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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Hauptstraße des Landes hinläuft, war man außer stände, die Ruhe zu er¬
halten. Burnes kannte diese Zustände, berichtete aber günstiges, weil er Mac-
naghtens Nachfolger werden wollte und sich Besserung derselben zutraute, falls
man ihn gewähren ließe. Er erklärte die von andrer Seite verlangten Vor¬
sichtsmaßregeln und die Absendung von Verstärkungen des durch Krankheiten
dezimirten Okkupationsheeres für unnötig. Warnungen wurden in den Wind
geschlagen, man glaubte vielmehr den Versicherungen falscher Freunde unter den
Afghanen. Selbst nachdem ein Aufstand ausgebrochen war, der dem zu seiner
Unterdrückung abgegangenen Brigadier Sale große Verluste zufügte und ihn
schließlich in Dschellcilabad festbannte, wollte man noch afghanische Stämme als
für den Gebirgskrieg vorzugsweise geeignet zur Bekämpfung ihrer Landsleute
anwerben. Da brach am 2. November 1841 in der Hauptstadt selbst die Re¬
volution aus, die Akbar Chan, der Sohn Dose Muhammeds, vorbereitet hatte.
Gleich am ersten Tage wurden alle Briten, die sich außerhalb des befestigten
Lagers vor den Thoren befanden, auch Burnes, niedergehauen, und bald nach¬
her nahmen die Aufständischen die britischen Magazine weg. Ein afghanisches
Regiment in Kadarrah empörte sich, ermordete seine europäischen Offiziere und
zog den Insurgenten in Kabul zu Hilfe. Am 22. erschien auch Akbar hier,
der sich bis dahin im Gebirge bei Bahmian aufgehalten hatte. Der tags
nachher gemachte Versuch einer Abteilung der Engländer, das Dorf Bimarn zu
erstürmen und dort in fester Stellung sich zu behaupten, mißlang, und jetzt be¬
mächtigten sich Mutlosigkeit und Verzweiflung ihres ganzen Lagers, auch Elphin-
ftones, des Oberbefehlshabers, und sie gingen auf Verhandlungen rin den Af¬
ghanen ein, die inzwischen Schudscha für abgesetzt erklärt und Siman, einen
Neffen Dose Muhammeds, zum Schah gewählt hatte". Die ersten Bedingungen
desselben: Auslieferung Schudschas, Niederlegung der Waffen auf Gnade oder
Ungnade und sofortiger Abzug für immer, wurden zwar zurückgewiesen, am
21. Dezember aber war man beiderseits im Begriff, in ein Abkommen zu
willigen, nach welchem die Briten Afghanistan mit Einschluß von Dschellalcibad
räumen und nach Hindostan zurückkehren, England Dose Muhammed in Freiheit
setzen und mit den Afghanen ein Schutz- und Trutzbündnis eingehen, letztere
Schudscha dagegen ungehindert mit den Engländern abziehen lassen und ihn
sowie das Heer mit Lebens- und Transportmitteln zum Abmärsche versehen
sollten. Alle Häuptlinge erklärten ihre Zustimmung, nur Akbar nicht. Er
hatte einen neuen Anschlag ersonnen, der die Häuptlinge von der Treulosigkeit
der Ungläubigen überzeugen und den Gesandten in sein Verderben locken sollte.
Er machte letzterm Vorschläge zu einem vorteilhafterer Vertrage, und Mac-
naghtcn ging auf dieselben ein, da er Akbar vertraute. Bei einer Zusammen¬
kunft am 23. sollte dieser neue Vertrag unterzeichnet werden. Als der Gesandte
aber sich zu diesem Zwecke auf eine Anhöhe außerhalb des Lagers begab,
wurden er und einer der ihn begleiteten Offiziere ermordet und dann duch-


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Hauptstraße des Landes hinläuft, war man außer stände, die Ruhe zu er¬
halten. Burnes kannte diese Zustände, berichtete aber günstiges, weil er Mac-
naghtens Nachfolger werden wollte und sich Besserung derselben zutraute, falls
man ihn gewähren ließe. Er erklärte die von andrer Seite verlangten Vor¬
sichtsmaßregeln und die Absendung von Verstärkungen des durch Krankheiten
dezimirten Okkupationsheeres für unnötig. Warnungen wurden in den Wind
geschlagen, man glaubte vielmehr den Versicherungen falscher Freunde unter den
Afghanen. Selbst nachdem ein Aufstand ausgebrochen war, der dem zu seiner
Unterdrückung abgegangenen Brigadier Sale große Verluste zufügte und ihn
schließlich in Dschellcilabad festbannte, wollte man noch afghanische Stämme als
für den Gebirgskrieg vorzugsweise geeignet zur Bekämpfung ihrer Landsleute
anwerben. Da brach am 2. November 1841 in der Hauptstadt selbst die Re¬
volution aus, die Akbar Chan, der Sohn Dose Muhammeds, vorbereitet hatte.
