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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

Welche neue Glorie um das ruhmgekröute Haupt Francescos des Gütigen!
rief Andrea, indem auch er einen andächtigen Blick nach dem Bilde des hei¬
ligen Alohsius entsandte.

Nicht zu vorschnell, guter Freund! warnte der Herzog, deu einen Vogel
halte ich in der Hand, den andern nicht; soll ich jenen frei lassen, so muß ich
diesen haben. Oder steht Ihr auch zu seiner Sache, Andrea?

Der Anwalt machte eine verneinende Geberde.

Francesco schenkte nochmals ein.

Nicht wahr, wir sind Freunde, guter Andrea? fragte er.

Altezza, Ihr überschüttet mich mit Dankesverpflichtungen.

Laßt gut sein! Wir sind Freunde! Jetzt Vertrauen um Vertrauen. Wo
ist Abbondio zu finden?

Der Anwalt zögerte und blickte nach dem Pergament hinüber, das
neben den Gläsern und der Flasche seinen Platz auf dem Tische behauptet
hatte; die Riesenlettern und der Schnörkelzug Francescos prangten zwar noch
nicht unter dem Todesurteil Marcellos, aber die Unberechenbarkeit des fürst¬
lichen Herrn rechtfertigte die Pause, in welcher sich der Anwalt Mnrcellos Zeit
zum Überlegen seiner Antwort ließ.

Nun? drängte der Herzog.

Altezza, sagte Andrea, ein Weiser des Altertums wurde einst gefragt:
Womit im Leben man sich so lange wie irgend möglich Zeit lassen solle? Er
antwortete: Mit dem Anborgen eines Freundes. Ihr habt mir heute zu meh¬
reren malen diesen schönen Namen beigelegt --

Ich borge kein Geld ab, guter Andrea, lachte der Herzog, schweift nicht
ab! Wisset Ihr, wo Abbondio zu finden ist?

Altezza, man borgt nicht allein Geld; was man borgt, darauf kommt
es überhaupt nicht an; ob man es wieder zu erstatten vermag, das ist das
einzig Wichtige beim Borgen. Angenommen, ich wüßte nnr allein in meiner
Eigenschaft als Marcellos Rechtsbeistand, wohin sich sein Neffe vor Eltern
so gerechtfertigten Ingrimm geflüchtet hat, und ich beginge durch Beantwor¬
tung Eurer Frage den Bruch eines Amtsgeheimnisses, mithin eine Unehren-
haftigkeit, könntet Ihr, Altezza, mir meine unbefleckte Ehre wiedergeben?

Ihr vergeht, daß ich ja Mittel habe, um Euch zum Reden zu zwingen.

Altezza, ich wüßte keine.

Denket nach.

Keine, Altezza.

Thörichter Alter -- die Folter!

Andrea schüttelte ungläubig den Kopf. Der Freund dem Freunde? lächelte
er, diesmal ironisch.




Grenzboten II. 1835.81
Um eine perle.

Welche neue Glorie um das ruhmgekröute Haupt Francescos des Gütigen!
rief Andrea, indem auch er einen andächtigen Blick nach dem Bilde des hei¬
ligen Alohsius entsandte.

Nicht zu vorschnell, guter Freund! warnte der Herzog, deu einen Vogel
halte ich in der Hand, den andern nicht; soll ich jenen frei lassen, so muß ich
diesen haben. Oder steht Ihr auch zu seiner Sache, Andrea?

Der Anwalt machte eine verneinende Geberde.

Francesco schenkte nochmals ein.

Nicht wahr, wir sind Freunde, guter Andrea? fragte er.

Altezza, Ihr überschüttet mich mit Dankesverpflichtungen.

Laßt gut sein! Wir sind Freunde! Jetzt Vertrauen um Vertrauen. Wo
ist Abbondio zu finden?

Der Anwalt zögerte und blickte nach dem Pergament hinüber, das
neben den Gläsern und der Flasche seinen Platz auf dem Tische behauptet
hatte; die Riesenlettern und der Schnörkelzug Francescos prangten zwar noch
nicht unter dem Todesurteil Marcellos, aber die Unberechenbarkeit des fürst¬
lichen Herrn rechtfertigte die Pause, in welcher sich der Anwalt Mnrcellos Zeit
zum Überlegen seiner Antwort ließ.

Nun? drängte der Herzog.

