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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Afghanistan und die Afghanen,

Thore, während die andern Seiten nur je eins haben. Von jedem Thore
führen Reihen von Läden für Kaufleute und Handwerker, vier große, oben bogen¬
förmige Bazare bildend, nach einem freien Platz im Mittelpunkte Herats. In
den Hallen jener Bazare und auf diesem Platze finden die Wogen eines bunten
Volkslebens hin und her. Sonst besitzt die Stadt 17 Karawanserais, 20 öffent¬
liche Bäder und zahlreiche Moscheen, Schulen und Dcrwischklöster, sowie einige
Paläste. Die übrigen Gebäude aber sind meist unansehnlich, die Gassen krumm,
schmal und dunkel, und die stolzen, vornehmen Bauwerke der Glanzperiode
Herats verfallen von Jahr z" Jahr mehr und sind infolge von Belagerungen,
innern Parteikämpfen und orientalischer Vernachlässigung zum Teil schou
längst bloße Trümmerstätten geworden. Selbst die einst prachtvolle Haupt¬
moschee neigt sich dein Einstürze zu. Der Königsgarten, ehedem als Welt¬
wunder gerühmt, ist jetzt nur noch ein Haufe von Ruinen zusammengesunkener
Paläste. Zu den interessantesten Baudenkmälern der Stadt gehört die Massaia,
eine Art Mausoleum, welches ursprünglich bestimmt war, die jetzt in Mesched
aufbewahrten Gebeine des berühmtesten Heiligen der Schiiten, Iman Niza, auf¬
zunehmen. Gleichfalls sehr vom Zahne der Zeit benagt, überrascht dieser Bau
doch in der Hauptsache noch heute durch Großartigkeit und Schönheit. Um ein
mächtiges Kuppelgewölbe ziehen sich Säulengänge mit Mosaikbildern, die in
weißen Quarztafeln und bunten Glauzziegeln ausgeführt sind. Aus den Ruinen
ragen zwanzig Minarets mit Bogen und Säulennischen empor. Von dem höchsten
dieser schlanken Türme überschaute Conolly mit Entzücken die "Stadt mit den
zehntausend Gärten" und ihre malerische Umgebung von Buchenwäldern, Obst-
bnumpflcmzungen, Gemüse- und Blumenbeeten, Weinbergen und Saatfeldern,
die sich wie ein riesiger grüner Kranz um ihre grauen Mauern legte. Im
Innern aber stieß der englische Reisende allenthalben neben Ruinen und unan¬
sehnlichen Häusern auf Schmutz, Kotlachen, Dünger- und Kehrichthaufen, Äser
von Hunden, Katzen und Eseln, und andern Greuel morgenländischer Städte.

Die Stadt Herat war und ist in manchen Beziehungen noch jetzt eine
wichtige Handelsstadt und kann es durch eine Eisenbahn, welche vermutlich eher
von russischer Seite als von englischer hergestellt werden wird, wieder mehr
werden. Stapelartikel sind gegenwärtig "Ink," d. h. Asafötida, und Safran,
Manna, Mastix, Pistaziennüsse, Birzuud, ein Gummi, Jspiruk, ein gelber Farb¬
stoff, Pferde und getrocknetes Obst, welches besonders nach Ostindien ausgeführt
wird. Die Schwertfeger der Stadt fertigen die berühmten Säbelklingen von
Chorasscm, die Weber prachtvolle Teppiche von Seide und feiner Wolle, von
denen die kostbarsten mit tausend Rupien bezahlt werden. Das hier gewonnene
Rosenöl wird selbst dem von Schiras vorgezogen. Die Handelsartikel, welche
Herat aus dem Jndusthal, aus Kaschmir und Buchara empfängt und großen¬
teils wieder nach den persischen Städten Mesched, Jesd, Kerman und Jspcchcm
ausführt, bestehen in Shawls, Zitz, Musselin, Leder, Zucker und Indigo, und


