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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

stäblich in Stücke gehauen. Die Leibwache floh hinter die Schanzen des
Lagers zurück, auf denen die Truppen Elphinstones, vor Entsetzen über
diesen Verrat unthätig, dem Vorgange zusahen. Die Häuptlinge erklärten
am andern Tage, an dem ersten Abkommen festhalten zu wollen, und die
Engländer unterhandelten auf Grund dessen weiter mit ihnen, zahlten die
den einzelnen Sirdars von Macncighten versprochenen Summen und stellten
die verlangten Geiseln. Es wurde ausgemacht, Dschcibbar Chan und Akbar
sollten das Heer, das mit den Troßknechten noch gegen 17000 Mann zählte, auf
seinem Rückzüge nach Dschellalabad begleiten, um für dessen Verpflegung
und Sicherheit auf dem Marsche zu sorgen. Wie sie dieser Verpflichtung nach¬
kamen und wie infolgedessen die Armee Elphinstones unterging, ist schon oft
ausführlich berichtet worden, und so können wir hier kurz sein. Am 6. Januar
1842 brach man auf, und acht Tage später war das Heer mit seinem ganzen
Troß fast vollständig vernichtet. Akbar hatte die Pässe von Afghanen besetzen lassen,
welche die Abziehenden massenhaft niederschössen. Die übrigen erfroren oder
verhungerten größtenteils, da in den Bergen strenge Kälte herrschte und die zu¬
gesagten Lebensmittel ebenso ausblieben wie die versprochene Eskorte. Elphin-
stone und andre Offiziere wurden bei einer Zusammenkunft mit Akbar zurück¬
behalten und als Gefangene behandelt. Ein Teil der Frauen hatte, ihm gegen
das Versprechen ausgeliefert, sie sicher nach Dschellalabad zu geleiten, dasselbe
Schicksal. Das Trauerspiel war zu Ende. Der wilde Fanatismus der Af¬
ghanen, der Verrat ihrer Führer, die Kopflosigkeit der britischen Oberbefehls¬
haber hatten eine Niederlage herbeigeführt, wie sie die Welt seit Napoleons
Rückzug von Moskau nicht gesehen. Ähnlich war das Schicksal der englischen
Garnison von Ghasnah, die teils zusammengehauen, teils in die Sklaverei ver¬
kauft wurde, und nur in Dschellalabad und in Kandcchar vermochten sich die
Briten zu behaupten, bis der Vizekönig ihnen Hilfe schickte.

Die Ausrüstung eines neuen britischen Heeres stieß auf Schwierigkeiten.
Die muslimischen Truppen in Peschawer erklärten, auf keinen Fall gegen ihre
Glaubensgenossen in Afghanistan ziehen zu wollen. Die Sikhsoldaten meuterten
und gaben auf jede Weise ihre Abneigung gegen die mit ihrem Gebieter ver¬
bündeten Engländer kund. Auch die Hindu - Sipcchis zeigten sich meist unzu¬
verlässig. Es mangelte an Geld, und man mußte Verstärkungen aus Europa
haben. Anfangs April waren diese eingetroffen, und man sandte jetzt eine Armee
unter General Pollock zum Entsatze von Dschellalabad und ein andres Korps
unter Nott nach Kandahar. Da der neue Vizekönig, Lord Ellenborough, die
Gefahren des Versuchs einer Wiedereroberung von Afghanistan fürchtete, so
wollte er nur in Verhandlungen zum Zweck eines Austausches der Gefangenen
willigen. Dieselben führten indes nicht zum Ziele, und die öffentliche Stimme
in England forderte so energisch Befreiung der gefangen gehaltenen Lands¬
leute und Rache für die Schmach, welche die britischen Waffen erlitten hatten,


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

stäblich in Stücke gehauen. Die Leibwache floh hinter die Schanzen des
Lagers zurück, auf denen die Truppen Elphinstones, vor Entsetzen über
diesen Verrat unthätig, dem Vorgange zusahen. Die Häuptlinge erklärten
am andern Tage, an dem ersten Abkommen festhalten zu wollen, und die
Engländer unterhandelten auf Grund dessen weiter mit ihnen, zahlten die
den einzelnen Sirdars von Macncighten versprochenen Summen und stellten
die verlangten Geiseln. Es wurde ausgemacht, Dschcibbar Chan und Akbar
sollten das Heer, das mit den Troßknechten noch gegen 17000 Mann zählte, auf
seinem Rückzüge nach Dschellalabad begleiten, um für dessen Verpflegung
und Sicherheit auf dem Marsche zu sorgen. Wie sie dieser Verpflichtung nach¬
kamen und wie infolgedessen die Armee Elphinstones unterging, ist schon oft
ausführlich berichtet worden, und so können wir hier kurz sein. Am 6. Januar
1842 brach man auf, und acht Tage später war das Heer mit seinem ganzen
Troß fast vollständig vernichtet. Akbar hatte die Pässe von Afghanen besetzen lassen,
welche die Abziehenden massenhaft niederschössen. Die übrigen erfroren oder
verhungerten größtenteils, da in den Bergen strenge Kälte herrschte und die zu¬
gesagten Lebensmittel ebenso ausblieben wie die versprochene Eskorte. Elphin-
stone und andre Offiziere wurden bei einer Zusammenkunft mit Akbar zurück¬
behalten und als Gefangene behandelt. Ein Teil der Frauen hatte, ihm gegen
das Versprechen ausgeliefert, sie sicher nach Dschellalabad zu geleiten, dasselbe
Schicksal. Das Trauerspiel war zu Ende. Der wilde Fanatismus der Af¬
ghanen, der Verrat ihrer Führer, die Kopflosigkeit der britischen Oberbefehls¬
haber hatten eine Niederlage herbeigeführt, wie sie die Welt seit Napoleons
Rückzug von Moskau nicht gesehen. Ähnlich war das Schicksal der englischen
Garnison von Ghasnah, die teils zusammengehauen, teils in die Sklaverei ver¬
kauft wurde, und nur in Dschellalabad und in Kandcchar vermochten sich die
Briten zu behaupten, bis der Vizekönig ihnen Hilfe schickte.