Altezza, sagte Andrea, ein Weiser des Altertums wurde einst gefragt:
Womit im Leben man sich so lange wie irgend möglich Zeit lassen solle? Er
antwortete: Mit dem Anborgen eines Freundes. Ihr habt mir heute zu meh¬
reren malen diesen schönen Namen beigelegt —

Ich borge kein Geld ab, guter Andrea, lachte der Herzog, schweift nicht
ab! Wisset Ihr, wo Abbondio zu finden ist?

Altezza, man borgt nicht allein Geld; was man borgt, darauf kommt
es überhaupt nicht an; ob man es wieder zu erstatten vermag, das ist das
einzig Wichtige beim Borgen. Angenommen, ich wüßte nnr allein in meiner
Eigenschaft als Marcellos Rechtsbeistand, wohin sich sein Neffe vor Eltern
so gerechtfertigten Ingrimm geflüchtet hat, und ich beginge durch Beantwor¬
tung Eurer Frage den Bruch eines Amtsgeheimnisses, mithin eine Unehren-
haftigkeit, könntet Ihr, Altezza, mir meine unbefleckte Ehre wiedergeben?

Ihr vergeht, daß ich ja Mittel habe, um Euch zum Reden zu zwingen.

Altezza, ich wüßte keine.

Denket nach.

Keine, Altezza.

Thörichter Alter — die Folter!

Andrea schüttelte ungläubig den Kopf. Der Freund dem Freunde? lächelte
er, diesmal ironisch.




Grenzboten II. 1835.81
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[0646] Um eine perle. Welche neue Glorie um das ruhmgekröute Haupt Francescos des Gütigen! rief Andrea, indem auch er einen andächtigen Blick nach dem Bilde des hei¬ ligen Alohsius entsandte. Nicht zu vorschnell, guter Freund! warnte der Herzog, deu einen Vogel halte ich in der Hand, den andern nicht; soll ich jenen frei lassen, so muß ich diesen haben. Oder steht Ihr auch zu seiner Sache, Andrea? Der Anwalt machte eine verneinende Geberde. Francesco schenkte nochmals ein. Nicht wahr, wir sind Freunde, guter Andrea? fragte er. Altezza, Ihr überschüttet mich mit Dankesverpflichtungen. Laßt gut sein! Wir sind Freunde! Jetzt Vertrauen um Vertrauen. Wo ist Abbondio zu finden? Der Anwalt zögerte und blickte nach dem Pergament hinüber, das neben den Gläsern und der Flasche seinen Platz auf dem Tische behauptet hatte; die Riesenlettern und der Schnörkelzug Francescos prangten zwar noch nicht unter dem Todesurteil Marcellos, aber die Unberechenbarkeit des fürst¬ lichen Herrn rechtfertigte die Pause, in welcher sich der Anwalt Mnrcellos Zeit zum Überlegen seiner Antwort ließ. Nun? drängte der Herzog. Altezza, sagte Andrea, ein Weiser des Altertums wurde einst gefragt: Womit im Leben man sich so lange wie irgend möglich Zeit lassen solle? Er antwortete: Mit dem Anborgen eines Freundes. Ihr habt mir heute zu meh¬ reren malen diesen schönen Namen beigelegt — Ich borge kein Geld ab, guter Andrea, lachte der Herzog, schweift nicht ab! Wisset Ihr, wo Abbondio zu finden ist? Altezza, man borgt nicht allein Geld; was man borgt, darauf kommt es überhaupt nicht an; ob man es wieder zu erstatten vermag, das ist das einzig Wichtige beim Borgen. Angenommen, ich wüßte nnr allein in meiner Eigenschaft als Marcellos Rechtsbeistand, wohin sich sein Neffe vor Eltern so gerechtfertigten Ingrimm geflüchtet hat, und ich beginge durch Beantwor¬ tung Eurer Frage den Bruch eines Amtsgeheimnisses, mithin eine Unehren- haftigkeit, könntet Ihr, Altezza, mir meine unbefleckte Ehre wiedergeben? Ihr vergeht, daß ich ja Mittel habe, um Euch zum Reden zu zwingen. Altezza, ich wüßte keine. Denket nach. Keine, Altezza. Thörichter Alter — die Folter! Andrea schüttelte ungläubig den Kopf. Der Freund dem Freunde? lächelte er, diesmal ironisch. Grenzboten II. 1835.81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/646>, abgerufen am 26.06.2024.