Afghanistan und die Afghanen,

Thore, während die andern Seiten nur je eins haben. Von jedem Thore
führen Reihen von Läden für Kaufleute und Handwerker, vier große, oben bogen¬
förmige Bazare bildend, nach einem freien Platz im Mittelpunkte Herats. In
den Hallen jener Bazare und auf diesem Platze finden die Wogen eines bunten
Volkslebens hin und her. Sonst besitzt die Stadt 17 Karawanserais, 20 öffent¬
liche Bäder und zahlreiche Moscheen, Schulen und Dcrwischklöster, sowie einige
Paläste. Die übrigen Gebäude aber sind meist unansehnlich, die Gassen krumm,
schmal und dunkel, und die stolzen, vornehmen Bauwerke der Glanzperiode
Herats verfallen von Jahr z» Jahr mehr und sind infolge von Belagerungen,
innern Parteikämpfen und orientalischer Vernachlässigung zum Teil schou
längst bloße Trümmerstätten geworden. Selbst die einst prachtvolle Haupt¬
moschee neigt sich dein Einstürze zu. Der Königsgarten, ehedem als Welt¬
wunder gerühmt, ist jetzt nur noch ein Haufe von Ruinen zusammengesunkener
Paläste. Zu den interessantesten Baudenkmälern der Stadt gehört die Massaia,
eine Art Mausoleum, welches ursprünglich bestimmt war, die jetzt in Mesched
aufbewahrten Gebeine des berühmtesten Heiligen der Schiiten, Iman Niza, auf¬
zunehmen. Gleichfalls sehr vom Zahne der Zeit benagt, überrascht dieser Bau
doch in der Hauptsache noch heute durch Großartigkeit und Schönheit. Um ein
mächtiges Kuppelgewölbe ziehen sich Säulengänge mit Mosaikbildern, die in
weißen Quarztafeln und bunten Glauzziegeln ausgeführt sind. Aus den Ruinen
ragen zwanzig Minarets mit Bogen und Säulennischen empor. Von dem höchsten
dieser schlanken Türme überschaute Conolly mit Entzücken die „Stadt mit den
zehntausend Gärten" und ihre malerische Umgebung von Buchenwäldern, Obst-
bnumpflcmzungen, Gemüse- und Blumenbeeten, Weinbergen und Saatfeldern,
die sich wie ein riesiger grüner Kranz um ihre grauen Mauern legte. Im
Innern aber stieß der englische Reisende allenthalben neben Ruinen und unan¬
sehnlichen Häusern auf Schmutz, Kotlachen, Dünger- und Kehrichthaufen, Äser
von Hunden, Katzen und Eseln, und andern Greuel morgenländischer Städte.

Die Stadt Herat war und ist in manchen Beziehungen noch jetzt eine
wichtige Handelsstadt und kann es durch eine Eisenbahn, welche vermutlich eher
von russischer Seite als von englischer hergestellt werden wird, wieder mehr
werden. Stapelartikel sind gegenwärtig „Ink," d. h. Asafötida, und Safran,
Manna, Mastix, Pistaziennüsse, Birzuud, ein Gummi, Jspiruk, ein gelber Farb¬
stoff, Pferde und getrocknetes Obst, welches besonders nach Ostindien ausgeführt
wird. Die Schwertfeger der Stadt fertigen die berühmten Säbelklingen von
Chorasscm, die Weber prachtvolle Teppiche von Seide und feiner Wolle, von
denen die kostbarsten mit tausend Rupien bezahlt werden. Das hier gewonnene
Rosenöl wird selbst dem von Schiras vorgezogen. Die Handelsartikel, welche
Herat aus dem Jndusthal, aus Kaschmir und Buchara empfängt und großen¬
teils wieder nach den persischen Städten Mesched, Jesd, Kerman und Jspcchcm
ausführt, bestehen in Shawls, Zitz, Musselin, Leder, Zucker und Indigo, und