Gleich am ersten Tage wurden alle Briten, die sich außerhalb des befestigten
Lagers vor den Thoren befanden, auch Burnes, niedergehauen, und bald nach¬
her nahmen die Aufständischen die britischen Magazine weg. Ein afghanisches
Regiment in Kadarrah empörte sich, ermordete seine europäischen Offiziere und
zog den Insurgenten in Kabul zu Hilfe. Am 22. erschien auch Akbar hier,
der sich bis dahin im Gebirge bei Bahmian aufgehalten hatte. Der tags
nachher gemachte Versuch einer Abteilung der Engländer, das Dorf Bimarn zu
erstürmen und dort in fester Stellung sich zu behaupten, mißlang, und jetzt be¬
mächtigten sich Mutlosigkeit und Verzweiflung ihres ganzen Lagers, auch Elphin-
ftones, des Oberbefehlshabers, und sie gingen auf Verhandlungen rin den Af¬
ghanen ein, die inzwischen Schudscha für abgesetzt erklärt und Siman, einen
Neffen Dose Muhammeds, zum Schah gewählt hatte». Die ersten Bedingungen
desselben: Auslieferung Schudschas, Niederlegung der Waffen auf Gnade oder
Ungnade und sofortiger Abzug für immer, wurden zwar zurückgewiesen, am
21. Dezember aber war man beiderseits im Begriff, in ein Abkommen zu
willigen, nach welchem die Briten Afghanistan mit Einschluß von Dschellalcibad
räumen und nach Hindostan zurückkehren, England Dose Muhammed in Freiheit
setzen und mit den Afghanen ein Schutz- und Trutzbündnis eingehen, letztere
Schudscha dagegen ungehindert mit den Engländern abziehen lassen und ihn
sowie das Heer mit Lebens- und Transportmitteln zum Abmärsche versehen
sollten. Alle Häuptlinge erklärten ihre Zustimmung, nur Akbar nicht. Er
hatte einen neuen Anschlag ersonnen, der die Häuptlinge von der Treulosigkeit
der Ungläubigen überzeugen und den Gesandten in sein Verderben locken sollte.
Er machte letzterm Vorschläge zu einem vorteilhafterer Vertrage, und Mac-
naghtcn ging auf dieselben ein, da er Akbar vertraute. Bei einer Zusammen¬
kunft am 23. sollte dieser neue Vertrag unterzeichnet werden. Als der Gesandte
aber sich zu diesem Zwecke auf eine Anhöhe außerhalb des Lagers begab,
wurden er und einer der ihn begleiteten Offiziere ermordet und dann duch-


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[0071] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. Hauptstraße des Landes hinläuft, war man außer stände, die Ruhe zu er¬ halten. Burnes kannte diese Zustände, berichtete aber günstiges, weil er Mac- naghtens Nachfolger werden wollte und sich Besserung derselben zutraute, falls man ihn gewähren ließe. Er erklärte die von andrer Seite verlangten Vor¬ sichtsmaßregeln und die Absendung von Verstärkungen des durch Krankheiten dezimirten Okkupationsheeres für unnötig. Warnungen wurden in den Wind geschlagen, man glaubte vielmehr den Versicherungen falscher Freunde unter den Afghanen. Selbst nachdem ein Aufstand ausgebrochen war, der dem zu seiner Unterdrückung abgegangenen Brigadier Sale große Verluste zufügte und ihn schließlich in Dschellcilabad festbannte, wollte man noch afghanische Stämme als für den Gebirgskrieg vorzugsweise geeignet zur Bekämpfung ihrer Landsleute anwerben. Da brach am 2. November 1841 in der Hauptstadt selbst die Re¬ volution aus, die Akbar Chan, der Sohn Dose Muhammeds, vorbereitet hatte. Gleich am ersten Tage wurden alle Briten, die sich außerhalb des befestigten Lagers vor den Thoren befanden, auch Burnes, niedergehauen, und bald nach¬ her nahmen die Aufständischen die britischen Magazine weg. Ein afghanisches Regiment in Kadarrah empörte sich, ermordete seine europäischen Offiziere und zog den Insurgenten in Kabul zu Hilfe. Am 22. erschien auch Akbar hier, der sich bis dahin im Gebirge bei Bahmian aufgehalten hatte. Der tags nachher gemachte Versuch einer Abteilung der Engländer, das Dorf Bimarn zu erstürmen und dort in fester Stellung sich zu behaupten, mißlang, und jetzt be¬ mächtigten sich Mutlosigkeit und Verzweiflung ihres ganzen Lagers, auch Elphin- ftones, des Oberbefehlshabers, und sie gingen auf Verhandlungen rin den Af¬ ghanen ein, die inzwischen Schudscha für abgesetzt erklärt und Siman, einen Neffen Dose Muhammeds, zum Schah gewählt hatte». Die ersten Bedingungen desselben: Auslieferung Schudschas, Niederlegung der Waffen auf Gnade oder Ungnade und sofortiger Abzug für immer, wurden zwar zurückgewiesen, am 21. Dezember aber war man beiderseits im Begriff, in ein Abkommen zu willigen, nach welchem die Briten Afghanistan mit Einschluß von Dschellalcibad räumen und nach Hindostan zurückkehren, England Dose Muhammed in Freiheit setzen und mit den Afghanen ein Schutz- und Trutzbündnis eingehen, letztere Schudscha dagegen ungehindert mit den Engländern abziehen lassen und ihn sowie das Heer mit Lebens- und Transportmitteln zum Abmärsche versehen sollten. Alle Häuptlinge erklärten ihre Zustimmung, nur Akbar nicht. Er hatte einen neuen Anschlag ersonnen, der die Häuptlinge von der Treulosigkeit der Ungläubigen überzeugen und den Gesandten in sein Verderben locken sollte. Er machte letzterm Vorschläge zu einem vorteilhafterer Vertrage, und Mac- naghtcn ging auf dieselben ein, da er Akbar vertraute. Bei einer Zusammen¬ kunft am 23. sollte dieser neue Vertrag unterzeichnet werden. Als der Gesandte aber sich zu diesem Zwecke auf eine Anhöhe außerhalb des Lagers begab, wurden er und einer der ihn begleiteten Offiziere ermordet und dann duch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/71>, abgerufen am 22.07.2024.