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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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die letztgenannten Märkte bezahlen diese Waaren den Kaufleuten Herats mit
feinem Tuch, Kupfer- und Silbergeschirr, Pfeffer und Datteln.

Von den andern großen Städten ist zunächst Kandahar zu erwähnen,
welches in der Provinz gleiches Namens liegt und etwa 360 Kilometer von
Herat und 350 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt ist. Die Provinz,
bis vor ungefähr 45 Jahren noch ein selbständiges Chanat, ist in den Thal¬
ebnen des Gebirges im Norden fruchtbar und baut hier namentlich viel Weizen
und Obst. Nach Süden hin nimmt die Fruchtbarkeit mehr und mehr ab, und
der Westen ist Wüste. In den Bergen ziehen afghanische Hirtenstamme mit
großen Kameel- und Schafherden umher. Die seßhafte Bevölkerung besteht
aus Tadschiks, Afghanen und Hindus. Die Stadt, das arachosische Alexandria
des Altertums, liegt am Fuße eines Bergzuges zwischen dem Argand Ab'und
Tarnak, Nebenflüssen des Helmcmd, die hier eine dichtbevölkerte und wohlange¬
baute Ebne durchströmen. Sehr regelmäßig angelegt, bildet sie ein" großes
Rechteck, dessen Seiten im Norden und Süden ungefähr 2200, im Osten und
Westen 3600 Schritte lang sind. Sie ist mit dicken Mauern von ungebrannten
Lehmziegeln umgeben, an denen in Zwischenräumen von 800 Fuß runde
Türme stehen, und hat sechs Thore. Ihre Befestigungen sind indes sehr ver¬
fallen, und 1874 stürzte ein großer Teil der Stadtmauer zusammen. Die vier
Hauptstraßen sind ungewöhnlich sauber gehalten und ziemlich breit, wogegen
die übrigen Gassen so eng sind, daß zwei Reiter sich darin kaum ausweichen
können. Von jenen Hauptstraßen, die sich in der Mitte unter einer Kuppel
kreuzen, läuft die eine auf einen freien Platz vor dem Nordthorc zu, wo sich
die Zitadelle befindet. Außerdem wird die Stadt von einem Kanal durch¬
schnitten, auch schließt sie mehrere Teiche ein. Kandahar, welches als Durch¬
gangspunkt zwischen Persien und Indien kommerzielle Bedeutung besitzt, war
einst stark bevölkert, hat aber jetzt kaum mehr als Is000 Einwohner, und mehr
als der vierte Teil der Häuser steht leer. 1840 verteidigte der britische General
Nott Stadt und Zitadelle gegen Dose Muhammeds Heer mit Erfolg, und im
August 1880, nach der Schlacht bei Maiwar, behaupteten sich die Engländer
unter Primrose und Burrows einige Wochen hier gegen Ajubs siegreich ge¬
wesene Herätis, bis von Kabul Entsatz kam. Aber gegen eine starke Artillerie
ist die Stadt keine acht Tage zu halten.

Kabul, die Residenz des Emirs, liegt in einen, Kessel des Kabulflusses,
in den nicht fern von hier der Logar mündet, in einer Höhe über dem Meeres¬
spiegel, die fast 2000 Meter beträgt, und soll etwa 70000 Einwohner haben.
Es ist von einer wallartigen Mauer umgeben und im Innern durch andre
Mauern mit schmalen Thoren in eine Anzahl von Quartieren getrennt, in denen
sich zwei große Bazare befinden. Der schönere derselben, von Orcmgsib erbaut
und eins der prachtvollsten Architekturwerke Mittelasiens, wurde vom General
Pollock während des Feldzuges, den die Engländer 1842 gegen Dose Muhammed


die letztgenannten Märkte bezahlen diese Waaren den Kaufleuten Herats mit
feinem Tuch, Kupfer- und Silbergeschirr, Pfeffer und Datteln.

Von den andern großen Städten ist zunächst Kandahar zu erwähnen,
welches in der Provinz gleiches Namens liegt und etwa 360 Kilometer von
Herat und 350 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt ist. Die Provinz,
bis vor ungefähr 45 Jahren noch ein selbständiges Chanat, ist in den Thal¬
ebnen des Gebirges im Norden fruchtbar und baut hier namentlich viel Weizen
und Obst. Nach Süden hin nimmt die Fruchtbarkeit mehr und mehr ab, und
der Westen ist Wüste. In den Bergen ziehen afghanische Hirtenstamme mit
großen Kameel- und Schafherden umher. Die seßhafte Bevölkerung besteht
aus Tadschiks, Afghanen und Hindus. Die Stadt, das arachosische Alexandria
des Altertums, liegt am Fuße eines Bergzuges zwischen dem Argand Ab'und
Tarnak, Nebenflüssen des Helmcmd, die hier eine dichtbevölkerte und wohlange¬
baute Ebne durchströmen. Sehr regelmäßig angelegt, bildet sie ein" großes
Rechteck, dessen Seiten im Norden und Süden ungefähr 2200, im Osten und
Westen 3600 Schritte lang sind. Sie ist mit dicken Mauern von ungebrannten
Lehmziegeln umgeben, an denen in Zwischenräumen von 800 Fuß runde
Türme stehen, und hat sechs Thore. Ihre Befestigungen sind indes sehr ver¬
fallen, und 1874 stürzte ein großer Teil der Stadtmauer zusammen. Die vier
Hauptstraßen sind ungewöhnlich sauber gehalten und ziemlich breit, wogegen
die übrigen Gassen so eng sind, daß zwei Reiter sich darin kaum ausweichen
können. Von jenen Hauptstraßen, die sich in der Mitte unter einer Kuppel
kreuzen, läuft die eine auf einen freien Platz vor dem Nordthorc zu, wo sich
die Zitadelle befindet. Außerdem wird die Stadt von einem Kanal durch¬
schnitten, auch schließt sie mehrere Teiche ein. Kandahar, welches als Durch¬
gangspunkt zwischen Persien und Indien kommerzielle Bedeutung besitzt, war
einst stark bevölkert, hat aber jetzt kaum mehr als Is000 Einwohner, und mehr
als der vierte Teil der Häuser steht leer. 1840 verteidigte der britische General
Nott Stadt und Zitadelle gegen Dose Muhammeds Heer mit Erfolg, und im
August 1880, nach der Schlacht bei Maiwar, behaupteten sich die Engländer
unter Primrose und Burrows einige Wochen hier gegen Ajubs siegreich ge¬
wesene Herätis, bis von Kabul Entsatz kam. Aber gegen eine starke Artillerie
ist die Stadt keine acht Tage zu halten.