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[0665] Afghanistan und die Afghanen, Thore, während die andern Seiten nur je eins haben. Von jedem Thore führen Reihen von Läden für Kaufleute und Handwerker, vier große, oben bogen¬ förmige Bazare bildend, nach einem freien Platz im Mittelpunkte Herats. In den Hallen jener Bazare und auf diesem Platze finden die Wogen eines bunten Volkslebens hin und her. Sonst besitzt die Stadt 17 Karawanserais, 20 öffent¬ liche Bäder und zahlreiche Moscheen, Schulen und Dcrwischklöster, sowie einige Paläste. Die übrigen Gebäude aber sind meist unansehnlich, die Gassen krumm, schmal und dunkel, und die stolzen, vornehmen Bauwerke der Glanzperiode Herats verfallen von Jahr z» Jahr mehr und sind infolge von Belagerungen, innern Parteikämpfen und orientalischer Vernachlässigung zum Teil schou längst bloße Trümmerstätten geworden. Selbst die einst prachtvolle Haupt¬ moschee neigt sich dein Einstürze zu. Der Königsgarten, ehedem als Welt¬ wunder gerühmt, ist jetzt nur noch ein Haufe von Ruinen zusammengesunkener Paläste. Zu den interessantesten Baudenkmälern der Stadt gehört die Massaia, eine Art Mausoleum, welches ursprünglich bestimmt war, die jetzt in Mesched aufbewahrten Gebeine des berühmtesten Heiligen der Schiiten, Iman Niza, auf¬ zunehmen. Gleichfalls sehr vom Zahne der Zeit benagt, überrascht dieser Bau doch in der Hauptsache noch heute durch Großartigkeit und Schönheit. Um ein mächtiges Kuppelgewölbe ziehen sich Säulengänge mit Mosaikbildern, die in weißen Quarztafeln und bunten Glauzziegeln ausgeführt sind. Aus den Ruinen ragen zwanzig Minarets mit Bogen und Säulennischen empor. Von dem höchsten dieser schlanken Türme überschaute Conolly mit Entzücken die „Stadt mit den zehntausend Gärten" und ihre malerische Umgebung von Buchenwäldern, Obst- bnumpflcmzungen, Gemüse- und Blumenbeeten, Weinbergen und Saatfeldern, die sich wie ein riesiger grüner Kranz um ihre grauen Mauern legte. Im Innern aber stieß der englische Reisende allenthalben neben Ruinen und unan¬ sehnlichen Häusern auf Schmutz, Kotlachen, Dünger- und Kehrichthaufen, Äser von Hunden, Katzen und Eseln, und andern Greuel morgenländischer Städte. Die Stadt Herat war und ist in manchen Beziehungen noch jetzt eine wichtige Handelsstadt und kann es durch eine Eisenbahn, welche vermutlich eher von russischer Seite als von englischer hergestellt werden wird, wieder mehr werden. Stapelartikel sind gegenwärtig „Ink," d. h. Asafötida, und Safran, Manna, Mastix, Pistaziennüsse, Birzuud, ein Gummi, Jspiruk, ein gelber Farb¬ stoff, Pferde und getrocknetes Obst, welches besonders nach Ostindien ausgeführt wird. Die Schwertfeger der Stadt fertigen die berühmten Säbelklingen von Chorasscm, die Weber prachtvolle Teppiche von Seide und feiner Wolle, von denen die kostbarsten mit tausend Rupien bezahlt werden. Das hier gewonnene Rosenöl wird selbst dem von Schiras vorgezogen. Die Handelsartikel, welche Herat aus dem Jndusthal, aus Kaschmir und Buchara empfängt und großen¬ teils wieder nach den persischen Städten Mesched, Jesd, Kerman und Jspcchcm ausführt, bestehen in Shawls, Zitz, Musselin, Leder, Zucker und Indigo, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/665>, abgerufen am 22.07.2024.