respektvoller Miene setzte. .Vn/i! Im Gegenteil! Zu Lichtmeß Anno 1S52 ward ich geboren. Rechnet ans. Die Jahre machen's nicht, Signor Vitaliano. Dem einen gaben seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/99>, abgerufen am 01.07.2024.