Die Ausrüstung eines neuen britischen Heeres stieß auf Schwierigkeiten.
Die muslimischen Truppen in Peschawer erklärten, auf keinen Fall gegen ihre
Glaubensgenossen in Afghanistan ziehen zu wollen. Die Sikhsoldaten meuterten
und gaben auf jede Weise ihre Abneigung gegen die mit ihrem Gebieter ver¬
bündeten Engländer kund. Auch die Hindu - Sipcchis zeigten sich meist unzu¬
verlässig. Es mangelte an Geld, und man mußte Verstärkungen aus Europa
haben. Anfangs April waren diese eingetroffen, und man sandte jetzt eine Armee
unter General Pollock zum Entsatze von Dschellalabad und ein andres Korps
unter Nott nach Kandahar. Da der neue Vizekönig, Lord Ellenborough, die
Gefahren des Versuchs einer Wiedereroberung von Afghanistan fürchtete, so
wollte er nur in Verhandlungen zum Zweck eines Austausches der Gefangenen
willigen. Dieselben führten indes nicht zum Ziele, und die öffentliche Stimme
in England forderte so energisch Befreiung der gefangen gehaltenen Lands¬
leute und Rache für die Schmach, welche die britischen Waffen erlitten hatten,


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[0072] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. stäblich in Stücke gehauen. Die Leibwache floh hinter die Schanzen des Lagers zurück, auf denen die Truppen Elphinstones, vor Entsetzen über diesen Verrat unthätig, dem Vorgange zusahen. Die Häuptlinge erklärten am andern Tage, an dem ersten Abkommen festhalten zu wollen, und die Engländer unterhandelten auf Grund dessen weiter mit ihnen, zahlten die den einzelnen Sirdars von Macncighten versprochenen Summen und stellten die verlangten Geiseln. Es wurde ausgemacht, Dschcibbar Chan und Akbar sollten das Heer, das mit den Troßknechten noch gegen 17000 Mann zählte, auf seinem Rückzüge nach Dschellalabad begleiten, um für dessen Verpflegung und Sicherheit auf dem Marsche zu sorgen. Wie sie dieser Verpflichtung nach¬ kamen und wie infolgedessen die Armee Elphinstones unterging, ist schon oft ausführlich berichtet worden, und so können wir hier kurz sein. Am 6. Januar 1842 brach man auf, und acht Tage später war das Heer mit seinem ganzen Troß fast vollständig vernichtet. Akbar hatte die Pässe von Afghanen besetzen lassen, welche die Abziehenden massenhaft niederschössen. Die übrigen erfroren oder verhungerten größtenteils, da in den Bergen strenge Kälte herrschte und die zu¬ gesagten Lebensmittel ebenso ausblieben wie die versprochene Eskorte. Elphin- stone und andre Offiziere wurden bei einer Zusammenkunft mit Akbar zurück¬ behalten und als Gefangene behandelt. Ein Teil der Frauen hatte, ihm gegen das Versprechen ausgeliefert, sie sicher nach Dschellalabad zu geleiten, dasselbe Schicksal. Das Trauerspiel war zu Ende. Der wilde Fanatismus der Af¬ ghanen, der Verrat ihrer Führer, die Kopflosigkeit der britischen Oberbefehls¬ haber hatten eine Niederlage herbeigeführt, wie sie die Welt seit Napoleons Rückzug von Moskau nicht gesehen. Ähnlich war das Schicksal der englischen Garnison von Ghasnah, die teils zusammengehauen, teils in die Sklaverei ver¬ kauft wurde, und nur in Dschellalabad und in Kandcchar vermochten sich die Briten zu behaupten, bis der Vizekönig ihnen Hilfe schickte. Die Ausrüstung eines neuen britischen Heeres stieß auf Schwierigkeiten. Die muslimischen Truppen in Peschawer erklärten, auf keinen Fall gegen ihre Glaubensgenossen in Afghanistan ziehen zu wollen. Die Sikhsoldaten meuterten und gaben auf jede Weise ihre Abneigung gegen die mit ihrem Gebieter ver¬ bündeten Engländer kund. Auch die Hindu - Sipcchis zeigten sich meist unzu¬ verlässig. Es mangelte an Geld, und man mußte Verstärkungen aus Europa haben. Anfangs April waren diese eingetroffen, und man sandte jetzt eine Armee unter General Pollock zum Entsatze von Dschellalabad und ein andres Korps unter Nott nach Kandahar. Da der neue Vizekönig, Lord Ellenborough, die Gefahren des Versuchs einer Wiedereroberung von Afghanistan fürchtete, so wollte er nur in Verhandlungen zum Zweck eines Austausches der Gefangenen willigen. Dieselben führten indes nicht zum Ziele, und die öffentliche Stimme in England forderte so energisch Befreiung der gefangen gehaltenen Lands¬ leute und Rache für die Schmach, welche die britischen Waffen erlitten hatten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/72>, abgerufen am 22.07.2024.