Kabul, die Residenz des Emirs, liegt in einen, Kessel des Kabulflusses,
in den nicht fern von hier der Logar mündet, in einer Höhe über dem Meeres¬
spiegel, die fast 2000 Meter beträgt, und soll etwa 70000 Einwohner haben.
Es ist von einer wallartigen Mauer umgeben und im Innern durch andre
Mauern mit schmalen Thoren in eine Anzahl von Quartieren getrennt, in denen
sich zwei große Bazare befinden. Der schönere derselben, von Orcmgsib erbaut
und eins der prachtvollsten Architekturwerke Mittelasiens, wurde vom General
Pollock während des Feldzuges, den die Engländer 1842 gegen Dose Muhammed


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[0666] die letztgenannten Märkte bezahlen diese Waaren den Kaufleuten Herats mit feinem Tuch, Kupfer- und Silbergeschirr, Pfeffer und Datteln. Von den andern großen Städten ist zunächst Kandahar zu erwähnen, welches in der Provinz gleiches Namens liegt und etwa 360 Kilometer von Herat und 350 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt ist. Die Provinz, bis vor ungefähr 45 Jahren noch ein selbständiges Chanat, ist in den Thal¬ ebnen des Gebirges im Norden fruchtbar und baut hier namentlich viel Weizen und Obst. Nach Süden hin nimmt die Fruchtbarkeit mehr und mehr ab, und der Westen ist Wüste. In den Bergen ziehen afghanische Hirtenstamme mit großen Kameel- und Schafherden umher. Die seßhafte Bevölkerung besteht aus Tadschiks, Afghanen und Hindus. Die Stadt, das arachosische Alexandria des Altertums, liegt am Fuße eines Bergzuges zwischen dem Argand Ab'und Tarnak, Nebenflüssen des Helmcmd, die hier eine dichtbevölkerte und wohlange¬ baute Ebne durchströmen. Sehr regelmäßig angelegt, bildet sie ein" großes Rechteck, dessen Seiten im Norden und Süden ungefähr 2200, im Osten und Westen 3600 Schritte lang sind. Sie ist mit dicken Mauern von ungebrannten Lehmziegeln umgeben, an denen in Zwischenräumen von 800 Fuß runde Türme stehen, und hat sechs Thore. Ihre Befestigungen sind indes sehr ver¬ fallen, und 1874 stürzte ein großer Teil der Stadtmauer zusammen. Die vier Hauptstraßen sind ungewöhnlich sauber gehalten und ziemlich breit, wogegen die übrigen Gassen so eng sind, daß zwei Reiter sich darin kaum ausweichen können. Von jenen Hauptstraßen, die sich in der Mitte unter einer Kuppel kreuzen, läuft die eine auf einen freien Platz vor dem Nordthorc zu, wo sich die Zitadelle befindet. Außerdem wird die Stadt von einem Kanal durch¬ schnitten, auch schließt sie mehrere Teiche ein. Kandahar, welches als Durch¬ gangspunkt zwischen Persien und Indien kommerzielle Bedeutung besitzt, war einst stark bevölkert, hat aber jetzt kaum mehr als Is000 Einwohner, und mehr als der vierte Teil der Häuser steht leer. 1840 verteidigte der britische General Nott Stadt und Zitadelle gegen Dose Muhammeds Heer mit Erfolg, und im August 1880, nach der Schlacht bei Maiwar, behaupteten sich die Engländer unter Primrose und Burrows einige Wochen hier gegen Ajubs siegreich ge¬ wesene Herätis, bis von Kabul Entsatz kam. Aber gegen eine starke Artillerie ist die Stadt keine acht Tage zu halten. Kabul, die Residenz des Emirs, liegt in einen, Kessel des Kabulflusses, in den nicht fern von hier der Logar mündet, in einer Höhe über dem Meeres¬ spiegel, die fast 2000 Meter beträgt, und soll etwa 70000 Einwohner haben. Es ist von einer wallartigen Mauer umgeben und im Innern durch andre Mauern mit schmalen Thoren in eine Anzahl von Quartieren getrennt, in denen sich zwei große Bazare befinden. Der schönere derselben, von Orcmgsib erbaut und eins der prachtvollsten Architekturwerke Mittelasiens, wurde vom General Pollock während des Feldzuges, den die Engländer 1842 gegen Dose Muhammed

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/666>, abgerufen am 22.07.2024.